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Vom Bonzenviertel zum sozialen Brennpunkt

31. Oktober 2009

"Zwei Welten" heißt ein Dokumentar-Theaterstück in Bonn. Es erzählt vom Wandel des Bonner Stadtteils Bad Godesberg. Die heile Welt ist ins Wanken geraten, seit dort Menschen mit Migrationshintergrund wohnen.

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Szene aus dem Theaterstück "Zwei Welten" (Foto: Thilo Beu)
Bild: Thilo Beu

Sieben Schauspieler stehen auf der Bühne der Kammerspiele. Sie reden darüber, wie sich Bad Godesberg – einst das Nobelviertel der Bundeshauptstadt Bonn - verändert hat. Früher haben hier Diplomaten und höhere Beamte gewohnt. Man kaufte in teuren Geschäften ein, speiste in schicken Restaurants. Die Gründerzeitvillen und das wohlhabende Bürgertum gibt es zwar noch. Aber daneben ist eine andere Welt entstanden: Die Welt der Zuwanderer aus Marokko, Syrien, Algerien, aus der Türkei und Russland. Diese Welt wird geprägt von Kopftuch und Schleier, von fremdartigen Cafés und Lebensmittelgeschäften, von der großen Moschee – und neuen Problemen. Davon erzählt das Theaterstück "Zwei Welten" und davon berichtet auch das gleichnamige Buch der Journalistin Ingrid Müller-Münch.

Zwei Jugendliche stehen sich gegenüber (Foto: Thilo Beu)
Designer-Shirts als ProvokationBild: Thilo Beu

Recherchen zwischen zwei Welten

Monatelang hat Müller-Münch mit Sozialarbeitern, Pfarrern, Integrationsbeauftragten, Anwohnern, Geschäftsleuten, Polizei und Jugendrichtern gesprochen. Vor allem aber hat sie Jugendliche getroffen: Die aus den "feineren" Vierteln und die anderen - die aus dem Ghetto. Gerne hätte sie ein schönes "Multi-Kulti-Stück" geschrieben, sagt die Autorin. Entstanden ist aber eine verstörende Studie über Jugendgewalt, Behördenohnmacht, Bürgerempörung, ein Protokoll der Verzweiflung und Ratlosigkeit. Es ist ein Bühnenstück, das beunruhigt und nachdenklich macht – vielleicht sogar provoziert.

Schleichender Wandel

Im Süden der einstigen Bundeshauptstadt hat, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, ein tiefgreifender Wandel stattgefunden. Die Veränderung ist erst wenige Jahre alt. Sie begann, nachdem Regierung und diplomatische Vertretungen nach Berlin gezogen sind. Wo früher kleine Angestellte wie Pförtner, Gärtner oder Sekretärinnen der Botschaften wohnten, sind Migranten eingezogen. "Niemand hat sich um diese Menschen gekümmert", berichtet Ingrid Müller-Münch. Und so haben sich, wie sie sagt, ghettoähnliche Zustände entwickelt. In den schick restaurierten Villen und besseren Wohnvierteln residiert weiter das gehobene Bürgertum: Pensionierte Ministerialbeamte, gutsituierte Familien, deren Kinder die teuren Privatgymnasien am Ort besuchen. Mit den jugendlichen Migranten ein paar Straßen weiter haben sie nichts zu tun.

Szene aus "Zwei Welten" (Foto: Thilo Beu)
Elite-Schüler treffen auf JugendgangsBild: Thilo Beu

Verlierer gegen Gewinner

Außer, wenn es zu Schlägereien und Überfällen kommt, wie vor drei Jahren im Kurpark: Bei einer Grillparty wurden Abiturienten von einer großen Gruppe Ausländer attackiert, seither reißen im einst so beschaulichen Diplomatenviertel Pöbeleien, Prügeleien und Diebstähle nicht mehr ab. Jugendliche Migranten treffen auf Sprösslinge aus gut betuchten Elternhäusern. Anders gesagt: Gesellschaftlich Abgehängte und eine behütete Elite prallen aufeinander. "In Bad Godesberg repräsentieren die hier lebenden Schüler der Privatgymnasien den Wohlstand. Diese Jugendlichen gehen mit hoch gestelltem Kragen und teuren Gucci-Gürteln durch die Gegend. Die Gymnasiasten wollen nicht provozieren, aber sie provozieren einfach dadurch, dass sie so sind wie sie sind. Und die Jugendlichen mit Migrationshintergrund reagieren aggressiv darauf", weiß Ingrid Müller-Münch.

Ohnmacht und Verzweiflung

Nett seien alle Jugendlichen gewesen. Die etwas arrogant daherkommenden Eliteschüler ebenso wie die Gang-Mitglieder mit dem Strafregister. Die Journalistin hat in den letzten Monaten viele bedrückende Geschichten von Ausgegrenzten und Verlierern gehört. "Die Jugendlichen erzählen, wie es ist, in einem Viertel groß zu werden, in dem keiner der jungen Leute eine Perspektive hat. Weil sie im Höchstfall Hauptschüler sind, aber meist die Schule abgebrochen haben. Weil die Eltern kein Deutsch sprechen. Weil keiner sich um sie kümmert. Weil es keine Jugendeinrichtungen gibt . Weil aber auch sie Anerkennung und Geld wollen."

Szene aus dem Theaterstück "Zwei Welten" (Foto: Thilo Beu)
Doku-Theater mit gesellschaftlichem ZündstoffBild: Thilo Beu

Tabu kommt auf die Bühne

Auf der anderen Seite traf die Journalistin erschöpfte Sozialarbeiter, frustrierte Ehrenamtliche und genervte Anwohner, die dem Phänomen ratlos gegenüber stehen. "Viele fühlen sich mit den Problemen alleine gelassen." Niemand wage es, offen auszusprechen, was im Bonner Süden wirklich los sei, berichtet die Autorin. Die Gewaltkriminalität der Jugendlichen aus Migrantenfamilien ist ein Tabu. Die Helfer in den sozialen Einrichtungen sind überfordert. Der Unmut unter den Anwohnern wächst. Die Not der Benachteiligten auch. Und die Betroffenen wollen nicht länger, dass so getan wird als wäre alles in Ordnung. "Ziel meines Stückes ist es daher, Leuten, die nie zu Wort kommen, Gehör zu verschaffen", sagt Ingrid Müller-Münch. "Es gibt einen Teil dieser Gesellschaft in dem Jugendliche einfach verloren sind. Und um die sich auch niemand kümmert. Und wenn das so weitergeht, dann wird das einfach eine Katastrophe – wenn es nicht schon eine ist."

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Sabine Oelze, Annamaria Sigrist