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Ist Wählen mit 16 cool?

Arne Lichtenberg3. Mai 2012

Wählen noch als Teenager? In Deutschland darf man an den meisten Wahlen erst mit 18 Jahren teilnehmen, anders als zum Beispiel in Österreich. Jugendforscher wollen dem Nachbarn folgen - schrittweise.

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Eine jugendliche Hand steckt einen Simmzettel in die Wahlurne (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Kinder und Jugendliche haben in Deutschland keine Wahl. Zur Wahlurne darf erst gehen, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat. Nur bei einigen Kommunalwahlen in einzelnen Bundesländern dürfen Jugendliche schon mit 16 Jahren ihr Kreuz setzen. Im kleinsten deutschen Bundesland Bremen darf man bei den Wahlen zur Bürgerschaft, vergleichbar mit den Landtagswahlen in anderen Bundesländern, ebenfalls schon mit 16 zur Stimmabgabe gehen - bisher die große Ausnahme, bis Ende 2011 Brandenburg nachzog. Damit haben erstmals Jugendliche ab 16 Jahren in einem Flächenstaat das Wahlrecht. Voraussichtlich 2014 dürfen die Jugendlichen dann erstmals in Brandenburg ihre Stimme abgeben, wenn nämlich über das nächste Landesparlament abgestimmt wird.

Immer wieder gab es in letzter Zeit Vorstöße von einzelnen Parteien, das Wahlrecht auf 16 Jahre zu senken, zum Beispiel bei Parteien wie den Grünen, die sich bei Jugendlichen einer hohen Beliebtheit erfreuen. Aber bisher scheiterten all die Anträge auf eine Änderung des Wahlrechts an der nötigen Mehrheit im Parlament. Zuletzt sorgte die Piratenpartei in Sachsen-Anhalt für Aufsehen, als sie bekanntgab, sich für ein Wahlrecht für alle Kinder ab zwölf Jahren einsetzen zu wollen.

Politikdesinteresse bei den Jugendlichen

Kritiker des Jugendwahlrechts führen immer wieder an, dass sich junge Leute heutzutage überhaupt nicht mehr für Politik interessieren würden. Sie plädieren daher sogar eher für eine Heraufsetzung des Wahlrechts auf 21 Jahre. In Teilen gibt Jugendforscher Klaus Hurrelmann den Kritikern recht: "Jugendliche ab zwölf, 13 Jahren, haben in den letzten 20 Jahren immer weniger Interesse an den etablierten Parteien und an der Politik. Sie wenden sich zu einem großen Teil von diesen Strukturen ab."

Klaus Hurrelmann, Soziologe (Foto: Karlheinz Schindler)
Klaus Hurrelmann: "Die Jugendlichen müssen eher wählen"Bild: picture alliance/ZB

Vor allem etablierte Parteien, die ihre Stammwählerschaft aus den älteren Wählerschichten rekrutieren, lehnen eine Senkung des Wahlalters ab. Sie fürchten um Stimmeneinbußen, weil sie bei den jungen Wählern nicht allzu hoch im Kurs stehen. Das sei eindeutig zu kurzfristig gedacht, sagt Hurrelmann. "Ich setze mich seit fast 20 Jahren für eine Absenkung des Wahlalters ein, auf Basis von Jugendstudien. Zu wissen, was ein Wahlrecht bedeutet und was es bewirkt, diese Fähigkeit ist in den letzten Jahren deutlich gesunken", berichtet Hurrelmann. So seien Jugendliche in ihrer Entwicklung heute weiter, als ihre Gleichaltrigen noch vor 30 Jahren. "Deshalb wäre es klug das Mindestwahlalter schrittweise herunterzusetzen."

Ausnahme Österreich

In Europa ist bisher Österreich die einzige Ausnahme. Der Alpenstaat hat seit Juni 2007 als erstes europäisches Land überhaupt das Wahlrecht ab 16 Jahren eingeführt. In den anderen europäischen Ländern gilt das aktive Wahlrecht erst ab 18 Jahren. Hurrelmann dementiert auch die Behauptung, dass es nur politisch desinteressierte junge Menschen geben würde. "Es gibt politisch interessierte Jugendliche, aber sie wünschen sich eine politische Struktur der Beteiligung, bei der sie direkt mitwirken und mitbestimmen können und nicht nur vor vollendete Tatsachen gestellt werden." Die bisherige Organisation des politischen Systems hätte bei den Heranwachsenden zur Politikverdrossenheit geführt und würde auch den derzeit starken Zulauf der Piratenpartei erklären, berichtet der Experte.

