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Künstler für Gauck

28. Juni 2010

Aufruf per Facebook zur Gauck-Feier: Zwei Stunden lang begeisterten sich Künstler in Berlin für Joachim Gauck. Kulturhappening und Sekt für den Kandidaten der Volksherzen. Dem gefiel das, euphorisch wurde er nicht.

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Frau füllt Gläser mit Sekt (Foto: dpa)
Prost, Joachim!Bild: picture alliance / dpa

So unvorhersehbar war der Ausgang einer Bundespräsidentenwahl in Deutschland selten. Union und FDP haben in der Bundesversammlung zwar eine Mehrheit, doch viele prominente CDU-Politiker haben sich dafür ausgesprochen, die Wahl frei zu geben, also bei der Abstimmung auf einen Fraktionszwang zu verzichten. Und wenn das geschieht, hat Joachim Gauck gute Chancen. Er wurde zwar von der SPD und den Grünen nominiert, ist aber parteilos. Es gibt mehrere unabhängige Initiativen, die ihn unterstützen – unter anderem die Facebook-Gruppe "Gauck als Bundespräsident", die inzwischen 35.000 Mitglieder hat. Sie wurde von Christoph Giesa ins Leben gerufen, dem früheren Chef der FDP-Nachwuchsorganisation "Junge Liberale" in Rheinland-Pfalz.

Mit Herz und Verstand für Gauck

Und auch Künstler werben für Gauck. "Sollten die Wahlmänner und -frauen in der anstehenden Wahl tatsächlich ihrem Gewissen, ihrem Herzen und ihrem Verstand folgen und sich nicht von Fraktionszwängen und politisch-taktischem Kalkül fernsteuern lassen, dann wird Joachim Gauck der nächste Bundespräsident Deutschlands!", rief Bastian Sick am Freitag, im überfüllten Saal des Berliner Radialsystems den Besuchern zu. Er erntete stürmischen Applaus. Popsänger, Theaterautoren, Schauspieler und Musiker waren in das Kulturzentrum gekommen, um sich für ihren Wunschkandidaten zu engagieren - ohne dass eine Partei sie dazu aufgefordert hätte.

Porträt von Joachim Gauck (Foto: apn)
Ihn wollten sie alle - die zur Party ins Berliner Kulturzentrum "Radialsystem" kamenBild: AP

Jochen Sandig gehört zur Künstlerischen Leitung des Hauses. Die Freude war ihm anzusehen, als er die Bühne betrat. "Hier findet eine echte Bürgerbewegung statt. Ich glaube unser Land hat darauf gewartet, und egal was am 30. Juni passieren wird, diese Wahl wird unser Land nachhaltig verändern!" Das klingt ein wenig zu euphorisch, wenn man bedenkt, dass der Bundespräsident in Deutschland wenig Einfluss auf die praktische Politik hat. Allerdings ist er immerhin der höchste Repräsentant des Staates. Er muss Stimmungen im Land wahrnehmen und darauf reagieren.

Der Vetrauensmann

Joachim Gauck hat als Bürgerrechtler in der DDR moralische Standfestigkeit bewiesen und nach der Wende als Leiter der nach ihm benannten Behörde Stasi-Akten öffentlich zugängig gemacht. Er ist redegewandt und hat etwas, das vielen Berufspolitikern fehlt - menschliche Wärme. Im Radialsystem begrüßte er die Besucher nicht mit der abgegriffenen Formulierung "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger", sondern rief einfach: "Hallo Menschen!" Bei anderen würde das wie eine Worthülse klingen, doch beim ihm wirkt es glaubhaft. Politisch ist Gauck ein konsequenter Streiter für Demokratie.

Der frühere Bürgerrechtler Joachim Gauck bei einer Rede (Foto: dpa)
Hingucken, mahnen und vertrauenswürdig sein - viele glauben, Gauck kann das besonders gutBild: picture-alliance/dpa

"Wir mögen alle sehr verschieden sein - politisch, sozial und kulturell. Doch es eint uns der Wunsch, dass wir in diesem Land beheimatet sein wollen. Und das geht besser, wenn wir Vertrauen haben können in Politiker, in Institutionen und wenn wir alle miteinander wissen, dass nicht nur die Politiker und Institutionen Staat machen, sondern die Bürgerinnen und Bürger. Wir machen zusammen diesen Staat!" Der Saal lag Joachim Gauck nach diesen Sätzen zu Füßen. Sebastian Krumbiegel von der Popband "Die Prinzen" sagte, dass die Wahl von Joachim Gauck ein positives Zeichen für diejenigen wäre, die politikverdrossen sind. Joachim Gauck sei einer, dem man vertrauen und der Menschen wieder für die politische Beteiligung begeistern könne.

Inspirator und Ball-flach-Halter

Bei allem Lob, das Gauck an diesem Abend bekam, wurden natürlich auch Erwartungen spürbar, die Menschen an Politik haben. Sie soll gerecht sein, verlässlich, auf das Gemeinwohl ausgerichtet - und nicht nur auf die Interessen einer Klientel. Die Hoffnungen, die sich an Gauck knüpfen, sind hoch - zu hoch vielleicht, um alle erfüllt zu werden. Der Kandidat selbst versucht jetzt schon, die Euphorie seiner Anhänger zu dämpfen und verabschiedete sich im Radialsystem ganz wahlkampfuntypisch mit den Worten. "Halten wir den Ball flach."

Autor: Oliver Kranz
Redaktion: Marlis Schaum