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"Abenomics" bald ohne Abe?

Andreas Rostek-Buetti
28. August 2020

Seit Montag ist Shinzo Abe Japans der am längsten amtierende Ministerpräsident. Die Wirtschaftsleistung aber ist auf einem historischen Tief. Nun kündigt Abe seinen Rücktritt an. Eine wirtschaftliche Bilanz

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Japan Tokio Börse nach Abes Rücktrittsankündigung
Bild: picture-alliance/XinHua/D. Xiaoyi

Zweimal innerhalb weniger Wochen musste sich Japans Regierungschef in den letzten Wochen einer Untersuchung im Krankenhaus unterziehen. Schon im Juli hatte es Medienberichte gegeben, wonach der 65-jährige Abe Blut gespuckt habe. Die lange Regierungszeit Abes droht nun denkbar schlecht zu enden, mit angeschlagener Gesundheit und mit einer Bilanz seiner Wirtschaftspolitik - der fast schon sprichwörtlichen Abenomics - die kaum als Erfolg in die Geschichtsbücher eingehen dürfte.

Shinzo Abe kündigte seinen Abgang am Freitag vor der Presse in Tokio an. Schon zuvor hatte es entsprechende Medienberichte gegeben. Abe sagte, er lege sein Amt aus gesundheitlichen Gründen nieder. Eine frühere Darmerkrankung sei wieder aufgetaucht. 

Japan Premierminister Shinzo Abe mit Maske
Sichtlich mitgenommen: Japans Premier Shinzo Abe, hier eine Aufnahme vom April 2020. Bild: AFP/K. Nogi

Jetzt beeilen sich Weggefährten und politische Gegner zu betonen, sie wollten Abes Amt nicht. Selbst sein Kabinettssekretär Yoshihide Suga, seit sieben Jahr an der Seite Abes und ein mächtiger Mann in der Regierung in Tokio, verriet der Nachrichtenagentur Reuters, er habe "noch nie daran gedacht", selbst die Chefposition zu übernehmen.

Abenomics enden im Minus

Spätestens seit die Corona-Krise Japan heftig getroffen hat, erreicht die Stimmung im Land Tiefpunkte, und mit ihr verschlechtern sich die Wirtschaftsdaten. Die optimistischen Zeiten der sogenannten Abenomics sind längst vorbei - die Rezepte aus den ersten Regierungsjahren des Dauerministerpräsidenten sind verpufft. Von April bis Juni lag das Minus bei der japanischen Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorquartal bei 7,8 Prozent.

Tokio, Wolkenkratzer
Lange eine Erfolgsgeschichte: Abenomics - Wolkenkratzer in Tokio nach dem ImmobilienboomBild: picture-alliance/dpa/K.Mayama

Abenomics, so unlängst der deutsche Ökonom Gunther Schnabl, "ist eine Geschichte des billigen Geldes", die zu einem "langen Leiden Japans" geworden sei. In der Zeitschrift Cicero geißelte Schnabl die Wirtschaftspolitik Abes als "wirtschaftspolitisches Harakiri".

Wenn das so ist, dann lag der Erfolg vor dem Harakiri. In seinen Anfangsjahren gelang es Abe nämlich, das Land aus der Rezession zu holen. Tatsächlich erlebte Japan unter Abe die längste Wachstumsphase seit Jahren, die Börse boomte. Auch waren die Unternehmen insgesamt sehr profitabel geworden und fingen an, auch angesichts der Unsicherheit durch den Protektionismus der USA wieder im eigenen Land zu investieren.

Abenomics, das war eine Politik aus billigem Geld, schuldenfinanzierten Konjunkturspritzen und dem Versprechen von Strukturreformen. Nicht nur im eigenen Land entfachte Abe damit die Hoffnung auf ein Ende der jahrzehntelangen Deflation und Stagnation.

Der Ausgangspunkt war in 1980er Jahren ein riesiger Handelsüberschuss im Verhältnis mit den USA. Seinerzeit einigten sich die führenden Wirtschaftsmächte auf eine Aufwertung des Yen, die tatsächlich einschlug: Innerhalb von zwei Jahren legte der Yen um 50 Prozent zu. Entsprechend wurden japanische Waren auf dem Weltmarkt teurer, eine schwere Rezession in Japan war die Folge.

