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Japan verlangt Selbstverteidigungsrecht

Martin Fritz14. Februar 2014

Premierminister Shinzo Abe will Japan durch eine Neuinterpretation der Verfassung das Recht auf kollektive Selbstverteidigung gewähren. Seine Regierung versucht auch, Medien und Schulen auf Nationalismus zu trimmen.

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Japanisches Militär (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: TORU YAMANAKA/AFP/Getty Images

Japans konservativer Regierungschef hat die gleichen politischen Ideale, die schon das Handeln seines Großvaters Nobusuke Kishi als Premierminister Ende der fünfziger Jahre leiteten: den Pazifismus der Verfassung entschärfen, das Verbot der kollektiven Selbstverteidigung aufheben, das Militärbündnis mit den USA stärken und die Jugend zum Patriotismus erziehen.

Am Tag seiner Amtseinführung zu Weihnachten 2012 besuchte Abe das Grab von Kishi, der von den USA wegen seines Amts als Industrieminister im Kriegskabinett einige Zeit des Kriegsverbrechertums der A-Klasse verdächtigt wurde. Danach vertrat Kishi konservative und nationalistische Positionen. Sein Großvater habe den Sicherheitsvertrag mit den USA revidieren können, sagte Abe voller Bewunderung. "Ich möchte seinen Wunsch vollenden, Japan wirklich unabhängig zu machen."

Verteidigung des Verbündeten USA

Dieses Ziel will der 59-Jährige bereits in diesem Jahr erreichen: Nach der Einführung eines Sicherheitsrates und der Verabschiedung eines Gesetzes zum Geheimnisschutz im Herbst bereitet Abe gerade die Neuinterpretation der Verfassung vor. "Ohne das Recht auf kollektive Selbstverteidigung haben wir mit Nachteilen zu kämpfen", betonte Abe im Parlament. Im April wird ein Expertengremium entsprechende Vorschläge machen. Schon bald soll ein Entwurf der Empfehlungen veröffentlicht werden.

Japans Premier Abe (Foto: AFP/Getty Images)
Japans Premier Abe will erreichen, dass die japanische Armee auch Truppen anderer Nationen verteidigen kannBild: Eric Piermont/AFP/Getty Images

Das 14-köpfige Gremium unter Führung von Shunji Yanai, Ex-Botschafter in den USA, sucht nach Wegen, die Restriktionen für Japans Armee zu entfernen. Konkret geht es darum, dass Japan auch Truppen anderer Nationen verteidigen kann. Auch logistische Hilfe für die verbündeten US-Truppen etwa im Fall eines Korea-Kriegs will man erlauben. Bei der Beteiligung an UN-Einsätzen dürfen japanische Soldaten bisher nicht einmal zum Selbstschutz von der Schusswaffe Gebrauch machen.

Experten für neues Verständnis

Eine direkte Änderung des pazifistischen Artikels 9 in der Verfassung hat Abe wegen der hohen Hürden offenbar aufgegeben. Dafür sind eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament sowie ein Volksentscheid notwendig. Eine weniger restriktive Auslegung der Verfassung ist leichter zu bewerkstelligen. In der Vergangenheit hat Japan zum Beispiel eine Armee aufgebaut, obwohl der "Unterhalt von Streitkräften und jedem Kriegspotenzial" ausdrücklich untersagt ist, indem sie als "Selbstverteidigungsstreitkräfte" bezeichnet wurden.

Die Expertengruppe könnte auch empfehlen, einen gesetzlichen Rahmen für die Sicherung von vorgelagerten Inseln zu schaffen, Verteidigungsbündnisse mit anderen Nationen zuzulassen sowie den Waffenexport zu erleichtern. Bis Juni wollen die regierenden Liberaldemokraten ihren pazifistisch orientierten Koalitionspartner Neue Komeito ins Boot holen. Ab dem Herbst würde die Abe-Regierung dann die gesetzliche Grundlagen für das neue Verständnis der Verfassung durch entsprechende Änderungen schaffen.

Raketen auf einem Militär-Lastwagen in Okinawa, Japan (Foto: AFP/Getty Images)
Japanische Bodenraketen, einsetzbar gegen Schiffe, bei einem Militärmanöver in OkinawaBild: TORU YAMANAKA/AFP/Getty Images

Spannungen erleichtern Kurswechsel

Die Spannungen mit China und Korea kommen Abe gerade recht, da sie das Verständnis der Bevölkerung für die geplante Abkehr vom Pazifismus vergrößern. Umfragen zufolge ist bisher noch mehr als die Hälfte der Japaner gegen einen Kurswechsel. Dabei versucht der Regierungschef das Bild eines "normalen" und gerechtfertigten Weltkrieges zu zeichnen. Der früher übliche Standardhinweis auf die eigene Kriegsschuld kommt Abe nicht mehr über die Lippen. Weder will er von einem "Angriffskrieg" sprechen noch die Existenz der sogenannten Trostfrauen bestätigen, die zur Arbeit in Soldatenbordellen gezwungen wurden.

Außerdem versucht die Regierung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunksender NHK auf ihren nationalistischen Kurs zu trimmen. Vier der zwölf Mitglieder des NHK-Verwaltungsrates wurden durch Abe-treue Akademiker und Intellektuelle ersetzt. Der neue Generaldirektor von NHK, Katsuto Momii, verkündete bei seinem ersten öffentlichen Auftritt, NHK könne nicht "links" sagen, wenn die Regierung "rechts" sage. Zugleich behauptete Momii, auch andere Länder außer Japan hätten im Krieg für ihre Soldaten Zwangsprostituierte gehabt. Unabhängige Beobachter befürchten, dass der Sender schon aufgrund von Selbstzensur auf den Regierungskurs einschwenke. So wurde einem Radio-Kommentator untersagt, über Atomenergie zu sprechen.

Rechtsradikale werden salonfähig

In diesem Klima werden rechtsradikale und ultra-konservative Äußerungen in Japan zunehmend salonfähig. Der neue NHK-Verwaltungsrat Naoki Hyakata behauptete, dass es das japanische Massaker an der chinesischen Zivilbevölkerung in Nanking nie gegeben habe. Das Kriegstribunal der Alliierten habe nur dazu gedient, von den Massaker der Alliierten an Japanern etwa in Hiroshima abzulenken. Von diesen Aussagen wollte sich Regierungssprecher Yoshihide Suga nicht distanzieren. Eine andere Abe-Vertraute, die Professorin für japanische Kultur Michiko Hasegawa, erklärte, wer Karrierechancen für Frauen vermehre, senke die Geburtenrate. Der "rationale" Platz für Frauen sei zu Hause.

Ein Meer japanischer Flaggen auf einer Protestkundgebung gegen Chinas Luftverteidigungszone (Foto: AFP/Getty Images)
Nationalismus: Ein Meer japanischer Flaggen bei einer Protestkundgebung gegen Chinas LuftverteidigungszoneBild: Reuters

Unterdessen bemüht sich Abe darum, auch die Schulen auf seine nationalistische Linie zu bringen. Eine Gruppe ausgesuchter Experten erarbeitet gerade eine Bildungsreform, um die lokale Selbstverwaltung der Schulen zu schwächen. Die Regierung will künftig die Leiter der lokalen Bildungsausschüsse direkt ernennen. Das soll den Einfluss der linksgerichteten Lehrergewerkschaften in diesen Gremien verringern. Im Januar legte die Regierung bereits fest, dass die drei umstrittenen Inselgruppen mit China, Südkorea und Russland im Unterricht als "integraler Bestandteil von Japans Territorium" dargestellt werden müssten.