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"Kämpferischer Kanzler"

Wolter von Tiesenhausen28. November 2001

Traditionell ist der Kanzleretat Anlass zur Generalaussprache des Bundestages. So auch an diesem Mittwoch (28. November), an dem sich Bundeskanzler Schröder der Kritik der Opposition stellen musste.

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Nach den Terroranschlägen in den Vereinigten Staaten hatte sich ein Art politischer Schleier über die innen- und wirtschaftspolitischen Probleme der Deutschen gelegt. Niemand dachte mehr an steigende Arbeitslosenzahlen, an Steuererhöhungen, Wirtschaftsflaute und die Krise der sozialen Sicherungssysteme. Fragen der inneren und äusseren Sicherheit bewegten die Menschen. Es ging um den deutschen Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, um die Schwierigkeiten, die die rotgrüne Koalition von Bundeskanzler Gerhard Schröder dabei hatte. Jetzt, da der Schleier verweht ist, treten die alten Probleme umso deutlicher wieder zu Tage.

In der Debatte über seinen Haushalt bemühte sich der Kanzler, diese Sorgen mit einem betont kämpferischen Auftritt zu bannen. Seine Erklärungsversuche konnten allerdings nicht davon ablenken, daß die Ursachen für die innen- und wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten zum grössten Teil hausgemacht sind. Das von ihm selbst gesetzte Ziel, die Arbeitslosenzahlen deutlich zu senken, hat er verfehlt und wird es auch nicht bis zur Bundestagswahl in weniger als einem Jahr erreichen.

Die sozialen Sicherungssysteme - also die Versicherungen für die Altersrente, gegen Krankheit, für den Pflegefall und gegen Arbeitslosigkeit - erfordern immer noch Beiträge, die über der vom Kanzler gesetzten 40-Prozent-Marke - gemessen am Bruttoeinkommen eines Arbeitnehmers - liegen. Das belastet zusammen mit den bereits vollzogenen oder schon beschlossenen Steuererhöhungen die einzelnen Arbeitnehmer ebenso wie die Wirtschaft. Auch deshalb bildet Deutschland mit seinem minimalen Wirtschaftswachstum das Schlußlicht unter den Staaten der Europäischen Union.

Alle Anregungen, auf die bereits beschlossenen und zum Jahresbeginn in Kraft tretenden Steuererhöhungen zu verzichten und damit der lahmenden Wirtschaft einen Anschub zu geben, hat der Kanzler verworfen. Er ist entschlossen, an der Konsolidierungspolitik seines Finanzministers festzuhalten. Da braucht er jede Steuermark, wenn im Jahr 2006 das ehrgeizige Ziel eines neuverschuldungsfreien Bundeshaushaltes erreicht werden soll. Möglicherweise könnte es bei der Gestaltung des Arbeitsmarktes noch Bewegung geben. Hier sehen die Grünen im Gegensatz zu den Sozialdemokraten die Notwendigkeit der Flexibilisierung.

Daß die Opposition, vor allem dir Christdemokraten, diese Schwäche der Regierung nicht besser nutzen, liegt an ihrem nach wie vor ungeordneten Zustand. Die Sünden der alten Führung unter Helmut Kohl sind noch nicht vergessen. Die Formulierung der eigenen programmatischen Position ist noch nicht abgeschlossen. Die Entscheidung, wer denn nun die Partei als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führen soll, steht noch aus. Da fällt es schwer, sich als überzeugende Alternative zur amtierenden Regierung zu präsentieren. Der Wähler, dem die Probleme auf den Nägel brennen, fühlt sich von beiden - von der Regierung und von der Opposition - im Stich gelassen.