Wirtschaftspolitik mittels Geldpolitik

Schon damals versuchte die Regierung, der Krise mit Zinssenkungen zu begegnen, die zu einer Spekulationsblase führte und zu einer weiteren Krise und weiteren staatliche Konjunkturprogrammen. Eines der Warnzeichen der japanischen Wirtschaft war zu Beginn der Regierungszeit Abes die Deflation, also die gefährliche Tendenz zu Preissenkungen, die das Wirtschaftsleben lähmen kann. Abe machte sich damals daran, so eine Analyse der FAZ, mit "expansiver Geld- und Fiskalpolitik die Deflation überwinden zu wollen".

"Kern der Abenomics war immer, dass die Wirtschaftspolitik die Geldpolitik in die Pflicht nimmt", schrieb das Blatt. Die lange Wachstumsphase war denn auch teuer erkauft. Lag die Staatsverschuldung Japans 1990 noch bei 64 Prozent des Bruttosozialprodukts (BIP), so erreicht sie inzwischen rund 240 Prozent des BIP. Die Kosten schultert weitgehend die japanische Zentralbank. Deren Bilanz entsprach 1990 zehn Prozent der Wirtschaftsleistung,  zuletzt waren es 120 Prozent. Die Zentralbank hält rund die Hälfte aller ausstehenden Staatsanleihen Japans.

Die geringe Arbeitslosigkeit scheint Abe recht zu geben: Im letzten Jahr erreichte die Rate nur 2,3 Prozent, und selbst in Corona-Zeiten in diesem Juni lag sie noch bei 2,8 Prozent.

Gleichzeitig aber habe die Abenomics dazu geführt, dass die Gewinne in den vergangenen Jahren ungleich verteilt worden seien, beklagten seine Kritiker. Ein Drittel der Beschäftigten in Japan hat keine feste Anstellung. Und die Reallöhne fallen im Trend seit 1998 um 0,5 Prozent pro Jahr. Das  trifft Jobeinsteiger, Frauen, Minderqualifizierte, Alte. So stieg die Erwerbstätigkeit von 44 Millionen im Jahr 1990 auf zuletzt  57 Millionen - die Japaner und Japanerinnen müssen länger arbeiten, um klarzukommen. Der Leipziger Wirtschaftswissenschaftler Schnabl schrieb von einem "schleichenden Verlust des Wohlstands" - den die Japaner allerdings "geduldig" hinnähmen.

Japan Kyoto Senioren
Auch die Überalterung der Gesellschaft ist eine Ursache für Japans wirtschaftliche ProblemeBild: picture-alliance/imagebroker

"Entscheidend war die starke Führung"

Das Ende der langen Wachstumsphase Japans und damit das faktische Scheitern der Abenomics wurde im Zuge einer Mehrwertsteuererhöhung Ende letzten Jahres eingeläutet. In dem konsumorientierten Land versuchte die Regierung im vergangenen Oktober, durch die Anhebung der Steuer von acht auf zehn Prozent die Staatsfinanzen zu stärken. Das ging schief. Der Konsum brach ein und das noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie mit ihren Folgen. Auch der Versuch, durch die Olympischen Spiele im Land, die Stimmung zu wenden, scheiterte weit im Vorfeld an Corona.

Dem Einbruch der Wirtschaft suchte die Regierung Abe noch einmal mit einem gigantischen Konjunkturprogramm zu begegnen - aber schon die Ausgangslage war nun denkbar schlecht. Im Ergebnis kam die Erfolgsphase nun auch durch die Folgen des Handelskriegs zwischen den USA und China und eben nicht zuletzt die Corona-Krise jäh zum Ende. Auf das Jahr gerechnet, so die Statistiker in Tokio, schrumpfte die Wirtschaft der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt zwischen April und Juni um nicht weniger als 27,8 Prozent.  Und auch der private Konsum zeigte schließlich ein Minus von 8,2 Prozent (auf Quartalssicht).

Japan, so urteilte der Economist vor einer Weile, teste mit seiner expansiven Finanz- und Schuldenpolitik die Grenzen der Wirtschaftspolitik. Ein Ende dieses Weges scheint nicht in Sicht - Abenomics also auch ohne Abe. "Entscheidend für den Fortschritt des Reformprogramms war eine starke Führung", so urteilte allerdings Mireya Solis, Japan-Exepertin der Brookings Institution, gegenüber DW. Nach einem Rücktritt Abes werde nun "viel davon abhängen, wer seine Nachfolge antritt und ob der neue japanische Regierungschef in der Lage ist, eine starke öffentliche Unterstützung für eine erneuerte Reformagenda zu erzeugen".

Die Rücktrittsankündigung löste jedenfalls an der Börse in Tokio am Freitag unmittelbar Turbulenzen aus. Nach Handelsschluss notierte der Aktienindex Nikkei mit mehr als 1,4 Prozent im Minus.