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Italien: To-do-Liste für Mario Draghi

Andreas Rostek-Buetti mit Agenturen
5. Februar 2021

Italien vertraut gern auf ältere Männer, wenn es um schwierige Aufgaben geht. Nun soll Mario Draghi, der frühere EZB-Chef, den Retter geben. Auf ihn warten tiefsitzende wirtschaftliche Probleme.

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Italien Mario Draghi äussert sich zur Regierungsbildung
Bild: Alessandra Tarantino/Pool/AP/picture alliance

Bis zum Überdruss wird in diesen Tagen immer wieder der eine Satz des inzwischen 73-jährigen Mario Draghi zitiert: Whatever it takes… Was immer nötig sein sollte, werde die Europäische Zentralbank, an deren Spitze Draghi 2012 stand, zur Lösung der Finanzkrise beitragen.

Die Frage ist aber, was genau nötig ist, um Italiens Probleme zu lösen. In dem Land, dessen Regierungsgeschäfte sich Draghi nun zu übernehmen anschickt, geht es jedenfalls nicht nur um Geld.

Am erwarteten Geldsegen der EU - gut 200 Milliarden Euro aus dem Corona-Rettungspaket der Union - ist schon die jüngste italienische Regierung zerbrochen. Ministerpräsident Giuseppe Conte wurde von einem seiner vielen Vorgänger, von Matteo Renzi gestürzt, weil der fand, die Pläne der Mitte-Links-Koalition für den Einsatz der Hilfsgelder seien undemokratisch und nicht zielführend. Das Geld werde eingesetzt, um die eigene Klientel zu bedienen, so die Kritik des Mannes, der noch einer Zwei-Prozent-Partei vorsteht.

Ob sich Mario Draghi im römischen Politzirkus durchsetzen wird und eine eigene Mehrheit für ein Kabinett der Technokraten und Fachleute zusammenzubringt, war zum Ende dieser Woche noch nicht ausgemacht. Ein paar Punkte auf der Aufgabenliste, die ihn gegebenenfalls erwarten würde, sind aber überdeutlich.

Hohe Staatsverschuldung

Italien hat die Krise von 2008 nie ganz überwunden, bescheinigte die Zeitung Financial Times der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone. Die unschönen Seiten von bella Italia haben sich in der Tat seither kaum geändert: eine überbordende Staatsverschuldung, die den Spielraum jeder Regierung einschränkt; fehlendes Wirtschaftswachstum und unzureichende Produktivität der Unternehmen; ein immer noch krasses Nord-Süd-Gefälle, als Nährboden auch für die Mafia; eine teure und ineffektive Bürokratie, die im Einklang mit einer barocken politischen Klasse jede Strukturreform zur Herkulesaufgabe macht. Und Reformen täten überall Not, im Gesundheitswesen, beim Rentensystem, bei den Steuern.

Italien Rom Quirinalspalast | Regierungssitz Guiseppe Conte
Barocke Politlandschaft - der Regierungssitz in RomBild: FABIO FRUSTACI/ANSA/picture alliance

Italien trägt schwer an einer Schuldenlast von derzeit etwa 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Probleme beim Umgang mit diesen Schulden und der Zahlungsfähigkeit des Landes hatten schon früheren Regierungen wie der von Silvio Berlusconi den Garaus gemacht. Auch bei der Verwendung der 209 Milliarden Euro, die Italien nun im Rahmen des europäischen Corona-Fonds "Next Generation EU" zustehen sollen, spielt die Schuldenfrage eine Rolle. "Denn die Mehrheit dieser Gelder sind Kredite, das vergisst man gerne", so der Soziologe Luca Ricolfi im Gespräch mit der NZZ.

"Der Wirtschaftsminister möchte nun einen Teil des Geldes für Projekte einsetzen, die bereits in die Wege geleitet sind. Weil die Ausgaben schon vorgesehen sind, werden die Schulden nicht erhöht." Der für den Bruch der Koalition verantwortliche Ex-Premier Renzi hingegen wolle die ganze Summe für neue Projekte verwenden. "Das klingt zwar gut, ist aber sehr gefährlich für die Staatsschulden", so Ricolfi.

