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Jesus rührt Menschen an

24. Oktober 2015

Wunderheilungen sind immer schwer zu fassen, auch in der Bibel. Ralph Frieling erklärt für die evangelische Kirche, wie uns diese Geschichten dennoch nahe kommen können.

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Deutschland Flüchtlinge in München
Bild: Reuters/M. Rehle

Eine große Bitte wird erfüllt
Sein Name interessierte die Leute schon lange nicht mehr. Sie nannten ihn nur „den Aussätzigen“. Wenn sie ihn auf der Straße erkannten, klang dieser Name wie eine Sirene: „Da, der Aussätzige! Besser, wir machen Platz. Ich habe keine Lust mich anzustecken!“ Die Leute zogen sich weiträumig zurück. Der Aussätzige bedeckte seinen ganzen Körper mit Stoffen und Binden. Seine Haut juckte darunter und sah aus wie ein Streuselkuchen, sie war aufgerieben und blutig, auch vom vielen Kratzen. Die Geschwüre bildeten sich neuerdings auch an den Beinen. Die Ärzte konnten nicht mehr helfen. Die Salben wirkten nicht. Wahrscheinlich war die Sache hoch ansteckend, wer weiß. Die Leute schüttelten den Kopf. Besser, er blieb zu Hause. Oder noch besser, er verschwand ganz aus dem Dorf, denn ein Krankenhaus gab es nicht.
Eines Tages, so geht die Geschichte im Markusevangelium im Neuen Testament (Markus 1,40-45), kommt Jesus durch die Gegend. Der Aussätzige geht zu ihm hin, kniet vor ihm nieder und sagt in Richtung Boden: „Ich bitte dich, mach mich gesund. Wenn du das willst, dann kannst du das.“ Jesus bekommt Mitleid und streckt seinen Arm der Länge nach aus und fasst ihn an. Nicht bloß mit einer Fingerspitze, sondern mit der ganzen Hand. Hält sie ihm an den Arm oder an Kopf und sagt: Ich will es tun, sei gesund!
Sogleich wich der Aussatz von dem Mann und er wurde gesund.

Eine Berührung beim Zahnarzt
Es ist nicht zufällig, dass Jesus im Markusevangelium die Kranken oft durch Berührungen heilt. Nicht nur durch Worte wie „Sei gesund“ oder „Werde rein!“, sondern auch, indem er sie anrührt und damit etwas tut, was die anderen tage, monate-, vielleicht jahrelang nicht mehr gemacht haben. Der Entzug von Berührungen reicht aus, damit Menschen emotional verkümmern, vereinsamen und sich immer weiter zurückziehen.
In einer Gemeindegruppe sprachen wir über diese Wundererzählung und die Wirkung von Berührungen. Eine Frau erzählte uns die Geschichte ihrer Tochter. Die war Zahnarzthelferin. Eines Tages kamen zwei Polizisten mit einem Patienten in die Praxis. Der Mann war mit Handschellen gefesselt. Vor dem Röntgen sagte die Arzthelferin zu den Beamten: „Nehmen Sie ihm bitte die Handschellen ab, damit er sich richtig auf den Stuhl setzen kann.“ - „Geht nicht“, sagte einer der beiden, „dürfen wir nicht. Ist ein Schwerverbrecher.“ Da blickte die junge Frau den Mann an und sagte: „Setzen Sie sich“. Dann legte sie ihre linke Hand auf seine Schulter und die rechte an seine Schläfe und richtete ihm Oberkörper und Kopf für die Röntgenaufnahme aus. Der Mann schaute sie an, erstaunt: „Das“, sagte er, „hat seit Jahren keiner mehr gemacht - mich so berührt.“

Berührungen gehen unter die Haut
Berührungen sind so wichtig wie Atmen, Essen und Trinken. Mit Berührungen können Menschen sich ganz für einander öffnen. Wer die Berührung - den Handschlag, die Umarmung oder das Streicheln - zulässt, vertraut dem anderen.
Denn mit Berührungen überträgt sich auch eine Energie. Im Altgriechischen, der Sprache, in der das Neue Testament geschrieben ist, heißt das Wort für „berühren“ zugleich auch „anzünden“.

Solch eine Energie muss auch der Aussätzige gespürt haben, als Jesus ihm die Hand auflegte. Nicht dass damit die Heilung und das Wunder schon erklärt wäre. Aber die Berührung selbst kann schon Wunder bewirken: ein anderer Mensch ist uns nah, schenkt uns Wärme und sagt uns: Ich bin bei dir. Das ist ein Geschenk. Berührungen können ein Segen sein.

Frieling
Pfarrer Ralph FrielingBild: DW

Zum Autor: Ralph Frieling (Jahrgang 1966) ist Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Weslarn in Westfalen. Er hat nach einem Studienjahr in Nes Ammim (Israel) evangelische Theologie in Heidelberg und zwei Semster in Melbourne (Australien) studiert. Es folgte Ende der Neunziger Jahre das Vikariat in Berlin; dort hat er auch angefangen, regelmäßig Radiosendungen zu machen. Anschließend war er vier Jahre lang Studienleiter in der Evangelischen Akademie Iserlohn im „Institut für Kirche und Gesellschaft“ der Evangelischen Kirche von Westfalen. 2004 wechselte er als Pfarrer in die Gemeinde, zuerst im Kirchenkreis Hamm, dann ab 2008 in den Kirchenkreis Soest. Ralph Frieling geht gerne auf Reisen, liebt Bach und dessen Kantaten, kocht gern und sammelt australische moderne Kunst. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.