Kaum Hoffnung auf Überlebende bei Erdrutsch in Afghanistan
3. Mai 2014Einen Tag nach dem verheerenden Bergrutsch in der afghanischen Provinz Badachschan bemühen sich lokale Rettungskräfte und Dorfbewohner weiterhin fieberhaft, noch Lebende aus den Schlamm-Massen zu befreien. Mit jeder Stunde schwinden aber die Hoffnungen. "Dass wir noch Lebende finden, ist unmöglich", sagte der Chef der Polizei in Badachschan, General Fazluddin Ayar, im Interview mit der DW.
Unklarheit über Todeszahlen
Nach heftigen Regenfällen in der vergangenen Woche war am Freitag (02.05.2014) die Katastrophe über das Dorf Ab Barek im abgelegenen Distrikt Argo hereingebrochen: Innerhalb von einer Stunde begruben zwei Lawinen weite Teile des Dorfes unter Schlamm-Massen und Geröll. Eine ganze Hochzeitsgesellschaft soll unter den Opfern sein. Andere Bewohner wurden in der Moschee beim Gebet oder zu Hause überrascht. Der Freitag ist in muslimische Ländern mit dem Sonntag im Westen zu vergleichen. Es steht zu befürchten, dass ganze Familien ausgelöscht wurden. Bis zu 400 Häuser wurden zerstört.
Große Unklarheit herrscht aber noch immer über die Anzahl der Todesopfer. Polizeigeneral Ayar, der selbst bis Freitagabend am Unglücksort war, sprach im Interview mit der DW am Samstag von 100 bis 110 Toten, die UN in Kabul von 350 und der Sprecher des Katastrophenschutzes von Badachschan, Said Abdullah Homayun Deqan, sagte unserem DW-Korrespondenten in der Nachbarprovinz Kundus, die Anzahl der Toten sei mittlerweile auf 2500 gestiegen. Das bestreitet wiederum der Vize-Chef des nationalen Katastrophenschutzes in Kabul, Aslam Sepas, gegenüber der DW. "Die erste Information war, dass bis zu über 2000 Menschen unter den Lawinen begraben seien, aber nach unseren jüngsten Informationen sind insgesamt 255 noch dort“. Agenturen berichten derweil unter Berufung auf örtliche Behördenvertreter, dass bereits 260 Tote geborgen worden sein sollen.
Helfer graben mit bloßen Händen
Laut Polizeichef Ayar hätten die Sicherheitskräfte nun vorsorglich rund 2500 Dorfbewohner evakuiert. "700 bis 800 Häuser sind noch in Gefahr", mit weiteren Erdrutschen müsse gerechnet werden. Die Menschen seien mit dem Nötigsten versorgt worden. Die afghanische Armee habe Hilfsteams eingeflogen, die zusammen mit dem afghanischen "Roten Halbmond" Trinkwasser, Lebensmittel und Not-Zelte zur Verfügung gestellt hätten. Ausländische Hilfsorganisationen seien laut Ayar bisher nicht beteiligt. Am Freitag hatte US-Präsident Barak Obama Hilfe bei dem Rettungseinsatz angeboten. Die Nato-Truppen des Regionalkommandos Nord in Afghanistan stehen unter dem Befehl der Bundeswehr. Ein Bundeswehrsprecher im Einsatzführungskommando in Potsdam sagte der DW, dass bisher keine Anfrage der afghanischen Behörden vorliege, den Hilfseinsatz zu unterstützen.
Die örtlichen Helfer und die Dorfbewohner graben derweil mit bloßen Händen und Schaufeln nach Verschütteten und fühlen sich im Stich gelassen. "Viele Häuser sind unter Schlamm begraben, aber bisher helfen uns weder die Regierung noch Hilfsorganisationen. Wir haben kein Wasser und nichts zu Essen", klagt Nur Ahmad, ein Bewohner des Dorfes. Schweres Gerät, mit dem die Suche nach unter den Schlamm-Massen Begrabenen beschleunigt werden könnte, fehlt und wird wohl auch nicht rechtzeitig ankommen. Der Unglücksort Ab Barek liegt im zerklüfteten Nordosten Afghanistans nahe der Grenze zu Tadschikistan, China und Pakistan und ist nur über Schotterpisten zu erreichen. Der afghanische Vizepräsident Karim Khalili ist zum Unglücksort geflogen, um sich ein Bild der Lage zu verschaffen, Der Ort soll zu einem Massengrab erklärt werden, meldete derweil die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf den UN-Sprecher Ari Gaitanis.
Die Provinz Badachschan, von den Auseinandersetzungen mit den Taliban in weiten Teilen nahezu verschont, ist immer wieder Schauplatz von Naturkatastrophen. Im März 2012 begrub eine Schneelawine ein ganzes Dorf unter sich, 40 Menschen starben. Die deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ hatte bis 2013 ein Program aufgesetzt, mit dem die örtlichen Behörden im Katastrophenmanagement geschult werden sollen.