Die Kritik, die Regierung Conte habe nur einen vagen und unzureichenden Plan für die Verwendung der EU-Gelder vorgelegt, ist in Italien weit verbreitet. Sie teilt auch Carlo Bonomi, Chef des Unternehmerverbands Confindustria: "Die EU erwartet größere Strukturreformen vom Land, die bisher nicht umgesetzt wurden."

Touristenziel  Bologna Emilia Romagna
Klassische Wirtschaft - Kleinhändler in BolognaBild: Imago/Rainer Unkel

Tatsächlich verlangt die Europäische Kommission in ihren Länderempfehlungen nicht erst seit heute immer wieder dasselbe: das Rentensystem und die Justiz zu reformieren und den Wettbewerb zu schärfen.

Niedrige Wachstumsraten

In den Worten von Luigi Marattin, Ökonom und Abgeordneter von Renzis Kleinstpartei Italia Viva, klingt das dann so: "Der Aufbaufonds kann und muss ein Strategieplan sein für den Umbau einer Wirtschaft mit schweren Strukturproblemen, die in den zwanzig Jahren von 2000 bis 2019 eine der niedrigsten durchschnittlichen Wachstumsraten der Welt hatte", so Marattin in der FAZ. Schließlich sei Italiens "Pro-Kopf-Einkommen real gesehen in den Tagen stehengeblieben, in denen die Berliner Mauer fiel".

Zwar sind viele italienische Unternehmen vor allem im produktiven Norden auf dem Weltmarkt erfolgreich, im Modesektor, aber auch bei Maschinen und Ausrüstungsgütern. Die herstellende Industrie hat es dem Land bisher ermöglicht, nicht ganz in der Krise unterzugehen. Dennoch schrumpfte die Wirtschaft, die seit 20 Jahren kaum Wachstum verzeichnet, im vergangenen Jahr um rund neun Prozent. 450.000 Jobs gingen dabei verloren.

Ein Problem dabei: die hohen Unternehmenssteuern von 24 Prozent - die wiederum in den teuren, ineffektiven Staatsapparat fließen. Ein dauernder Kreislauf der Probleme. 

Italien Wirtschaft - Luxusartikel - Ferrari Produktion
Moderner Mittelstand - Ferrari-Produktion in Maranello Bild: picture-alliance/D. Ebener

"Personifiziertes Stabilitätsversprechen"

Der mögliche neue Regierungschef Mario Draghi gilt angesichts der instabilen Ausgangslage in Europa vielen in Italien als personifiziertes Stabilitätsversprechen. Man kann es an der Börse in Mailand ablesen - mehr als zwei Prozent das Plus am Mittwoch dieser Woche - wie auch an den italienischen Kreditkosten: Zehnjährige italienische Staatsanleihen verringerten den Zinsabstand gegenüber den deutschen Papieren am Mittwoch auf nur noch ein Prozent - den tiefsten Stand seit Jahren.

Allerdings muss Draghi zunächst einmal eine Mehrheit im römischen Parlament finden. Sprecher vom linken Flügel der Fünf-Sterne-Bewegung 5 stelle aus der bisherigen Koalition brandmarkten ihn schon mal als "Apostel der Eliten", vermerkte der römische Korrespondent der taz.

Für einen solchen Typus haben die Italieninnen und Italiener allerdings eine Schwäche. Im November 2011 ersetzte der Ökonom und frühere EU-Kommissar Mario Monti den bisweilen irrlichternden Silvio Berlusconi an der Spitze der Regierung. Nach einem Jahr, als das Schlimmste der Euro-Krise vorbei schien, musste der Rektor einer der prestigereichsten italienischen Universitäten allerdings schon wieder abtreten - ohne grundlegende Reformen durchgesetzt zu haben.