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Jüdische Organisationen im Clinch mit der EU

Bernd Riegert, Brüssel19. Februar 2004

Das Verhältnis zwischen jüdischen Organisationen und der EU-Verwaltung in Brüssel ist angespannt. Das zeigt sich unter anderem in den immer wiederkehrenden Wortgefechten zum Antisemitismus in Europa.

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Viele Juden in Europa haben Angst vor AnschlägenBild: AP

Der Vorsitzende des Europäischen Jüdischen Kongresses, Cobi Benatoff, hat die EU zu konkreten Aktionen aufgefordert: Die EU solle zusammen mit seiner Organisation einen Ausschuss zur Beobachtung von antisemitischen Zwischenfällen in Europa einrichten. Der Kongress der europäischen Juden erwartet zudem Unterstützung der EU-Staaten für eine Antisemitismus-Resolution der Vereinten Nationen, die von Irland eingebracht werden soll.

Zur gegenseitigen Verständigung findet am 19. und 20. Februar 2004 eine hochkarätige Tagung der EU-Kommission und jüdischer Verbände zum Antisemitismus in Europa statt. Das Seminar kam erst nach einem Versöhnungsgespräch zwischen Israel Singer vom Jüdischen Weltkongress und Romano Prodi zustande. Auf der Rednerliste der Tagung stehen unter anderem der Holocaust-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Ellie Wiesel, der israelische Minister für Diaspora-Angelegenheiten, Natan Sharansky, EU-Kommissiospräsident Romano Prodi sowie Bundesaußenminister Joschka Fischer.

Schädliche Ignoranz

Am wichtigsten sei es, so Cobi Benatoff, die jungen Menschen in Europa zu erziehen und ein klares Bild über Juden und ihre Geschichte zu vermitteln: "Antisemitismus gründet auf Ignoranz. Die meisten Menschen, die sich in Umfragen antisemitisch äußern, sind noch nie in ihrem Leben einem Juden begegnet."

Benatoff bezog sich auf eine Umfrage und eine Studie im Auftrag der Europäischen Union, die auf wachsenden Antisemitismus schließen lässt. Die EU hatte die Studie zunächst veröffentlicht, dann aber wegen angeblicher fachlicher Mängel wieder zurückgezogen. Daraufhin hatten jüdische Verbände Anfang Januar der EU-Kommission Förderung des Antisemitismus vorgeworfen, was Romano Prodi, der Kommissionspräsident empört zurückwies.

Friedensnobelpreisträger spricht

Israel Singer Vizepräsident des World Jewish Congress
Dr. Israel Singer, Vize-Präsident des World Jewish CongressBild: AP

In den vergangenen Jahren gab es vor allem in Westeuropa eine Zunahme judenfeindlicher Übergriffe und Gewalttaten. In Frankreich und Belgien wurden Synagogen sowie jüdische Schüler und Geistliche angegriffen. Die Täter waren meist in islamistischen Kreisen zu suchen. In Deutschland sorgten die antisemitischen Äußerungen des nordrhein-westfälischen FDP-Chefs Jürgen Möllemann und des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann für Aufregung.

Unselige Verbrüderung

Die unselige Verbrüderung von Rechtsradikalen, Islamisten, muslimischen Einwanderern und linken pro-palästinensischen Gruppen nähre den Antisemitismus in Europa, so Cobi Benatoff vom Europäischen Jüdischen Kongress: "Wir sind in die Hauptstadt Europas gekommen, um unserer Sorge Ausdruck zu verleihen, dass jüdische Bürger in Europa kein normales Leben führen können. Was uns am meisten besorgt ist, dass dies gleichgültig von unseren Mitbürgern hingenommen wird."

Lesen Sie im folgenden von der Gratwanderung der EU im israelisch-palästinensischen Konflikt.

Die von der EU-Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien in Auftrag gegebene und schließlich zurück gezogene Studie zeigte, dass Antisemitismus im Schatten des israelisch-palästinensischen Konfliktes und dem Scheitern der "Road Map" stark angestiegen ist. Kritik an der israelischen Regierungspolitik sei kein Antisemitismus, meinte Cobi Benatoff, aber die EU habe sich zu eindeutig auf die Seite der Palästinenser begeben: "Wir glauben, dass der Ansatz überhaupt kein Gleichgewicht wahrt. Wir glauben, dass die Finanzierung der Palästinensischen Autonomiebehörde, die auch in unseren Augen wichtig ist, in nachlässiger Weise gehandhabt wird."

EU-Steuergeld für Terroristen?

Dahinter steht der von jüdischen Lobbyisten oft geäußerte Verdacht, die Palästinensische Autonomiebehörde, deren Gehälter zum größten Teil von der EU finanziert werden, missbrauche Gelder, um Terrorgruppen zu unterstützen. Interne Prüfungen haben dafür, laut EU-Kommission, bisher keine Anhaltspunkte ergeben.

Romano Prodi in Washington
Romano ProdiBild: AP

EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, der am Mittwochabend - ein Zufall im Terminkalender - mit dem palästinensischen Ministerpräsidenten Ahmed Kureia zusammentraf, wies die Kritik Benatoffs umgehend zurück. "Unsere Politik ist es immer gewesen und wird es immer sein, Sicherheit und Frieden für das israelische und das palästinenische Volk zu erreichen", so Prodi. "Das ist in keiner Weise unausgewogen."

Krebsgeschwür in Europa

Der geschäftsführende Vizepräsident des World Jewish Congress, Israel Singer, sagte, es gehe nicht darum, Islam und Judentum gegeneinander auszuspielen. Im Gegenteil, zum ersten Mal böte sich die Chance, dass die Religionsgemeinschaften gemeinsam mithelfen, das "Krebsgeschwür des Antisemitismus" in Europa zu vernichten.

Der New Yorker Rabbiner Singer plädierte leidenschaftlich dafür, Antisemitismus in Europa nicht länger unter den Teppich zu kehren: "Das Treffen wird der Welt die Wahrheit über Antisemitismus verkünden. Wahrheitskommissionen stehen am Anfang eines Wandels. Dies ist der erste Tag einer veränderten Welt."

Historischer Rückblick

Vergangene Woche hatte der amerikanische Botschafter bei der Europäischen Union, Rockwell Schnabel, das antijüdische Klima in Europa mit den Zuständen der Dreißiger Jahre verglichen, als in Deutschland Adolf Hitler seine nationalsozialistische Diktatur errichtete. Diesen Eindruck hatte der Außenbeauftragte der EU, Javier Solana, prompt als zu undifferenziert zurückgewiesen. Natürlich gebe es keine Rechtfertigung für Angriffe auf Juden oder ihre Gotteshäuser, was mit der ganzen Härte des Rechtsstaates verfolgt werden müsse.