Dass junge Wähler sowieso nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen würden, ist ebenfalls nicht zu beweisen. Bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen 2011 lag die Wahlbeteiligung bei den jungen Wählern zwar unter dem Durchschnitt von 55,9 Prozent. Dennoch war die Beteiligung bei den Erstwählern zwischen 16 und 20 Jahren mit 48,6 Prozent deutlich höher als die bei den 21- bis 25-Jährigen mit 39,8 Prozent. "Dort, wo die jungen Leute zum ersten Mal wählen konnten, haben sie eine sehr starke Wahlbeteiligung gezeigt. Die war manchmal höher als die bei den älteren Gruppen", bestätigt Hurrelmann.

Parteien gefordert

Eine Skifahrerin geniesst bei einer Skitour in Oberbayern den Blick auf das Inntal und die Berge des Kaisergebirges in Österreich (Foto: dapd)
Vorreiter Österreich - Schon mit 16 wahlberechtigtBild: dapd

Im Großen und Ganzen sei das eine erfolgreiche Entwicklung, erklärt Hurrelmann, denn so funktioniere Demokratie. Das Interesse an Politik bei den Jugendlichen wieder zu steigern, erreiche man aber nicht einfach über eine Absenkung des Wahlalters, sagt auch der Politwissenschaftler Lothar Probst von der Universität Bremen. "Wer das glaubt, der ist auf dem Holzweg. Das Interesse der Jugendlichen für Politik muss sich auf anderen Kanälen entwickeln. Da müssen die Parteien vor allen Dingen viel tun. Junge Leute treten heute kaum noch in Parteien ein, das ist langweilig, zu einer Parteiversammlung zu gehen."

Dass junge Menschen nicht den ganz großen Drang haben, in die Politik zu gehen, erkennt man allein schon, wenn man sich die einzelnen Parteien genauer anschaut: Viele haben schon seit Jahren rückläufige Mitgliederzahlen, und auch die Altersstruktur ist nicht gerade ausgewogen. Bei der SPD und der CDU ist fast die Hälfte der Mitglieder über 60 Jahre alt.

Immer mehr Ältere bestimmen für die Jungen mit

Natürlich spielt hierbei auch der demographische Wandel in Deutschland eine Rolle. Es gibt immer mehr ältere Menschen und weniger junge. Auch der Rat der Europäischen Union hat diese Entwicklung erkannt; ausdrücklich fordert er eine Anpassung des Wahlalters. Denn aktuell würden sonst immer mehr ältere Menschen über die Zukunft der Jüngeren bestimmen, ohne dass die überhaupt ein Mitspracherecht hätten.

Wähler geben in Hamburg ihre Stimmen für die Bürgerschaftswahl (Foto: dpa)
Einige Parteien wollen gerne viele junge Menschen an den Wahlurnen sehenBild: picture-alliance/dpa

Nicht bei allen jungen Leuten stößt die Absenkung des Wahlalters auf Zustimmung. So reagiere die Mehrheit der Jugendlichen dem Thema gegenüber sehr zurückhaltend, meist gäbe es nur eine knappe Mehrheit oder manchmal auch gar keine. "Man möchte als junger Mensch nicht zu früh Verantwortung übernehmen und scheut sich in das politische System einzutreten", begründet Hurrelmann die Zurückhaltung unter den Jugendlichen.

Alternative Familienwahlrecht

Doch neben dem Jugendwahlrecht wird auch noch über ein anderes Modell nachgedacht: Das Wahlrecht von Geburt an, das von den Eltern oder Erziehungsberechtigten bis zum 18. Geburtstag stellvertretend für die Kinder wahrgenommen werden solle. Auch dieses Modell wird damit begründet, dass gerne zu Lasten künftiger Generationen Belastungen in die Zukunft verschoben würden. Deshalb sollten Familien mit Kindern die Chance erhalten, deren Interessen im politischen Prozess Gehör zu verschaffen. Im Jahr 2008 hatten 46 Bundestagsabgeordnete im deutschen Bundestag den Antrag für ein Wahlrecht von Geburt an eingebracht. 2009 wurde er abermals eingebracht und an die entsprechenden Ausschüsse weitergeleitet. Doch seitdem hat man nichts mehr davon gehört.