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Jugendorganisationen in Russland: Komsomol und demokratische Werte

15. Dezember 2005

Lange Zeit galt die russische Jugend als apolitisch. Doch immer mehr junge Menschen engagieren sich in Organisationen, die auch politische Ziele verfolgen. Viele sind für Putin, andere hoffen auf einen Machwechsel.

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Russische Milizionäre mit jugendlichem Demonstranten (Mai 2005)Bild: AP

"Iduschtschije vmeste" steht auf der Stahltür im Innenhof eines Petersburger Wohnblocks. Aleksej Kusnetsow dreht den großen Schlüssel um und bittet ins Büro. "Iduschtschije vmeste" heißt so viel wie "Die gemeinsam gehen". Die Organisation wurde 2001 gegründet, ursprünglich als "Die mit Putin gehen", um den Präsidenten zu unterstützen. Auf dem Schreibtisch steht ein in Gips gegossener Miniatur-Putin in Judo-Kleidung.

Erinnerungen an den Komsomol

Die "Gemeinsam gehenden" helfen Kinderheimen, organisieren Theaterbesuche und Ausflüge für Jugendliche. Ihre Devise erinnert an den Komsomol, die sowjetische Jugendorganisation: Sie wollen immer und überall besser sein. Aleksej Kusnetsow ist einer der drei Gründer der Gruppe in Sankt Petersburg. Er meint: „Im Komsomol gab es viel Positives. Die Jugend hat dort ein Gefühl für das Kollektiv entwickelt. Anfang der 90er Jahre, nach dem Zerfall der Sowjetunion, gab es in unserem Land einen extremen Hang zum Individualismus, man kann sogar sagen, zum Egoismus. Die Menschen sind wie Wölfe miteinander umgegangen. Das war falsch. Jetzt kommen wir allmählich zu einem gesunden Gefühl für das Kollektiv zurück, zu einem Gefühl für unsere einheitliche Nation, für das Volk, das in Russland lebt. Das ist gut, und in diesem Sinn wollen wir unsere Jugend erziehen. Unsere Aufgabe ist es, eine geistig, moralisch und körperlich gesunde Jugend heranzuziehen."

„Mythos“ Opposition

Kusnetsow, von Beruf Psychologe, ist 24 Jahre alt. Jeans, schwarzer Rollkragenpullover, das blonde Haar lichtet sich bereits etwas über der Stirn. 300 Mitglieder hätten sie in Sankt Petersburg, versichert er, russlandweit seien es 100.000. Für die Oppositionsgruppen im Land hat er nur Verachtung übrig: „Da finden sich zwei, drei Leute zusammen, machen eine Website, und schon heißt es, es gäbe eine neue oppositionelle Jugendbewegung. Das sind alles doch nur virtuelle Organisationen und Mythen. Ich sehe bisher keine Anzeichen für das Entstehen neuer großer Jugendbewegungen wie etwa 'Pora' in der Ukraine oder 'Kmara' in Georgien - nicht mal am Horizont. Diese paar winzigen Grüppchen, die sich hier als Erben der orangefarbenen Stimmungen und Organisationen bezeichnen, das sind doch nur Zwerge."

Verteidigung demokratischer Werte

Die Oppositionsgruppen - das ist zurzeit vor allem die "Jabloko"-Jugend. Die Partei des liberalen Duma-Abgeordneten Grigorij Jawlinski hat ein relativ dichtes Netz von Nachwuchskräften in Russland. Zu den bekanntesten zählt Ilja Jaschin. Der 22-jährige etwas blasse junge Mann sitzt im Erdgeschoss der Moskauer Parteizentrale von "Jabloko" zwischen Bücherregalen und überfüllten Schreibtischen. An der Wand hängt ein Che-Guevara-Poster. Jaschin hat kürzlich sein Politik-Studium beendet und in diesem Jahr die parteiübergreifende Jugendbewegung "Oborona" gegründet. "Oborona" ist ein militärischer Begriff. Er bedeutet "Verteidigung". Jaschin erklärt: „Wir heißen so, weil wir unser demokratisches Wertesystem verteidigen. Und unser Name zeigt, dass wir keine aggressive Bewegung sind. Wir wollen keinen gewaltsamen Umsturz, sondern gewaltlos protestieren. Unsere Gegner beschuldigen uns schon jetzt, wir seien Agenten westlicher Geheimdienste. Aber es sind die auf der anderen Seite der Barrikade, die uns angreifen."

Revolution im Blut?

Die Russen hätten die Revolution im Blut, schwärmt Jaschin, das hätten die Ereignisse im Februar 1917 gezeigt, als der Zar unter dem Druck der Massen abdankte. Der Nachwuchspolitiker ist überzeugt davon, dass die Russen bei fairen Wahlen und nach einem gleichberechtigten Wahlkampf Putin abwählen würden: „Die Regierungspartei und Putin halten sich nur dank zweier Dinge. Das erste ist der unglaublich hohe Ölpreis, der die Illusion wirtschaftlicher Stabilität im Land schafft, obwohl wirtschaftliche Reformen fehlen; das zweite ist das Monopol auf alle relevanten Medien, das es ihnen ermöglicht, die Menschen banal zu manipulieren. Wenn das beides nicht mehr da ist, fällt ihre Macht zusammen wie ein Kartenhaus."

Ohne finanzielle Unterstützung

Anders als zum Beispiel im kleinen Nachbarland Georgien muss die Opposition in Russland ein Netz über riesige geographische Entfernungen spannen. Das ist schwer. Das russische Parlament ist zudem dabei, ein Gesetz zu verabschieden, das es ausländischen Organisationen erheblich erschwert, in Russland zu arbeiten. So soll verhindert werden, dass zum Beispiel amerikanische Stiftungen eine Revolution mitfinanzieren. So war es in der Ukraine und in Georgien. Die russischen Oppositionsgruppen werden deshalb mit wenig Geld auskommen müssen. Macht nichts, sagt Jurij Bobrow. Der Medizinstudent koordiniert die Jugendbewegung "Oborona" im etwa tausend Kilometer von Moskau entfernten Perm. Seine Leute seien dafür viel motivierter als die Anhänger der Putin-Truppen. Bobrow räumt ein: „Gut, bei kleineren Aktionen kommen bisher nur 15 bis 20 Leute. Aber wir haben gut qualifizierte Aktivisten, die bereit sind, methodisch weiter zu arbeiten, und das ist das wichtigste. Man muss seine Angst überwinden, um aufzustehen und eine Flagge zu schwenken. Vielen ist das unangenehm. Das muss man lernen."

Drei mal saß Bobrow bereits nach Straßenaktionen im Gefängnis. Er rechnet damit, dass die Jugendorganisationen, Putin-Anhänger und Putin-Gegner, sich eines Tages auf der Straße gegenüberstehen werden.

Gesine Dornblüth

DW-RADIO, 14.12.2005, Fokus Ost-Südost