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Generationswechsel im Zentralrat der Juden

7. Februar 2010

Sie macht den Weg frei für eine neue Generation: Charlotte Knobloch tritt nicht für eine zweite Amtzeit als Präsidentin des Zentralrats der Juden an. Damit steht der jüdische Dachverband vor einem historischen Umbruch.

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Porträt von Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland (Foto: dpa)
Knobloch will nach Ablauf ihrer Amtszeit nicht mehr antretenBild: picture-alliance/ dpa

Die reguläre Amtszeit von Charlotte Knobloch als Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland endet erst im November. Doch seit Tagen kursierten bereits Spekulationen über einen möglichen Wechsel an der Spitze des Dachverbands. Am Sonntag (07.02.2010) kam dann die Bestätigung: Charlotte Knobloch wird im Herbst nicht für eine zweite Amtszeit zur Verfügung stehen. Sie wolle bewusst einen Generationswechsel herbeiführen, den sie aktiv unterstützen und begleiten werde, hieß es in einer Presseerklärung.

"Jüdisches Leben in unserem gebrochenen Land"

Ihr Rückzug markiert einen historischen Umbruch im Zentralrat: Die 77-jährige Charlotte Knobloch ist im Präsidium des Dachverbands die letzte Zeitzeugin des Holocausts. Sie wurde 1932 in München geboren, erlebte Naziterror und Judenverfolgung im Dritten Reich am eigenen Leib. Den Holocaust überlebte sie, weil sie bei einer katholischen Familie in Franken unterkam, die sie als uneheliches Kind ausgab.

Die Erinnerung an die nationalsozialistische Judenvernichtung war für Charlotte Knobloch eines der wichtigsten Themen als Präsidentin des Zentralrats. Noch am Samstag schrieb sie in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung": "Gerade als Zeugin der Gräuel der Naziherrschaft macht mich meine Aufgabe als Präsidentin des Zentralrats glücklich." Sie sehe in den Herausforderungen große Chancen, die ihr die Kraft gäben, "dafür zu arbeiten, dass jüdisches Leben in unserem gebrochenen Land wieder gelingen kann."

Zäsur in der Geschichte des Zentralrats

Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, zwischen den Vizepräsidenten Salomon Korn und Dieter Graumann (Foto: AP)
Charlotte Knobloch und die beiden Vizepräsidenten des Zentralrats Salomon Korn (links) und Dieter GraumannBild: AP

Für manch einen im Zentralrat war diese Haltung vielleicht zu sehr in die Vergangenheit gewandt: Charlotte Knobloch war als Führungsfigur umstritten. Sie repräsentiere zu wenig das moderne, das neue Judentum in Deutschland, hieß es hinter vorgehaltener Hand. Auch deshalb gilt der nun angekündigte Führungswechsel als tiefste Zäsur in der Geschichte des Zentralrats. Als Charlotte Knoblochs Nachfolger ist Dieter Graumann im Gespräch, der neben Salomon Korn einer der Vizepräsidenten des Zentralrats ist. Graumann wurde 1950 geboren, er wäre der erste Präsident an der Spitze des Zentralrats, der die Zeit des Holocausts nicht selbst erlebt hat.

"Jetzt kommen die Nachgeborenen", sagt Julius H. Schoeps, Direktor am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien. Der Zentralrat werde sich über seine Position in Deutschland Gedanken machen müssen, sagte Schoeps im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die Erinnerung an den Holocaust werde an Bedeutung verlieren, andere Fragen rückten in den Mittelpunkt. Schließlich gehe es nicht mehr "um das deutsche Judentum von ehedem", so Schoeps.

Selbstverständnis im Wandel

Der Berliner Rabbi Chaim Rozwaski trägt am Freitag, 31. August 2007, eine Thora-Rolle in die Synagoge an der Rykestraße in Berlin. Die 1904 erbaute Synagoge wurde nach zweijähriger Renovierung wiedereröffnet (Foto: AP)
Wiedereröffnung der Berliner Synagoge Rykestraße im August 2007Bild: AP

Als der Zentralrat der Juden in Deutschland 1950 gegründet wurde, lebten noch 15.000 Juden in Deutschland. Vor dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg lebten etwa 600.000 Juden in Deutschland. In seinen Anfangsjahren sah der Zentralrat seine Aufgabe vor allem darin, den Gemeinden zu helfen, die Auswirkungen der Nazizeit zu verkraften, das jüdische Leben in Deutschland wieder zum Leben zu erwecken und eine Entschädigungsgesetzgebung durchzusetzen. 1990 zählte der Zentralrat der Juden knapp 30.000 Mitglieder.

Die Kuppel der Neuen Synagoge in Berlin Mitte leuchtet im Sonnenschein vor strahlend blauem Himmel (Foto: AP)
Die Kuppel der Neuen Synagoge in Berlin MitteBild: AP

Als dann der Ostblock zusammenbrach, kamen aus den ehemaligen Sowjetstaaten viele jüdische Zuwanderer nach Deutschland. Heute vertritt der Zentralrat über hundert Gemeinden mit etwa 106.000 Mitgliedern. Die Integration der Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion gehört inzwischen zu den wichtigsten Aufgaben des Zentralrats.

Autorin: Monika Dittrich
Redaktion: Ursula Kissel