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Kambodschas Last der Vergangenheit

Klemens Ludwig28. Juli 2003

In Kambodscha wurde am Sonntag (27.7.) ein neues Parlament gewählt. Ergebnisse gibt es erst in den nächsten Tagen. Vor der Wahl rückte ein verdrängtes Thema in den Mittelpunkt: der Terror der Roten Khmer. Ein Rückblick.

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Wahlkampf in den Straßen von Phnom PenhBild: AP

Unter der Herrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 kamen rund 1,7 Millionen Menschen ums Leben. Die Verantwortlichen für den Völkermord wurden bisher nicht vor Gericht gestellt. Und ohne Druck aus dem Ausland würde der Wahn, dem knapp zwei Millionen der sechs Millionen Bewohner zum Opfer gefallen sind, wohl komplett verdrängt werden.

Es war die vietnamesische Armee, die dem Terrorregime der Roten Khmer im Januar 1979 ein Ende bereitete. Doch von da an war es noch ein langer Weg bis zum inneren Frieden. Die Entmachteten bekämpften die neue Regierung vom Dschungel aus - und das sogar mit amerikanischer Unterstützung. In der Zeit des Kalten Krieges galt Vietnam als der wichtigste Verbündete der Sowjetunion in Südostasien. Den sowjetischen Einfluss einzudämmen war den Westmächten wichtiger als moralische Skrupel. Bezeichnenderweise kam es erst zum Frieden in Kambodscha, als das Sowjetreich zerfallen war.

Gnade für Überläufer

1993 wurde eine neue, demokratische Verfassung verabschiedet, und der schwierige Weg in die Normalität begann. Dabei stelle Premierminister Hun Sen schon frühzeitig die Weichen für den Verdrängungsprozess, als er selbst den höchsten Kadern der Khmer Rouge eine Amnestie für ihre Verbrechen und die Rückkehr in die Zivilgesellschaft anbot, wenn sie sich stellten. Davon machten viele Gebrauch. 1996 lief die Nummer 3 in der Hierarchie der Roten Khmer, der frühere Außenminister Ieng Sary, mit zwei Dritteln der damals noch verbliebenen Streitkräfte über. Er wurde umgehend vom Staatsoberhaupt Prinz Sihanouk begnadigt.

Es sollte kein Einzelfall bleiben, und die Überläufer führen heute - umgeben von Bodyguards - ein freies Leben. Besonders erfolgreich ist Ieng Sary, der einen lukrativen Edelstein- und Holzhandel betreibt. Nur zwei hochrangige Funktionäre befinden sich derzeit in Haft, darunter der militärische Führer Ta Mok, genannt der "Schlächter". Pol Pot, der unbestrittene Kopf des Regimes, starb am 15. April 1998. Da sein Leichnam sofort verbrannt wurde, wuchern die Spekulationen über seinen Tod. Offiziell ist er an Herzversagen gestorben, doch viele halten auch Selbstmord oder Mord für möglich; er hätte ein Hindernis für die oberflächliche Versöhnung sein können, die Hun Sen mit den führenden Kadern anstrebte.

Keine Aufarbeitung der Vergangenheit

Dieses Vorgehen trägt nach Meinung von Bürgerrechtsgruppen nicht dazu bei, mit der Vergangenheit abzuschließen. Im Gegenteil. Youk Chank vom Genozid-Dokumentationszentrum in Phnom Penh glaubt zwar, "dass die Bevölkerung von Kambodscha bereit ist, nach vorne zu schauen und zu vergeben." Doch die eigentliche Frage sei, "wie können wir das anstellen, wenn diejenigen, die für den Mord an deinem Bruder und deiner Schwester verantwortlich waren, frei herum laufen und Immunität genießen?" Chank ist überzeugt: "Ohne sich den Ereignissen zu stellen, ist es unmöglich, nach vorne zu schauen und zu vergessen."

Sich den Ereignissen zu stellen, bedeutet ein Tribunal einzurichten, das auch die UNO fordert. Dagegen hat sich Hun Sen lange gewehrt. Zum einen spielen dabei alte Seilschaften eine Rolle. Der Premierminister hatte in den Anfangsjahren selbst zu den Roten Khmer gehört. Zum anderen will er sich nicht vom Ausland den Umgang mit der Vergangenheit aufzwingen lassen, ein Argument, das von Teilen seiner Wähler durchaus akzeptiert wird. Nur auf massiven Druck der UNO und der ausländischen Geldgeber stimmte das Parlament Mitte März einem Tribunal zu. Der Journalist Nil Samorn bringt die Haltung der Kritiker angesichts der jahrelangen Hinhaltetaktik auf den Punkt: "Wenn wir über die Khmer Rouge sprechen, sind wir wütend. Wenn wir aber über das Tribunal sprechen, sind wir frustriert."

Neuer Umgang mit mörderischer Vergangenheit

Mit dieser Frustration soll es nach der Wahl vorbei sein, denn dann werden die endgültigem Modalitäten für das Tribunal festgelegt. Schon jetzt steht fest, dass es mit internationalen und einheimischen Richtern besetzt wird. Die Todesstrafe soll nicht verhängt werden, dafür wird aber die umstrittene Amnestie aufgehoben, so dass es mit dem unbeschwerten Leben von Ieng Sary und anderen bald vorbei sein könnte. Der Umgang mit der mörderischen Vergangenheit ist jedoch nach wie vor gefährlich. Im Wahlkampf wurde ein Richter erschossen, der schon jetzt Verfahren gegen führende Rote Khmer in die Wege leiten wollte. Von seinen Mördern fehlt jede Spur.