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"Jeder nimmt das Deutschland mit, das er noch erlebt hat"

18. Juli 2005

Die Autorin Kerstin Finkelstein reiste rund um den Globus und befragte Deutsche in 14 Ländern zu ihrem Leben. DW-WORLD wollte wissen, wie politisch sind Deutsche im Ausland. Was denken sie über Neuwahlen in der Heimat?

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Immer noch der Heimat verbunden: Deutsche Einwanderer in BrasilienBild: Germano Schüür

DW-WORLD: Frau Finkelstein, Sie haben auf Ihrer Reise um die Welt mehr als 200 Deutsche getroffen, die im Ausland leben. Was war Ihr Eindruck: Interessieren sich die Leute denn überhaupt für deutsche Politik, wenn sie erstmal im Ausland sind?

Kerstin Finkelstein
Kerstin FinkelsteinBild: linksverlag

Kerstin Finkelstein: Die meisten doch noch sehr stark. Generell muss man verschiedene Phasen unterscheiden. Wenn man aus Deutschland weggeht, dann interessiert man sich zunächst natürlich vor allem für das neue Land, in dem man wohnt und dafür braucht man auch alle Energien. Alles, was an Zeit und sonstigen Ressourcen zur Verfügung steht, nutzt man, um sich erst einmal mit der neuen Situation zurechtzufinden. Aber dann schon nach einer kurzen Weile, ich würde sagen nach einem halben Jahr ungefähr, beginnen viele zurück zu blicken. Sie fragen sich, wo sind ihre Familien, ihre Freunde und Arbeitskollegen geblieben. Dann geht man oft ins Internet, kauft sich deutsche Zeitungen, oder wenn möglich, schaut oder hört man deutsche Sender, wo es geht deutsches Privatfernsehen oder eben die Deutsche Welle.

Welche Nachrichten aus der Heimat interessieren denn am meisten?

Ich würde sagen: Politik und Sport. Die Bundesliga wird natürlich sehr stark nachgefragt, aber ansonsten interessieren durchaus die aktuellen politischen Entwicklungen. Viele interessierten sich für die Haltung Deutschlands im Irak-Krieg und wollten wissen, wie dazu die Stimmung in Deutschland war. Themen wie zum Beispiel ob die Mehrwertsteuer hier um ein Prozent hoch- oder runtergeht, das ist für Deutsche im Ausland nicht so wichtig. Aber gerade das, was Deutschland in Bezug auf das Ausland macht, wird sehr intensiv verfolgt.

Also das heißt Hartz IV oder Agenda 2010 das sind eher Worte, die nicht so bekannt sind?

Hartz IV ist schon bekannt. Es sind in letzten Jahren viele gerade wegen der Schwierigkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt und wegen der sozialen Situation weggegangen. Auch das Thema Gesundheitsreform ist im Ausland ein Thema, weil sich Deutsche im Nachhinein dann doch gerne bestätigt sehen, dass ihre Entscheidung wegzugehen richtig war. Wenn Sie nämlich ins Ausland gehen, dann sind Sie natürlich nicht jeden Tag so überzeugt davon, das Richtige getan zu haben. Es gibt ja viele Schwierigkeiten zu meistern. Und wenn man dann also weniger positive Nachrichten aus der Heimat hört, dann denkt man sich "Ach, irgendwie war es doch gut zu gehen."

Soll das denn heißen: Je schlechter es Deutschland geht umso besser geht es den Auslandsdeutschen?

Das ist jetzt eine sehr zugespitzte Feststellung, aber ein bisschen Wahres ist da schon dran. Denn im Ausland hat man eben diese Zusatzschwierigkeiten, dass man mit einer fremden Sprache zurecht kommen muss und dann möchte man schon als Ausgleich haben, dass es einem zumindest in einem gewissen Maße sozial oder wirtschaftlich eher besser geht als es einem zu Hause ergangen wäre.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie bekannt deutsche Politiker im Ausland sind und ob sich die Deutschen im Ausland für die Neuwahlen interessieren.

Welche deutschen Politiker sind im Ausland bekannt? Und welches Bild hat man von denen?

Die Spitzenpolitiker kennt man auf jeden Fall. Zum Beispiel wer Kanzler ist oder Bundespräsident, das wissen die meisten, sogar die, die in der zweiten oder dritten Generation im Ausland leben. Das Bild, das man von ihnen hat, ist oft abhängig von den Zuständen des Landes, in das man ausgewandert ist. Wenn man hier in Deutschland lebt, ist man oft kritisch und sieht ständig, was man alles noch verbessern könnte. Wenn sie jetzt aber mal im Ausland waren, dann treten oft ganz andere Dinge in den Vordergrund. Stellen Sie sich vor, Sie leben in einem Land, in dem Demokratie nicht unbedingt groß geschrieben wird, wo es ein eingeschränktes Demonstrationsrecht gibt und man nicht wirklich seine Meinung äußern darf, da wechselt natürlich die Perspektive, was Demokratie angeht. Da wird das Bild von Deutschland gleich wesentlich positiver, auch die Meinung, die man von den Politikern hat, bessert sich dadurch.

In Deutschland wird ja jetzt viel über die wirtschaftliche Krise geredet, das Bild des starken Deutschlands ist ins Wanken gekommen. Sehen das auch die Deutschen so, die lange im Ausland leben?

Jeder Deutsche nimmt immer das Deutschland mit, das er noch selbst erlebt hat. Die Leute die zum Beispiel schon in den 1960er Jahren gegangen sind oder Ende der 1950er Jahre, die haben noch das Wirtschaftswunder im Kopf. Die sehen auch heute noch Deutschland so. Die sehen zum Beispiel, dass wir immer noch Exportweltmeister sind, oder dass es uns im Vergleich zu der übergroßen Mehrheit der Länder auf dieser Welt sehr, sehr gut geht.

Welche politischen Einstellungen haben die Deutschen im Ausland? Lassen sich da Regeln aufstellen?

Das kommt auf das jeweilige Land oder die Region an. Wenn sie nach Südamerika schauen, dann werden sie da eher sehr konservative Meinungen antreffen - Ausnahmen bestätigen die Regel. In Australien oder Neuseeland sieht das ganz anders aus. Da sind die Leute eher locker. Ich habe zum Beispiel Menschen getroffen, die dorthin ausgewandert sind, um mehr Zeit für ihre Kinder oder für ihre Hobbys zu haben, oder einfach um in der Natur zu leben. Wer zum Beispiel nach Kalifornien geht, der sucht den wirtschaftlichen Erfolg, will gerne viel Geld machen. Aber allgemeingültige Regeln lassen sich da freilich nicht aufstellen.

Inwiefern interessieren sich Auslandsdeutsche für die anstehenden Bundestagswahlen?

Das Thema der vorgezogenen Bundestagswahl wird mit großem Interesse verfolgt. Ich habe jede Menge Mails und Briefe bekommen von Auslandsdeutschen, die mich baten, ihnen zu erklären, was es damit denn jetzt auf sich hat, dass der Kanzler die Vertrauensfrage gestellt hat und sie absichtlich verloren hat. Also diese seltsam anmutenden Vorgänge, die wollen sie dann doch schon gerne erklärt haben.

Kerstin E. Finkelstein (geboren 1974) studierte Politik, Geschichte und Slawistik in Wien, Hamburg, Buenos Aires und Potsdam. 2001 promovierte sie, seitdem ist sie als freie Journalistin und Buchautorin tätig. 2004 erschien ihr Buch "Ausgewandert. Wie Deutsche in aller Welt leben" im Christoph-Links-Verlag.