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Streunende Hunde in Bulgarien

Alexander Andreev29. April 2012

In der bulgarischen Hauptstadt Sofia wurde ein älterer Mann von streunenden Hunden zu Tode gebissen. Die Öffentlichkeit ist aufgebracht. Kastrieren oder Einschläfern - das ist die meistgestellte Frage.

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Streunende Hunde in Sofia (Foto: PETA Deutschland)
Streunende Hunde in SofiaBild: PETA Deutschland

Nicht der desolate Zustand der Straßen, nicht das tägliche Verkehrschaos oder die Probleme mit der Müllabfuhr - für die Einwohner von Sofia sind die streunenden Hunde laut einer aktuellen Umfrage das Hauptproblem. Das ist durchaus nachvollziehbar, nachdem ein 87-jähriger emeritierter Professor Ende März von Straßenhunden so heftig attackiert worden war, dass er kurz darauf starb.

Die Öffentlichkeit ist empört; der zuständige Gesundheitsminister versucht eifrig eine Gesetzesänderung durch das Parlament zu boxen; die kommunale Verwaltung arbeitet auf Hochtouren und die Tierschützer befürchten schlimme Zeiten für die Streuner. Die aufgeheizte Debatte in Bulgarien dreht sich um die Frage, ob die Straßenhunde eingeschläfert oder kastriert werden sollen.

"Entweder die Hunde, oder wir!"

Einschläfern ist keine Lösung, sagen Tierschützer. Stela Raytcheva von der Nichtregierungsorganisation Animal Rescue in Sofia erklärt, warum: "Bis 2008 wurden die Straßenhunde in Sofia eingeschläfert. Wurde aber damit das Problem gelöst? Nein. Sollen wir etwa alle Straßenhunde in Sammellager stecken? Sie alle töten? Sie zerstückeln oder auf den Mond schießen? Nein!", erklärt die Tierschützerin und bietet gleich einen Lösungsvorschlag: "Wir sollten die Vermehrung stoppen. Unser sinkendes Schiff hat ein Leck, und anstatt es zu stopfen, versuchen wir das Wasser mit Eimern zu schöpfen", sagt Stela Raytcheva.

Hunde vor eine Mülltonnen in Sofia (Foto: George Papakotchev)
Straßenhunde sind in Sofia allgegenwärtigBild: George Papakotchev

Die Tierschützer kritisieren, dass der Gesundheitsminister Miroslav Naidenov versucht, mit unklaren und zweideutigen Formulierungen das Einschläfern in das Tierschutzgesetz aufzunehmen, um damit die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Denn tatsächlich sind in den Online-Diskussionen und selbst in den Medien besorgniserregende Aufrufe zu lesen, die die Politiker hellhörig machen: "Entscheidet endlich: entweder die Hunde oder die Menschen!“ oder "Die Hunde fressen unsere Kinder!“

Viele Hunde werden ausgesetzt

Trotz der Kritik verteidigt Minister Naidenov seinen Gesetzentwurf. "Es war mir bewusst, dass die Tierschützer deswegen mich persönlich angreifen werden", sagt er und fügt hinzu: "Es ist aber an der Zeit, dass jemand das Risiko eingeht und Verantwortung übernimmt. Es ist an der Zeit, die Menschen von dieser Plage zu befreien.“

Die Regierung plant, eine sogenannte Tierpolizei einzurichten. Eine Behörde also, die einerseits die streunenden Hunde in die Tierheime einliefert, andererseits das Aussetzen von Hunden scharf bestrafen kann. Denn das Aussetzen der Vierbeiner ist der Kern des Übels – darüber sind sich alle einig. Das ist zwar verboten, bislang aber wurde niemand deswegen zu Verantwortung gezogen. Und die Tierschützer behaupten, allein in Sofia würden - selbst nach einer sehr vorsichtigen Schätzung - jährlich ca. 14.000 Welpen ausgesetzt.

Zwar wurde in Bulgarien die Anmeldepflicht für Haus- und Wachhunde eingeführt, aber von den geschätzten 100.000 bis 200.000 Tieren in der Hauptstadt sind bislang weniger als 2000 registriert worden. Die Gesetzeslage sei in Ordnung, nur die Implementierung funktioniere nicht, fasst Stela Raytcheva zusammen und weist auf die vorgesehenen Maßnahmen hin: "Im Tierschutzgesetz von 2008 wird die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgeschrieben. Es handelt sich dabei um ein Programm, in dessen Rahmen die Straßenhunde fachlich kastriert, gegen Tollwut geimpft, entwurmt und wieder dort freigelassen werden, wo sie abgeholt wurden. Diese Maßnahmen liegen in der Zuständigkeit der Kommunen. Von insgesamt 264 Kommunen haben allerdings nur 60 überhaupt etwas unternommen", sagt die Tierschützerin.

Ein Straßenhund in Sofia (Foto: Roumiana Taslakowa/DW)
Jedes Jahr werden in Sofia bis zu 14.000 Welpen ausgesetztBild: DW

Hundepflege - ein lohnendes Geschäft

Kastrieren und Impfen - ja, Einschläfern nur bei sehr aggressiven Straßenhunden - das ist die Position des Ministerpräsidenten Boiko Borissov. Der bekennende Hundeliebhaber hat sich neulich höchstpersönlich in die Diskussion eingeschaltet. Nur: Um das umzusetzen, fehlen in Bulgarien ein Gesamtkonzept und eine nationale Strategie, die vom Ombudsmann noch vor einem Jahr angeregt worden war. Und in diesem Vakuum beschuldigen sich Kommunen und Tierschützer gegenseitig, dass die Arbeit chaotisch und unkoordiniert verrichtet wird, während sich die Öffentlichkeit weiter über die unerträgliche Lage empört.

Und alle drei Seiten reden natürlich auch über Geld. Die Tierschützer sind überzeugt, dass die Behörden die entsprechenden öffentlichen Gelder teilweise veruntreuen oder abzweigen. Die kommunalen Verwaltungen spielen den Ball zurück und die Boulevardmedien beschuldigen beide Seiten der Selbstbedienung.

Angeblich sei die Sorge um die Straßenhunde ein sehr profitables Geschäft, liest man immer wieder. Es werden auch Zahlen genannt, die nicht nachzuprüfen sind. So würden angeblich Menschen aus dem Ausland bis zu fünf Euro pro Tag und Straßenhund für die umfangreiche Pflege der Tiere in Bulgarien zahlen, und für etwa 200 Euro werde ein von der Straße geretteter Hund nach Deutschland oder in die Niederlande verkauft.