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Kampf mit den Worten

Veronika Meier26. November 2008

Poeten des Alltags werden sie genannt - die Slam Poeten. Sie stehen auf der Bühne, tragen selbst geschriebene Texte vor und buhlen um die Gunst des Publikums. Die 250 Besten sind jetzt in Zürich gegeneinander angetreten.

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Zwei Teilnehmer der Deutschen Meisterschaften 2008 im Poetry Slam in Zürich mit Mikrophonen in der Hand
Nicht nur der Text ist wichtig, auch mit der Performance kann man Punkte sammelnBild: solarplexus.ch/Lisa Küttel

Im normalen Leben sind sie Schüler, Studentinnen, Handwerker, Akademiker. Auf der Bühne aber werden sie zu Wortakrobaten und Dichtern. Zu Slam Poeten. Sie kommen im Anzug, im Mini oder in Schlabberhose, jeder so, wie er es mag. Auf der Bühne gibt es keinen Dresscode und keine Altersbeschränkung - was zählt sind der Inhalt und die Performance.


“Dasch s’Heidi”

Ein Teilnehmer der Deutschen Meisterschaften 2008 im Poetry Slam in Zürich vor dem Mikrophon
250 deutschsprachige Bühnendichter kämpften mit Worten um die Gunst des Publikums - und den Titel des besten Slam PoetenBild: solarplexus.ch/Lisa Küttel

Der 31-jährige Simon Libsig aus einer Kleinstadt in der Nähe von Zürich steht in Jeans und T-Shirt auf der Bühne und trägt einen Text vor über Heidi, seine Jugendheldin. “Dasch s'Heidi, dasch s'Heidi. Sie seit, lieber es Läbe ha, näbedra als vergäbe en Blog blogge und nüd z'säge z'ha.... Dasch s'Heidi. Sie isch lieber total normal als uh struub uf Youtube...”

Das Niveau der Texte bei den Meisterschaften in Zürich ist hoch. Die Zeiten als Slam Poeten nach der Hälfte ihres Vortrags den Text vergaßen, stotternd nach Worten suchten und von der Bühne gebuht wurden, sind vorbei. Die Szene habe sich professionalisiert, sagt Simon Libsig. Seit sechs Jahren ist er Slam Poet und einer der wenigen, die von der Bühnendichtung leben können.

“Wenn man jetzt zu einem Slam fährt, dann sieht man: Die Leute, die da auftreten, haben das geübt. Die können performen, die geben sich Mühe mit der Mimik, mit der Gestik. Die unterhalten das Publikum nicht nur mit dem Inhalt der Texte, sondern auch mit der Art und Weise, wie sie die Texte rüberbringen”, beschreibt er.


Vom Biomüll bis zu den tiefsten Wünschen

Publikum bei den poetry slam Meisterschaften. Einige Gäste halten Wertungskarten hoch.
Das Publikum ist die Jury - es bestimmt, wer bleiben darf und wer gehen mussBild: solarplexus.ch/Lisa Küttel

Und so sind die Texte mal ernsthaft, mal verspielt oder absurd - manchmal bittersüß und manchmal abgrundtief böse. Sie handeln vom Biomüll, den niemand heraus tragen will, von der totalen staatlichen Überwachung oder von einem, der eigentlich nichts zu sagen hat: “Wenn ich was zu sagen hätt.... müssten alle schwarz fahren... wer ein Ticket kauft, zahlt 60 Euro... aber ich würde auch das Geld abschaffen, wir würden den Präsidenten per Flaschendrehen wählen, alle Lehrer und Professoren müssten Tierkostüme tragen.”

Fünf Minuten haben die Bühnendichter Zeit, um die Zuhörer für sich einzunehmen und die Jury zu überzeugen. Die fünf Juroren sind willkürlich aus dem Publikum ausgewählt. Sie entscheiden mit ihren Noten zwischen eins und zehn, ob der Poet eine Runde weiterkommt. Das Urteil ist subjektiv, unberechenbar - und manchmal hart.

Die meisten der 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer scheiden bereits nach dem ersten Auftritt aus. Ins Halbfinale oder ins Finale kommen nur wenige. Auch Simon Libsig hat im Einzelwettbewerb den Einzug ins Finale der besten acht knapp verpasst. “Es ist ein großes Turnier, es ist eine große Ehre, hier anzutreten und es ist eine noch größere Ehre, hier zu gewinnen. Also ich denke: Gewinnen möchte jeder.”
Alle Slam Poeten haben eines gemeinsam: die Freude am Spiel mit der Sprache und am Auftritt auf jenen Brettern, die - manchmal - die Welt bedeuten.

Erfunden wurde der Poetry Slam 1986 von einem Bauarbeiter in Chicago. In den 90er-Jahren breitete sich der Wettstreit der Dichter auch in Europa aus.