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José Padilha im Interview

Das Interview führte Soraia Vilela17. Februar 2008

Mit DW-WORLD sprach Berlinale-Gewinner José Padilha über die umstrittene Rezeption seines Films, die Heuchelei der brasilianischen Mitteklasse und Brutalität auf der Leinwand.

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José Padilha
José PadilhaBild: AP

DW-WORLD.DE: José Padilha, Sie haben sich für einen Ich-Erzähler entscheiden. Damit identifiziert sich der Zuschauer mit der Hauptfigur, einem brutalen Polizisten. War es Ihnen bewusst, dass der Protagonist als Held verstanden werden könnte?

Padilha: Einige Zeitungen schrieben, die Brasilianer hätten im Käpitan Nascimento einen Held gefunden und das würde heißen, die brasilianische Bevölkerung wäre pro Gewalt. Das stimmt nicht. Die Ich-Form ist ja durchaus üblich im Film. In der Tat erzeugt sie eine Beziehung zwischen dem Zuschauer und der Figur, die erzählt. Der Zuschauer sieht den Film durch die Augen dieser Figur. Ich sehe aber kein Problem, das mit einem Polizisten zu tun, um seinen Blickpunkt zu verstehen. Der Zuschauer hat die Fähigkeit, Fiktion und Realität auseinander zu halten, der Zuschauer ist klug genug, um zu verstehen, was er sieht.

Filmszene Tropa de Elite
Filmszene Tropa de EliteBild: Berlinale

Die Darstellung der brasilianischen Mittelklasse in Ihrem Film war in Brasilien sehr umstritten. Dieselbe Mittel- und Oberschicht, die der Regierung die Schuld für die sozialen Probleme zuschreibt, ohne zu bedenken, dass sie etwa Hausangestellte ausbeutet. Ist Ihr Film der Anfang eines Bewusstseins in diesem Sinne?

Die urbane Gewalt wird in Brasilien als ein privater Krieg zwischen Kriminellen und Drogenhändlern betracht. Die Mittelklasse schließt sich dabei aus. Sie ist aber selbstverständlich involviert. Wenn der Drogenkonsument seinen Stoff kauft, unterstützt er doch die Waffen der Drogenhändler. Der Konsument ist Teil dieses gesellschaftlichen Prozesses. Die Heuchelei ist enorm. Viele, die Geld haben, nutzen die Korruption der Polizei aus. Bei einem Delikt kann jemand aus der Mittelklasse bestechen und wird nicht mal verhaftet. Es gibt eine Komplizität zwischen der Mittelklasse und dem Stand der Dinge in Brasilien.

Ihr Film wird heftig debattiert. Haben Sie mit so einer Rezeption des Films auch außerhalb Brasiliens gerechnet?

Filmszene Tropa de Elite
Filmszene Tropa de EliteBild: AP/Berlinale

Das war klar, dass die Diskussion nach Berlin kommen würde. Sie wurde von brasilianischen Kritikern hierher gebracht. Ob die Polemik sowieso entstehen würde, kann ich nicht sagen, vielleicht. Die Diskussion ist auf jeden Fall interessant. Ein Teil dieser Debatte entsteht, weil viele Leute Zusammenhänge mit veralteten Konzepten betrachten. Die Idee, dass man einen gesellschaftlichen Prozess von rechts oder links betrachten muss, ist für mich tot. Mein Film sieht die Realität durch eine Metapher des Spiels. Wenn man das Verhalten eines Individuums verstehen möchte, muss man in Rücksicht nehmen, dass dieser Mensch Entscheidungen nach den Regeln einer Gesellschaft trifft. Welchen Regeln muss sich ein Polizist aus Rio unterwerfen? Er verdient 400 Dollar im Monat, ist schlecht ausgebildet und muss sich innerhalb einer komplett korrupten Struktur zurechtfinden. Und wir wollen noch, dass er im Namen des Gesetzten gegenüber stark bewaffneten Gegnern in der Favela auftritt. Er soll sein Leben riskieren und das noch langfristig.

"Tropa de Elite" zeigt Brasilien als ein skrupelloses Land, sei es in der Gleichgültigkeit der Mittelklasse oder in der Brutalität der Polizei. Gibt es überhaupt einen Ausweg für diese Situation?

Das Ergebnis des Spiels hängt von den Regeln ab. Wenn du die Regeln änderst, kannst du zu einem anderen Ergebnis kommen. Wer diese gesellschaftlichen Regeln bestimmt, sind die Spieler selbst. Wir können viel ändern: das Gesetz, das den Drogenhandel kontrolliert, die Struktur der Polizei. Wir können aufhören, eine gewalttätige Polizei in die Slums zu schicken und stattdessen können wir dort eine Schule bauen. Man kann viel ändern. Mir geht es darum zu zeigen, dass wir diese Situation selber erzeugt haben. Also, wir können sie auch ändern.

Sie haben mit einem der Drehbuchautoren von "City of God" zusammengearbeitet. Beide Filme haben gewisse Ähnlichkeiten: die unruhige Kamera, der Schnitt und zum Teil der Soundtrack. Gibt es ein neues Genre im brasilianischen Film, das die im schnellen Rhythmus verpackte Gewalt bevorzugt?

José Padilha
José PadilhaBild: AP

Damals herrschte noch die Meinung, dass man nur durch einen distanzierten Blick einen kritischen Film machen könnte. Wichtig war es, den Zuschauer nicht emotional einzubeziehen. Das gilt längst nicht mehr. Fernando Meirelles in "City of God" hat es genau gesehen. Ich muss keine langsame Sequenz haben, die den Zuschauer nach Bertold Brecht raus nimmt und ihm sagt: "Jetzt denkst Du darüber nach". Wenn ich den Zuschauer während des gesamten Films emotional einbeziehe, erzeuge ich am Ende eine umso größere Debatte. Ich sage in keinster Art und Weise, man sollte keine langsamen Filme mehr drehen. Es geht mir darum, zu betonen, dass ein Film, der den Zuschauer mit Emotionen einbezieht, die Vernunft nicht ausschließen muss. Im Gegenteil: Die Emotion bringt die Vernunft in den Film rein, viel mehr als durch einen kritischen und distanzierten Blick. Tropa de Elite kann man lieben oder hassen, aber man redet über den Film. Das ist genau was wir wollen.