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Günter Schabowskis Leben nach dem Mauerfall

6. November 2009

Am 9. November 1989 um 18.53 Uhr geht Günter Schabowski wider Willen in die Geschichte ein. Die DDR Führung musste handeln, machte Fehler und Schabowski verkündete sie. Die Mauer fiel und damit die DDR.

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Ein ernstes Gesicht macht Günter Schabowski, Mitglied des Politbüros des ZK der SED und 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin, auf der Pressekonferenz am 09.11.1989. Auf ihr gab Schabowski die Öffnung der Grenze bekannt. Foto (dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa
Demonstrationen in der DDR 1989. Der Erste Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlins, Günter Schabowski, wird bei seiner Rede ausgepfiffen Foto: (Ullstein-Ritter)
Schabowski als 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung BerlinBild: ullstein - Ritter

Die beiden Bruderstaaten Tschechoslowakei und Ungarn hatten ihre Grenzen geöffnet, so dass die DDR-Bürger in den Westen ausreisen können. Massen sind auf der Flucht. Die DDR-Regierung muss handeln und eine Reiseregelung für ihre Bürger treffen. Sie tut das im Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Günter Schabowski kann nicht dabei sein, er steht während dessen vor den Tagungsräumen, kümmert sich um Journalisten, vermittelt Kontakte. Weil er früher Journalist war, übernimmt er die Pressearbeit und die Aufgaben eines Regierungssprechers.

Schabowskis Zettel

Als das Plenum beendet ist, drückt Egon Krenz Schabowski einen Zettel in die Hand. Krenz ist Nachfolger von Erich Honecker, Staatchef der DDR. Auf dem Zettel steht, was Schabowski auf der anschließenden internationalen Pressekonferenz verkünden soll. Aber auf diesem Zettel sind zwei Formulierungen handschriftlich verändert. Und damit beginnt eine ganze Fehlerkette. Schabowski ist nicht auf dem neuesten Stand und hat keine Ahnung von dem, was das Plenum beschlossen hat. Und vor allem gelten die Bestimmungen, die auf dem Zettel stehen, erst ab dem nächsten Tag. Zuvor sollten die Grenzposten über die neue Regelung informiert werden. Aber diese Randnotiz über den Gültigkeitsbeginn vergisst Krenz Schabowski mitzuteilen und macht ihn damit zum Mauerstürzer.

Menschen feiern auf der Berliner Mauer in der Nacht vom 9. auf 10. November 1989. (Bild: AP)
Nach der Pressekonferenz verkünden die Medien: Die Mauer ist gefallenBild: AP

Die Pressekonferenz vor den internationalen Journalisten ist eher belanglos - bis es 18.53 Uhr wird, und dem Journalisten der italienischen Nachrichtenagentur ANSA das Wort erteilt wird. Riccardo Ehrmann, Sohn jüdischer Emigranten aus Deutschland, spricht mit typisch italienischem Akzent: "Glauben Sie nicht, dass war ein großer Fehler, diesen Reisegesetzentwurf, das Sie jetzt haben vorgestellt vor wenigen Tagen?". Der SPIEGEL hat Schabowskis folgendes Statement genau analysiert: Acht Minuten durcheinander geredetes Deutsch, 30 Ähs und weil es so unstrukturiert war, kamen 14 hörbare und etwa ebenso viele unverständliche Zwischenfragen. Die Sätze Schabowskis sind so unklar, dass die Journalisten nun ein Sammelsurium von Informationen in die Welt streuen. Den genauen Inhalt versteht kaum jemand. Am Ende aber kommt heraus: Die Grenze ist offen.

