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Jud Süss – ein Film als Verbrechen

24. September 2010

Am 24. September 1940 hatte "Jud Süss" seine Deutschlandpremiere. Während das antisemitische Machwerk in den Kinos zu sehen war, lief bereits der Vernichtungskreuzzug gegen sechs Millionen europäische Juden.

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Jud Süss Filmplakat zum antisemitischen Hetzfilm Berlin, 1940 (Foto: Deutsches Historisches Museum, Berlin)

"Jud Süss" war der berüchtigtste Spielfilm im Nationalsozialismus. Der Kinostreifen bot alles, was die NS-Propaganda brauchte: ausgefeilte Technik, eine melodramatische Liebesgeschichte und antisemitische Feindbilder - zusammen ein unheilvolles Gemisch aus Gewalt und Faszination. Regie führte die Symbolfigur des Unterhaltungskinos unter dem Hakenkreuz und der Liebling von Propagandaminister Joseph Goebbels, Veit Harlan. In der Titelrolle: Ferdinand Marian als Typus des finsteren, verschlagenen Juden, der laut NS-Ideologie eine Gefahr für Leib und Seele der Volksgemeinschaft darstellt. Ihm gegenüber Kristina Söderbaum, Harlans Ehefrau, die wie keine andere das Bild der arischen Frau verkörpert: blond, blauäugig und von nordischer Rasse. In einer kleinen Nebenrolle Wolfgang Staudte, der nach dem Ende des NS-Regimes bei der DEFA in Babelsberg einen berühmten Nachkriegsfilm drehen wird: "Die Mörder sind unter uns" ist der erste Film, der sich mit den Verbrechen im Nationalsozialismus beschäftigt.

Süss Oppenheimer gab es wirklich

Filmszene aus Veit Harlans "Jud Süss" mit Kristina Söderbaum und Ferdinand Marian (Foto: picture-alliance)
Kristina Söderbaum und Ferdinand Marian in "Jud Süss"Bild: picture-alliance/akg-images

Harlan erzählt in seinem Machwerk die Geschichte des Juden Joseph Süss Oppenheimer, der im 18. Jahrhundert einen deutschen Fürsten zum Luxus verführt, um sich in die ständische Gesellschaft einzuschleichen. Joseph Süss Oppenheimer gab es wirklich. Er wurde 1692 in Heidelberg geboren und war wie viele seiner jüdischen Glaubensbrüder ein erfolgreicher Finanzberater. Doch Harlan verfälschte die Historie auf das Gröbste. Unter seiner Regie verkam die Figur des Süss Oppenheimer zum Prototypen des verbrecherischen Juden: geldgierig und gewissenlos, machtbewusst und ein skrupelloser Verführer der arischen Frau. So jedenfalls wollte ihn das NS-Regime auf der Kinoleinwand sehen. Zu den übelsten Szenen des Films gehört jene, in der Harlan die Folterung eines braven deutschen Schreibers und die Vergewaltigung seiner schönen Ehefrau durch Süss Oppenheimer als Parallel­montage zeigt. Der Film endet damit, dass Oppenheimer wegen Rassenschande gehenkt wird. Bürgerliches Melodram als schöner Schein und dahinter der Abgrund.

20 Millionen Kinobesucher

Gedreht wurde der Film in der Ufa-Stadt bei Berlin und in Prag. In der Presse durfte das judenfeindliche Machwerk nicht als "antisemitisch" bezeichnet werden. Das Verbot machte durchaus Sinn. Denn der Film gibt vor, auf historischen Tatsachen zu beru­hen. Viele Kinobesucher glaubten damals fälschlicherweise, dass sich die Ge­schichte des Joseph Oppenheimer tatsächlich so zugetragen habe wie in Harlans Film. Bei seiner Deutschland-Premiere im Berliner Kino-Palast am Zoo hatte "Jud Süss" einen Riesenerfolg. Der Film spielte innerhalb weniger Monate über sechs Millionen Reichsmark ein - für damalige Verhältnisse eine enorme Summe. Bis zum Ende des Nationalsozialismus sahen über 20 Millionen Zuschauer den Film, also mindestens ein Drittel der Reichsbevölkerung.

Komparsen aus jüdischem Ghetto

Joseph Goebbels (M) gratuliert den Regisseuren Wolfgang Liebeneiner (r) und Veit Harlan (M) zu ihrer Ernennung zu Professoren (Foto: dpa)
Enge Freunde: Joseph Goebbels und Veit Harlan (Mitte)Bild: picture-alliance/dpa

Für den nationalsozialistische Prestige- und Propagandastreifen "Jud Süss" erhielt Harlan von Goebbels nahezu unbegrenzte Mittel. In polnischen und tschechischen Ghettos durfte er sogar persönlich jüdische Komparsen aus­suchen. Das geschah in Zusammenarbeit mit dem Reichssicher­heitshauptamt, in dem Adolf Eichmann für die Deportation der europäischen Juden verantwortlich war. "Meine Partei ist die Kunst, meine Politik heißt Vaterlandsliebe", hat Harlan später immer wieder beteuert. Gleichwohl dienten seine Filme politischen Zwecken. Dass er sich damit in NS-Verbrechen ver­strickte, hat Harlan nie begriffen. Von ei­nem Unrechts- oder Schuldbewusstsein keine Spur. "Wir brauchen zum Kriegführen ein Volk, das sich seine gute Laune bewahrt", schrieb Propagandaminister Goebbels zynisch in sein Tagebuch. 1943 wurde Harlan anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Ufa im Namen Hitlers für seine Verdienste um den deutschen Film ausgezeichnet.

Freispruch, aber trotzdem schuldig?

Neue Auseinandersetzung mit dem historischen Film: Plakat zum Film "Jud Süss - Film ohne Gewissen" (Foto: Concorde-Verleih)
Späte Aufarbeitung: Oskar Roehlers "Jud Süss - Film ohne Gewissen"

Nach Kriegsende musste sich Harlan vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Er wurde beschuldigt, als psychologischer Wegbereiter der Judenvernichtung gewirkt zu haben. Denn die Einsatzkommandos in Osteuropa bekamen vor ihren Erschießungsaktionen den Film "Jud Süss" ebenso vorgeführt wie die Wachmannschaften der SS in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Doch Harlan wurde freigesprochen, das Urteil ein Jahr später im Revisionsprozess sogar mit dem Zusatz bestätigt, Harlan habe die Arbeit an "Jud Süß" aus einem inneren Befehlsnotstand heraus begonnen.

Ende der 1950er Jahre wurde bekannt, dass der Vorsitzende Richter während der NS-Zeit Staatsanwalt am Sondergericht Hamburg war. Dort hatte Walter Tyrolf in mehreren Bagatellfällen für die Todesstrafe plädiert, die dann auch vollstreckt wurde.

Autor: Michael Marek
Redaktion: Jochen Kürten