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Senioren und Kinder im Kindergarten

Kathrin Erdmann24. September 2012

Die Kleinen gehen in den Kindergarten, die Alten ins Pflegeheim. So ist es vielfach in Deutschland, aber es geht auch anders. Das zeigt ein Beispiel aus Hamburg: Dort werden Kitakinder mitten im Seniorenheim betreut.

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Marianne Tiffert und Konstantin spielen (Foto: DW)
Bild: K. Erdmann

Zwölf Kinder und fünf Seniorinnen sitzen in einem Stuhlkreis zusammen und singen gemeinsam ein typisch hamburgisches Lied. Der Altersunterschied zwischen ihnen beträgt mehr als 80 Jahre. Ute Schwarber wippt mit einem Kind auf dem Schoß. Sie ist vor zweieinhalb Jahren mit ihrer Großtagespflege "Dreckspatzen" in das Senioren- und Pflegeheim "Hanna Reemtsma" eingezogen. Die Anlage im vornehmen Hamburger Westen ist großzügig geschnitten.

Zarte Bande der Generationen

Der Raum für die Kinder ist zum Flur verglast, so dass jeder Bewohner hineinschauen und auch jederzeit hineinkommen kann. Leiterin Ute Schwarber setzt auf regen Austausch zwischen den Generationen: "Wir machen alle vier bis sechs Wochen gemeinsam Musik, wir laden die Bewohner zu den Festen ein und inzwischen gucken sie auch mal einfach so bei uns vorbei."

Die "Dreckspatzen" sind fester Bestandteil der Wohnanlage. Zwei Tage in der Woche bleiben die Kinder im Haus, zwei Tage toben sie auf dem Spielplatz nebenan. Marianne Tiffert ist 87 Jahre alt und geistig und körperlich noch recht fit. Fast zärtlich guckt sie zu dem fünfjährigen Konstantin hinunter, der auf einem Kinderstuhl neben ihr sitzt. Über seinem linken Auge klebt ein Pflaster, er kneift die Augen zusammen, hebt den Kopf und fragt: "Wie bist du früher auf einen Baum geklettert?"

Geistige und körperliche Bewegung für alle

Tiffert erklärt es ihm und Konstantin versichert, dass er gar keine Angst vorm Klettern habe. Kurz darauf geht es mit Musik weiter: Die Betreuerin Andrea Hähne reimt gemeinsam mit Kindern und den fünf Rentnerinnen, bevor klassische Musik aus den Lautsprechern kommt. Bunte Tücher werden verteilt; wo es geht, schwingen die Generationen sie gemeinsam hin und her. Zwei der Frauen sitzen teilnahms- und regungslos in ihren Rollstühlen, eine brabbelt ständig ein wenig vor sich hin. Margarete Bendix hingegen scheint ihre 100 Jahre gerade abgeworfen zu haben und aufzublühen. Kraftvoll schwenkt sie ihre beiden Tücher hin und her: "Als wir sie kennen gelernt haben, saß sie eigentlich im Wesentlichen und schlief. Und dann haben wir das erste Mal mit den Kindern getanzt, da wurde sie wach, sang und tanzte", berichtet Musikerin Andrea Hähne.

Zwei Menschen auf einer Bank an einem Herbsttag im Park (Foto: Fotolia/farbkombinat)
Kinder und Rentner gemeinsam - die Regel ist das nicht.Bild: Fotolia/farbkombinat

"Ich hatte immer Kinder um mich, das ist doch gut so hier", sagt Bendix und ganz hinten in ihren blauen Augen ist ein Leuchten zu sehen. Sie sei früher Lehrerin gewesen, erzählt sie und kramt dann ganz tief in der Familiengeschichte. Die Kinder lassen sie reden, stören sich nicht an ihr und spielen fröhlich weiter.

Frischer Wind im Haus 

Marianne Tiffert singt und lacht: "Die Kinder bringen Leben in die Bude, die sind so ungezwungen." Richtig schön sei das, freut sie sich. Gern guckt sie auf dem Spielplatz vorbei oder schaut den Kindern von ihrer Lieblingsbank aus im Garten zu. Sichtlich Spaß an den Kindern im Haus hat auch Bewohnerin Susanne Maus. Als die 96-Jährige den Raum betritt, laufen die Kinder auf sie zu. Sie hält ein Foto in ihren Händen. Es zeigt sie mit der Gruppe beim Ballspielen. "Meine Enkel und Urenkel sind weit weg, deshalb bin ich hier natürlich gern dabei." So viele Kinder um sich zu haben empfindet sie als Rückblende auf das eigene Leben. "Die Kinder bringen so viel Unbeschwertes, Argloses mit, das ist doch schön."

Kinder und Senioren spielen gemeinsam (Foto: DW)
Musik machen, spielen und singen - Kinder und Senioren profitieren davonBild: K. Erdmann

Kinder profitieren

Mutter Isabelle Uterhack ist von dem Miteinander im "Hanna Reemtsma" Haus zwischen Jung und Alt ebenfalls begeistert. Ihre Tochter hat keine Großeltern, "doch durch die Tagespflege kann ihr nun doch mal eine Oma vorlesen oder mit ihr spielen." Und die alten Leute würden sicher die Lebensfreude der Kinder spüren und davon profitieren.

Die Kinder finden es gut, dass die überwiegend älteren Frauen bei ihnen vorbeischauen, ihnen Geschichten erzählen und oft so viele Lieder kennen. "Die Kinder lernen das alte Liedgut, sie mögen die alten Gedichte und sind stolz, wenn sie damit ihre Eltern und Großeltern beeindrucken können", sagt Musikerin Hähne.

Dabei ist die Zusammenarbeit zwischen der Kindertagespflege und dem Seniorenheim eher zufällig entstanden. Ute Schwarber suchte dringend einen Raum für die 12 Kinder. Der Geschäftsführer des "Hanna Reemtsma" Hauses in Rissen, Christoph Niemetz, war von Anfang an begeistert. Das sei hier nicht "so ein bisschen spielen und singen", sondern viel mehr. "Die Tagespflege ist seit zweieinhalb Jahren fester Bestandteil des Hauses." Seine Idealvorstellung: Das Enkelkind besucht die Tagespflege, und die Oma wohnt im Seniorenheim.