Der Königsmörder

Der fruehere DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz, links, lacht zum Verhandlungsbeginn im Saal des Berliner Landgerichtes am Donnerstag, 12. September 1996, waehrend Guenter Schabowski, rechts, in seinen Unterlagen liest und Horst Dohlus, mitte hinten, sich mit seinem Anwalt beraet. Von einst sieben Angeklagten des ehemaligen SED-Politbueros stehen seit der Abtrennung des Verfahrens gegen Erich Mueckenberger vor zwei Wochen nur noch vier im Prozess um die Verantwortung fuer die Todesschuesse an der Mauer vor Gericht. (AP Photo/ Jan Bauer)
Egon Krenz und Günter Schabowski während des PolitbüroprozessesBild: AP

Diese Pressekonferenz hat der DDR den Verfallsstempel aufgedrückt. Ab jetzt war die Deutsche Einheit und die Auflösung der DDR eine Frage der Zeit. Schabowskis Partei stellte ihn deswegen an den Pranger. Später wird Schabowski schreiben, dass er unter der Rolle als DDR-Totengräber und den Vorwürfen der SED gelitten habe, rechtfertigt sich aber "wenn ein System daran zu Bruch geht, dass sich die Menschen frei bewegen können, hat es nicht Besseres verdient."

Die Rolle des Mauerstürzers ist die wichtigste, daneben hat er die Rolle als Königsmörder gespielt, und die war vor dem Mauerfall. Er und Egon Krenz wollten auch in dieser letzten Episode noch von der DDR retten, was zu retten war. Den reformunwilligen "Alten" – gemeint ist Erich Honecker - haben beide gestürzt. Der König war tot, der nächste König – Egon Krenz – war fahl im Gesicht, denn das Reich zerfiel.

Ungeliebt und ausgestoßen

Bereits im Jahr 1989, nach dem Mauersturz äußert sich Schabowski kritisch über die DDR, über die Diktatur und auch über sich selbst. 1990 schließt ihn die SED, die gerade zur PDS mutiert, aus der Partei aus. Schabowski steht beruflich vor dem Nichts. Parteikarriere erloschen und Journalistenkarriere á la DDR auch. Beruflich fängt er noch mal ganz unten an. Zweieinhalb Jahre arbeitslos, dann bekommt er in Bebra in Hessen einen Job als Layouter und technischer Mitarbeiter beim Anzeigenblatt "Heimat-Nachrichten". Der Ex-Chefredakteur lebt vom neuen Gehalt, von Vorträgen und von der Rückzahlung seiner Beiträge für die Partei-Rente. Für sein neues Blatt darf er nicht schreiben, nur redigieren.


Der Politbüroprozess

ARCHIV - Günter Schabowski, ehemals Mitglied des SED-Politbüros, aufgenommen bei der Aufzeichnung der ZDF-Sendung "Nachtstudio" in den Berliner Union-Filmstudios zum Thema: "Warten auf ein Wunder - Wie lange bleibt die Mauer in den Köpfen?" (Archivfoto vom 18.01.2008). Foto: Karlheinz Schindler dpa/lbn (zu dpa Korr.: "«Grenzöffner» Schabowski: DDR war missglückter Versuch" vom 30.12.2008) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Schabowski im Jahr 2008Bild: DPA

Im umfangreichsten Prozess der deutschen Nachkriegsgeschichte, dem Politbüroprozess, wurde Günter Schabowski wegen vielfachen Totschlags vor dem Landgericht angeklagt. Das Gericht verurteilte Schabowski, Egon Krenz und den Ex-DDR Minister Günter Kleber im Jahr 1997 zu drei Jahren Haft. Schabowski war der einzige, der seine moralische Schuld an den Todesschüssen anerkannte. "Die Konsequenz war, dass ich das, was ich lange Zeit so minder bewertet habe, nämlich Demokratie, zu dem Wert überhaupt geworden ist. Kein formaler Ausdruck von Politik, sondern Wesensinhalt von Politik – das ist auch heute meine Überzeugung." Das sagte er beispielsweise in einem Interview der Deutschen Welle.

Im Dezember 1999 trat er die Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Hakenfelde an, wurde aber im September 2000 vom damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, begnadigt und nach einem knappen Jahr Haft im offenen Vollzug entlassen. Das Eingeständnis seiner Schuld und auch die selbst reflektierenden Interviews haben ihm Sympathien in ganz Deutschland eingebracht.

Autor: Carol Lupu

Redaktion: Tobias Oelmaier