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Ein Muslim weniger wert?

Christoph Hasselbach12. Februar 2015

Ein Weißer, der sich als Atheist bezeichnet, hat in einer Universitätsstadt in North Carolina drei Muslime erschossen. Erst einen Tag später begannen die US-Medien, sich für den Vorfall zu interessieren.

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Polizisten bei Ermittlungsarbeit Foto: picture-alliance/AP/The News & Observer, Al Drago
Bild: picture-alliance/AP/The News & Observer, Al Drago

Die Tat geschah bereits am Dienstag in Chapel Hill. Unweit des Campus der Universitätsstadt schoss der 46jährige Weiße Craig Stephen Hicks am hellichten Tag in einer Wohnanlage auf die drei jungen Muslime, ein Ehepaar und die Schwester der Frau. Die Frauen trugen Kopftücher. Hicks stellte sich kurz darauf der Polizei. Er selbst hat bisher offenbar kein Motiv für die Tat genannt.

Vordergründig ging es nach Aussagen von Angehörigen und der Polizei um eine Auseinandersetzung um Parkplätze. Karen Hicks, die Ehefrau, sagte aus, ihr Mann streite sich seit langem mit Nachbarn um Parkraum in der Wohnanlage, das habe nichts mit deren Religion zu tun. Doch Religion - jede Religion - scheint im Denken und Fühlen von Craig Hicks schon eine Rolle gespielt zu haben, und zwar eine negative. Auf Facebook sagt Hicks, sowohl Muslime als auch Christen trügen die Schuld an den Problemen im Nahen Osten, und dann: "Es gibt eine Lösung: Atheismus." Auf seinem Facebook-Profil ist ein Revolver zu sehen.

Anders als bei "Charlie Hebdo"

Für den Rat für Amerikanisch-Islamische Beziehungen ist klar: "Drei Muslime sind ermordet worden, weil sie Muslime waren." Ähnlich reagiert nun auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland. Dessen Vorsitzender Aiman Mazyek fragt, welche Reaktion die Tat wohl ausgelöst hätte, wenn der mutmaßliche Täter Muslim gewesen wäre. Die Darstellung von Muslimen in den Medien vor allem als Täter heize "die ohnehin schon vorhandene anti-islamische Stimmung" auch in Deutschland nur noch weiter an.

Trauermarsch in Paris nach "Charlie-Hebdo"-Anschlag Foto: REUTERS/Y. Herman
Nach den Anschlägen in Paris trauerten Staats- und Regierungschefs aus aller Welt.Bild: REUTERS/Y. Herman

Viele Muslime in den USA sind aber nicht nur über die Tat selbst empört, sondern auch über die Tatsache, dass die Medien erst am Mittwoch begannen, über den Vorfall zu berichteten und dass die lokalen Medien zunächst verschwiegen hatten, dass die Opfer Muslime waren. Viele glauben, das sei Ausdruck für eine allgemeine Benachteiligung und Doppelmoral Muslimen gegenüber. Unter den Twitter-Kennungen #Muslim Lives Matter (Muslimische Leben sind wichtig) und #CallItTerrorism (Nenne es Terrorismus) machen sie ihrem Ärger Luft. Mit großer Bitterkeit vergleichen viele Kommentatoren auf Twitter auch die Reaktion in den westlichen Medien und der Politik auf die islamistischen Anschläge auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo", die mit ihren Mohammed-Karikaturen Muslime weltweit aufgebracht hatte, mit dem dünnen und späten Echo auf die Tat von Chapel Hill.

Muslime beklagen Doppelmoral der Medien

Mohamad Elmasry, Professor an der Universität Nord-Alabama in den USA, schreibt in einem Artikel für den internationalen Sender Al-Dschasira, es sei klar, dass westliche Medien bewusst oder unbewusst negative Einstellungen gegenüber dem Islam schürten: "Muslime werden oft als gewalttätig, rückständig, fundamentalistisch und als Bedrohung der westlichen Zivilisation dargestellt. Wenn Christen, Juden und andere Nichtmuslime von Muslimen getötet werden, wird Religion als direkte Ursache ausgemacht. Wenn Muslime von Juden, Christen und anderen Nichtmuslimen getötet werden, wird die Religion des Täters dagegen heruntergespielt oder ignoriert."

Sie wollten ein normales Leben führen

Die drei Getöteten waren praktizierende Muslime, von Extremismus irgendwelcher Art ist nichts bekannt. Der Mann war ausgebildeter Zahnarzt, seine Frau wollte bald ein zahnmedizinisches Studium beginnen. Beide sammelten Geld für syrische Kriegsflüchtlinge in der Türkei. Mark Kleinschmidt, der Bürgermeister von Chapel Hill, hat sie "Beispiele für die Gemeinschaft" genannt. Der Journalist Ethan Casey weist in einem Kommentar in der "Huffington Post" darauf hin, die drei Getöteten hätten, wie die allermeisten Muslime in den USA, den Wunsch gehabt, ein ganz normales Leben zu führen: "Leider ist es nur allzu vorhersehbar, dass einige Muslime, so wie der auf tragische Weise verwirrte und irregeleitete mutmaßliche Mörder von Chapel Hill, jetzt die Dinge selbst in die Hand nehmen werden. Davor habe ich Angst. Aber ich hahe genauso Angst vor dem Gegenteil, dass die muslimischen Gemeinschaften überall in den Vereinigten Staaten in eine geduckte Furchtsamkeit hineinterrorisiert werden."

Porträt Hicks Foto: picture-alliance/AP/Durham County Sheriff
Der mutmaßliche Täter Craig Stephen HicksBild: picture-alliance/AP/Durham County Sheriff

Casey will es den Muslimen überlassen, welche Lehren sie aus dem Vorfall für ihr persönliches Leben ziehen, doch sie sollten jedenfalls nicht schweigen: "In Amerika musst Du selbst für Deine Sache eintreten, das wird niemand anderer für Dich tun." Doch zumindest in der Trauer und Empörung sind die Muslime in Chapel Hill nicht allein. Am Mittwochabend hatten rund 2.000 Menschen aller Glaubensrichtungen eine Mahnwache auf dem Campus von Chapel Hill abgehalten. Dort rief der Bruder des Getöteten die Menge zur Zurückhaltung auf: "Bekämpft Feuer nicht mit Feuer."