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Kein Ende der Intifada in Sicht

Bettina Marx, Tel Aviv30. September 2003

Die Bilanz nach drei Jahren Intifada im Nahen Osten ist erschütternd: Tausende Todesopfer und Verletze, traumatisierte Kinder, wirtschaftlicher Niedergang. Ein Kommentar von Bettina Marx aus Tel Aviv.

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Die Zahlen sprechen für sich selbst: Drei Jahre nach Ausbruch der Intifada sind auf beiden Seiten des Nahost-Konfliktes mehr als 3.000 Todesopfer und Zehntausende Verletzte zu beklagen. In dieser Schreckensbilanz ist noch nicht die Rede von den unzähligen traumatisierten Menschen auf beiden Seiten, von den Arbeitslosen, die auf Grund des wirtschaftlichen Niederganges in Israel und in den palästinensischen Gebieten ihre Familien nicht mehr ernähren können, von den palästinensischen Familien, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, von den israelischen Alleinerziehenden, die ihren Kindern nur noch eine Mahlzeit am Tag zubereiten können.

Es ist noch nicht die Rede von dem zusammenbrechenden Schulsystem, das Generationen von Schulabgängern entlässt, die keinerlei Chance im Leben haben, von den jungen Leuten, die gelernt haben, dass Gewalt das einzige Mittel zur Lösung von Konflikten ist. Es ist noch nichts gesagt über die palästinensischen Kinder, die jede Nacht von Albträumen geplagt werden, die sich beim Herannahen eines Hubschraubers verschreckt in eine Ecke kauern, die nicht mehr wissen, was Zukunft ist. Es ist noch nichts gesagt über die verzweifelten Israelis, die sich apathisch ins Privatleben zurückziehen und Pläne für die Auswanderung ihrer Kinder schmieden.

Wenn es jetzt nicht gelingt, die Gewalt zu stoppen und eine Lösung zu finden, die einen lebensfähigen palästinensischen Staat neben Israel ermöglicht, dann ist der Traum von den zwei unabhängigen Staaten im Nahen Osten, die Vision von US-Präsident George Bush, endgültig ausgeträumt. Dann ist aber auch der zionistische Traum vom jüdischen Staat vorüber, der den Juden der ganzen Welt eine eigene und sichere Heimstätte bietet. Denn in nur sieben Jahren wird die Mehrheit der Bevölkerung in dem Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan palästinensisch-muslimisch sein. Wenn Israel diese Bevölkerungsmehrheit weiterhin von der politischen Willensbildung ausschließen will, wird es bald nicht mehr sein als ein hochgerüsteter, militarisierter Apartheid-Staat, oder, wie ein israelischer Kommentator es genannt hat, ein "Spartheid", eine Mischung aus Sparta und Apartheid.

Die Folgen werden sein, dass Israel seine Ressourcen noch ausschließlicher dem Erhalt der Militärherrschaft über Millionen von Palästinensern widmen muss. Israel wird den Respekt und die Unterstützung der Weltgemeinschaft noch mehr verlieren und noch stärker in die Isolation geraten, als es ohnehin schon ist. Da hilft es auch nichts, wenn Israel verzweifelt die letzten imigrationswilligen Reste der jüdischen Diaspora zusammenkratzt, um sie nach Israel zu bringen und vorzugsweise in den palästinensischen Gebieten anzusiedeln. Schon jetzt ist der kleine geographische Raum so dicht bevölkert wie Indien.

Die natürlichen Ressourcen werden schon bald nicht mehr ausreichen, um den Bedarf der wachsenden Bevölkerung zu decken. Schon jetzt kann Israel seinen hohen Lebensstandard nur halten, weil den Palästinensern der faire Zugang zu den Ressourcen - allen voran den Wasserquellen - verweigert wird. Ein Umdenken also müsste sofort einsetzen. Nur mit friedlichen diplomatischen Mitteln kann dieser Konflikt gelöst werden. Doch es gibt keine Anzeichen dafür, dass Vernunft einkehren könnte - im Gegenteil. Das kommende vierte Jahr der Intifada, so steht zu befürchten, wird weitere Eskalation, Tod und Verderben bringen. Es wäre an der Zeit, dass sich die Weltgemeinschaft endlich entschlossen einmischt.