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Kein demokratischer Ruck

Ute Schaeffer2. April 2002

Bei den Wahlen in der Ukraine ist die Opposition gegen Staatspräsident Kutschma gestärkt worden. Da es keinen klaren Sieger gab, kommt den kleinen Parteien jetzt eine Schüsselrolle zu. Ein Kommentar von Ute Schaeffer.

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Es war ein trauriger Höhepunkt des Wahlkampfes zu den Parlamentswahlen in der Ukraine: Am Vorabend der Wahl wurde im Westen des Landes ein Kandidat ermordet. Am Wahltag selber kam es zu vergleichsweise kleinen Unregelmäßigkeiten: Urnensiegel wurden beschädigt oder gestohlen, auf den Wählerlisten tauchten fälschlich bereits Verstorbene auf. Damit wurden auch am Tag der Wahl die Manipulationen fortgesetzt, die bereits den Wahlkampf geprägt hatten.

Der Spitzenkandidat des oppositionellen Reformblocks 'Unsere Ukraine', Viktor Juschtschenko, gab sich nach seiner Stimmabgabe zufrieden: Diesmal würden zum ersten Mal "die demokratischen Kräfte die Linken besiegen", erklärte der ehemalige Regierungschef. Das darf bezweifelt werden.

Die Mehrheit im ukrainischen Parlament wird vielmehr künftig den Kutschma wohl gesonnenen Parteien gehören: Jenem bunten Spektrum der Oligarchen- und Technokratenparteien, die zur Durchsetzung ihrer Interessen auf die Unterstützung des Präsidenten angewiesen sind.

Dass diese Kräfteverhältnisse so sind, hat unterschiedliche Gründe. Einer der wichtigsten: Der ukrainische Präsident ist in der nun anbrechenden Legislaturperiode auf ein kooperatives Parlament angewiesen. Schließlich stehen in zwei Jahren Präsidentschaftswahlen an. Und gleichgültig, ob Leonid Kutschma dann mit Hilfe einer Verfassungsänderung ein drittes Mal kandidieren will - wie manche Beobachter in Kiew behaupten - , oder ob er einen Kandidaten seiner Wahl ins Präsidentenamt heben möchte: Er braucht dafür eine entsprechende Mehrheit im Parlament.

Außerdem trat die Unterstützung, welche Russland bestimmten politischen Protagonisten zukommen lässt, gerade auch bei den Parlamentwahlen offen zutage. So hatte der Leiter der russischen Präsidialadministration schon vor Wochen angekündigt, dass Russland vor allem mit jenen Gruppierungen im neuen ukrainischen Parlament zusammen arbeiten werde, die pro-russisch agierten. Das seien - neben den Kommunisten - vor allem die großen Kutschma-treuen Parteien. Und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in der russischen Duma, Dmitrij Rogosin, drohte, dass es nachteilige Folgen haben werde, falls die Ukrainer meinten, sich einen Mann wie Juschtschenko leisten zu können.

Unter diesen Umständen und angesichts der vielfältigen Behinderungen, mit denen die Opposition konfrontiert war, nimmt es geradezu Wunder, dass die nicht-kommunistische Opposition - die Sozialisten unter Oleksander Moros und das Bündnis der ehemaligen Vize-Regierungschefin Julia Timoschenko - den Einzug ins Parlament geschafft haben. Beide werden von Fall zu Fall mit der Juschtschenko-Fraktion zusammenarbeiten und sich möglicherweise auch auf eine dauerhafte Koalition einlassen. Dadurch entstünde dann tatsächlich eine starke demokratische Opposition im neuen ukrainischen Parlament.

Der Westen seinerseits sollte Abschied nehmen von der Vorstellung, durch die Ukraine werde schon bald ein "demokratischer" Ruck gehen. Andererseits gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die Ukraine den belarussischen Weg gehe. Vielmehr ist in der ukrainischen Politik und Gesellschaft eine Generation herangewachsen, die im westlichen Ausland Erfahrungen gesammelt hat, Rechtsstaat und Demokratie kennen- und schätzen gelernt hat. Ihre Ideen sind vielleicht noch nicht mehrheitsfähig, aber sie stoßen auf breite Resonanz gerade unter den Jüngeren. Noch müssen diese Kräfte mit gezielten Behinderungen von Seiten der machthabenden Elite und der russischen Einflussgruppen im Land rechnen, doch ihr Einfluss wächst. Das alles haben die Wahlen gezeigt.

Es liegt nun auch am Westen, diese Reformkräfte während des mühsamen und langwierigen Prozesses der politischen Transformation zu unterstützen, denn es geht nicht nur um die Zukunft der Ukraine, sondern um Stabilität und Rechtsstaatlichkeit an den Außengrenzen der erweiterten Europäischen Union.