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Politik

Friedensforschung? Jetzt erst recht!

Daniel Heinrich
12. Juni 2018

Der Friedensforscher Jochen Hippler betont im DW-Gespräch die Bedeutung seiner Wissenschaft. Er wirft einen kritischen Blick auf das Verhältnis zur Politik und warnt gleichzeitig vor den Gefahren von Populisten.

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Deutschland Kolumbianer verlangen baldige Vereinabarung über neuem Friedensvertrag
Bild: DW/S. Lozano

Deutsche Welle: Die Zahl der Kriege und Konflikte nimmt weltweit zu - so steht es im jüngsten Gutachten der fünf führenden deutschen Institute für Friedens- und Konfliktforschung. Was bringt dann die wissenschaftliche Friedens- und Konfliktforschung?

Jochen Hippler: Die Friedensforschung ist keine politische Einrichtung, die selber direkt in der Lage wäre Kriege zu beenden oder sie zu vermeiden. Sie kann nur bestimmte Werkzeuge, bestimmte Informationen, bestimmte Analysen bereitstellen und dann darauf drängen, dass man diese auch berücksichtigt. Letzten Endes ist die Friedensforschung ein Zweig der Wissenschaft, der darauf abzielt, Kriege, Konflikte, und generell Gewalt in jeder Form besser zu verstehen. Im Anschluss an diese Analyse können die Wissenschaftler sowohl der Zivilgesellschaft wie auch politischen Instanzen Mittel an die Hand geben, um besser gegen Gewalt und Konflikte vorgehen zu können.

Ergreift Sie als Wissenschaftler nicht manchmal ein gewisses Gefühl der Ohnmacht?

Nein, das würde ich nicht denken. Wenn ein Arzt operiert, um Menschen zu helfen, bedeutet das ja auch nicht, dass dadurch der Tod abgeschafft wäre. Ich merke in meiner Arbeit in zunehmendem Maße, dass Menschen, die über viel Einfluss in Politik, im kirchlichen oder im  zivilgesellschaftlichen Bereich verfügen, sehr genau zuhören und aus unseren Analysen auch Schlüsse ziehen. Wir müssen auch daran denken, dass Gewalt und Krieg nicht alleine deswegen geführt werden, weil irgendwelche Politiker oder Generäle irgendetwas nicht verstanden haben. Kriege werden geführt, weil häufig Interessen dahinter stehen, die  Gewalt zu einer attraktiven Option werden lassen. Wissenschaftler können zwar sagen, wie man Gewalt verhindern könnte. Menschen, die von Gewalt profitieren, wird das allerdings nicht davon abhalten, Gewalt auszuüben. 

Wie würden Sie denn das Verhältnis der Friedensforschung zur deutschen Politik beschreiben? Sehen Sie sich in einer Art Beraterrolle?

Ich glaube, dass sich dieses Verhältnis ständig wandelt. Mein Eindruck ist, dass die Bereitschaft von der Politik zuzuhören davon abhängt, ob sie glaubt, dass es auch ohne eine solche Beratung gut weitergehen kann – oder eben nicht. Ein Beispiel: Nach der Entsendung internationaler Truppen nach Afghanistan zu Beginn der 2000er Jahre ging das Interesse der Politik an kritischen Analysen, warum der Einsatz vermutlich nicht funktionieren würde, absolut gegen Null. Die ersten vier, fünf Jahre dieses Einsatzes wurde man als Wissenschaftler einfach nicht zur Kenntnis genommen.

Berlin Vorstellung Friedensgutachten 2017 | Jochen Hippler
Friedensforscher Jochen Hippler arbeitet am Institut für Entwicklung und Frieden (Inef) Bild: Imago/M. Popow

Erst langsam, ab 2005, als man in der Politik merkte, dass das tatsächlich nicht so gut läuft wie man sich das vorher gedacht hatte, änderte sich das. Insbesondere in den Jahren ab 2010 hatte ich das Gefühl, dass da sehr sorgfältig zugehört wurde. Teilweise erinnere ich mich allerdings auch an Gespräche, in denen dann Leute aus der Politik oder aus der Bundeswehr Fragen gestellt haben, die man als Wissenschaftler schlicht nicht beantworten kann. Wir haben ja auch keine Glaskugel, mit der wir in die Zukunft schauen können. Es gibt also nicht "das eine" Verhältnis von der Friedens- und Konfliktforschung zur Politik, sondern es ist von Themenbereich zu Themenbereich unterschiedlich. Auf der anderen Seite gibt es plötzlich viel größeren Beratungsbedarf, wenn es eine Sackgasse gibt und wenn eine Krise als bedrohlich empfunden wird.

Wenn wir auf die Trumps, die Erdogans, die populistischen Bewegungen in Deutschland schauen: Wohin geht die Reise der Friedens- und Konfliktforschung, wenn Sie es mit Politikern zu tun haben, die – zumindest in Teilen – nicht an Fakten interessiert zu sein scheinen?

Ich glaube auch hier, dass man differenzieren muss. Ich bin zum Beispiel ziemlich sicher, dass der russische Präsident Wladimir Putin gut informiert ist über die Realität. Nur dass er daraus eben andere Schlüsse zieht, als man sich das vielleicht manchmal wünschen würde. US-Präsident Donald Trump ist in dieser Hinsicht in der Tat ein Extrembeispiel. Es hat den Anschein, dass ihm Fakten immer gleichgültiger sind. Bei ihm geht zunächst um die Person Trump, dann um Politik. Ein solches Verhalten ist insofern ein großes Problem, weil wir immer mehr merken, dass dadurch die Entwicklungen im politischen Bereich unberechenbarer werden.

Früher gab es politische Führungen über eine sehr lange Zeit. Die waren vielleicht unerfreulich, manche vielleicht reaktionär, manche vielleicht diktatorisch. Aber man konnte sich relativ gut zusammenreimen, worin Ihre Politik besteht, und wie die nächsten zwei drei Züge auf dem Schachbrett aussehen könnten. Inzwischen ist es wirklich kaum noch möglich vorauszusagen, wer was in zwei Stunden so twittert und wozu das führt. Das ist natürlich für eine wissenschaftliche Analyse eine sehr große Erschwernis. Leute, die nach ihrem Bauchgefühl handeln, sind nicht berechenbar. Das Bauchgefühl von Herrn Trump oder anderen vorauszusagen ist sicher nicht eine Frage für die Wissenschaft.

Jochen Hippler ist ein deutscher Politikwissenschaftler und Dozent am Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen

Das Interview führte Daniel Heinrich