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Wissenschaftlerinnen mit Migrationshintergrund

21. April 2009

Wissenschaftlerinnen mit Migrationshintergrund sind in Deutschland bisher kaum ein Thema der Gleichstellungspolitik. Eine Studie des Bonner CEWS hat das Problem der Diskriminierung untersucht.

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Symbolbild Migration: Junge Frau vor einer Tafel mit dem Wort 'Chance' (Foto: picture alliance/ dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

In Deutschland wird die Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen mit Migrationshintergrund bisher kaum untersucht. Diese Forschungslücke hat das Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung CEWS in Bonn erstmals systematisch aufgegriffen: in seiner Studie "Wissenschaftlerinnen mit Migrationshintergrund". Fazit der Studie: Es ist dringend notwendig, die verantwortlichen Akteurinnen und Akteure an deutschen Hochschulen und in der Politik für die Probleme dieser Wissenschaftlerinnen zu sensibilisieren. Svenja Üing hat mit Andrea Löther, Herausgeberin der Studie und Mitarbeiterin des CEWS, gesprochen.

DW-WORLD.DE: Was sind die besonderen Probleme von Wissenschaftlerinnen mit Migrationshintergrund?

Andrea Löther: Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass bestimmte Rollenstereotype wie Kompetenzzuschreibung oder Familienverpflichtung, die männliche Wissenschaftler und Professoren gegen Frauen haben, gegenüber Migrantinnen noch mal besonders aktiviert werden. Das betrifft vor allem weibliche Stereotype, die vielleicht gegenüber Wissenschaftlerinnen ohne Migrationshintergrund schon mal zurückgenommen werden.

Was sind denn solche Vorurteile?

Aktenordner und Babyflasche (Foto: picture alliance/ chromorange)
Bild: picture-alliance/chromorange

Sehr stark Kompetenzzuschreibung, das heißt: wie weit unterstellt man jemandem, dass sie eine bestimmte Kompetenz hat. Frauen wird Kompetenz eben nicht so zugeschrieben, es wird vermutet, dass Frauen nicht so gut sind, dass sie später Familienverpflichtungen haben, sich deshalb nicht für die Wissenschaft engagieren können - und solche Stereotype finden wir auch gegenüber Migrantinnen. Wir finden aber auch andere Zuschreibungen: Eine Wissenschaftlerin, die Soziologin ist, hat uns berichtet, dass ihr immer zugeschrieben wurde, sie müsste doch zum Thema Migrationshintergrund arbeiten. Die gute Frau hat aber Techniksoziologie gemacht. Das passte überhaupt nicht in das Bild, dass eine Wissenschaftlerin mit türkischer Herkunft sich nicht mit Migrationsfragen beschäftigt, sondern ein ganz anderes Thema machen möchte.

Kann man denn sagen, dass Frauen aus bestimmten Herkunftsländern größere Probleme haben als andere?

Dazu kann unsere Studie nicht so genau etwas sagen, weil unser Sample nicht so groß ist. Wir haben aber zum Beispiel ein Interview mit einer schwarzen Frau gemacht, die sehr stark Diskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe und ihrer ethnischen Herkunft beschrieben hat, während Wissenschaftlerinnen, die aus Osteuropa kamen, stärker die Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts wahrgenommen haben.

Gibt es bestimmte Fächer oder Fächergruppen, wo die Vorbehalte gegenüber Wissenschaftlerinnen mit Migrationshintergrund besonders hoch oder besonders niedrig sind?

Im Bereich Informatik oder auch in bestimmten Natur- oder Ingenieurwissenschaften sind relativ viele Frauen mit Migrationshintergrund. Große Probleme, so wurde uns berichtet, gibt es etwa in der Germanistik. Eine Frau hat zum Beispiel im Ausland Germanistik studiert, ist dann nach Deutschland gekommen und wollte hier eigentlich mit ihrer wissenschaftlichen Karriere weitermachen. Mit Blick auf die Arbeitslage, die sowieso schwierig sei für Germanisten und Germanistinnen, wurde ihr gesagt: Na ja, du als Ausländerin hast dann überhaupt keine Chance.

Warum ist all das, was Sie bisher beschrieben haben, eigentlich in Deutschland ein bisher kaum beachtetes Thema?

Studentinnen im Hörsaal
Bild: imagesource

Ich denke, das liegt vor allem daran, dass Deutschland sich ja erst seit relativ wenigen Jahren überhaupt als Einwanderungsland definiert und wahrnimmt. Das war sozusagen generelle Politik oder Einstellung, die sich auch im Wissenschaftsbereich niedergeschlagen hat. Da ist es nur konsequent, dass auch die Gleichstellungspolitik in Deutschland sehr stark auf Gleichstellung von Frauen und Männern abhebt. Wenn wir dagegen mit Kolleginnen und Kollegen aus angelsächsischen Ländern oder auch aus Schweden oder den Niederlanden sprechen, die verstehen unter Gleichstellungspolitik eben ein sehr viel breiteres Feld, das Geschlecht und ethnische Herkunft einbezieht. Hier wird deutlich, dass in diesen Ländern Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft schon sehr viel länger wahrgenommen wird. Eines der Hauptprobleme ist, dass das Thema Migrationshintergrund an den Hochschulen einfach noch nicht angekommen ist, nicht wahrgenommen wird. Es gibt keine Anlaufstellen, keine Unterstützungsstellen, die auch die Breite von Migrationshintergrund wahrnehmen, die sich nicht nur sozusagen mit Internationalisierung beschäftigen, sondern eben auch mit Personen, die aus Deutschland kommen, aber Migrationshintergrund haben.

Welche Konsequenzen ergeben sich jetzt Ihrer Meinung nach aus der Studie für den Wissenschaftsbetrieb? Kann man Wissenschaftlerinnen mit Migrationshintergrund speziell fördern?

Ja, das kann man. Es gibt einige Mentoringprojekte - und es sind auch in letzter Zeit ein bisschen mehr geworden - die sich ganz speziell an Studentinnen und Wissenschaftlerinnen mit Migrationshintergrund wenden. Solche Projekte gibt es zum Beispiel schon etwas länger an der Universität Duisburg-Essen. Eine Konsequenz für uns ist aber auch, überhaupt erst den Mangel an Daten und Faktenwissen zu überwinden, den wir festgestellt haben. Wir haben auch die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten befragt und gemerkt, dass da eine gewisse Sensibilität ist, aber ein ganz großer Mangel an Daten und Faktenwissen. Das hat auch damit zu tun, dass in der deutschen Hochschulstatistik das Merkmal Migrationshintergrund nicht auftaucht. Wir können überhaupt nicht feststellen, wie viele Studierende mit Migrationshintergrund es tatsächlich gibt, die nicht aus dem Ausland kommen, sondern in Deutschland aufgewachsen sind.

Andrea Löther ist Herausgeberin der Studie und Mitarbeiterin des Kompetenzzentrums Frauen in Wissenschaft und Forschung CEWS in Bonn.

Das Interview führte Svenja Üing
Redaktion: Gaby Reucher