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Kampf um die Meinungshoheit

Heinrich Bergstresser19. Juli 2004

Die Cap Anamur liegt beschlagnahmt im Hafen, die Diskussionen über das Für und Wider der Aktion im Mittelmeer haben gerade erst richtig begonnen. Ein Kommentar von Heinrich Bergstresser.

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Wie immer die Affäre Cap Anamur in einem möglichen Gerichtsverfahren juristisch auch bewertet wird, eins hat sie Millionen von Fernsehzuschauern, Radiohörern und Zeitungslesern offenbart: im Kampf um die Meinungshoheit standen sich die Hilfsorganisation Cap Anamur und Politiker in Italien und Deutschland in nichts nach. Auf beiden Seiten agierten Medienprofis: hier der erfahrene Rundfunk-Journalist Elias Bierdel, der weiß wie die Medien ticken, der das Geschäft des Infotainments perfekt beherrscht. Und dort die Staatsmacht - beispielhaft verkörpert durch einen Politprofi wie Innenminister Otto Schily, der für Law and Order, für den Mainstream steht, und sich des Beifalls großer Teile der Gesellschaft sicher sein kann.

Wäre dieser Kampf um die Meinungshoheit aber ein ernstes Ringen um die öffentliche Meinung gewesen - und dieses Ringen ist ein zentraler Bestandteil jeder demokratischen Grundordnung - hätte sich dieses Ringen in erster Linie um Inhalte gedreht: um die europäische Flüchtlingspolitik, um internationale Menschenhändler und Schleuserbanden, um halb-kriminelle Juristen in Europa, die mit dem Elend vieler Flüchtlinge gutes Geld machen, um die zunehmende Entstaatlichung ganzer Lebensbereiche, wie zum Beispiel im weiten Feld Sicherheit, im Bereich der Nothilfe und in der Entwicklungspolitik. So aber verbleibt die Diskussion im inhaltsleeren Raum, wo nur die Form zählt, wo die Medien auf den nächsten Scoop lauern, um Sendezeit und Seiten zu füllen. Das Resultat: Wir sind eine Info-Gesellschaft, aber keine informierte Gesellschaft.

Dieser Zustand zeigt sich klar und deutlich am Beispiel der Affäre Cap Anamur. Der Erfolgsdruck aller - der Politik, der Zivilgesellschaft und der Medien - verbannt die wirklichen gesellschaftlichen Problemfelder in die Hinterzimmer kleiner Fachzirkel. Das aber beschädigt auf Dauer die Demokratie, die den öffentlichen Raum und die öffentliche Diskussion braucht, um zu reüssieren. Und die armen Schlucker aus Afrika? Sie sind doppelt betrogen: ausgenutzt und ausgesaugt von skrupellosen afrikanischen Geschäftemachern und zugleich benutzt zur Demonstration staatlicher Machtfülle und spektakulärer humanitärer Missionen.

Die Affäre um die Cap Anamur hinterlässt einen faden Nachgeschmack, und sie sollte mehr als nachdenklich stimmen, wie mit dem Elend anderer Menschen umzugehen sei - auf allen Seiten.