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Israels Künstler befürchten politische Zensur

Daniella Cheslow / ct (Adaption)23. Juni 2015

Die neue israelische Kulturministerin hat mit einigen Äußerungen unter führenden Kulturschaffenden des Landes eine Welle der Kritik losgetreten. Viele von ihnen bangen um ihre Meinungsfreiheit.

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Miri Regev
Bild: picture-alliance/AP Photo/D. Balilty

Der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin lud am Sonntag (21.06.2015) zu einem ungewöhnlichen Treffen mit bekannten Theatermachern und Regierungsmitgliedern in seine Jerusalemer Residenz. Es ging um die dringende Frage, ob der Staat jede Form der Kunst finanzieren müsse – auch Kunst, die der Regierung kritisch gegenüber steht.

Rivlin hatte sich für die Zusammenkunft entschieden, nachdem der Streit um die Kulturfinanzierung eskaliert war. Denn kurz zuvor hatte die israelische Kulturministerin Miri Regev (Artikelbild) unter Protestrufen bei einer Theaterpreisverleihung verkündet, dass "jeder, der dieses Land in Verruf bringen will, dies allein tun wird. Wir werden keine Komplizenschaft eingehen und nichts dergleichen finanzieren."

Arabische Theater ins Visier genommen

Zwei arabische Theater, eins in Haifa im Norden des Landes und eins in Jaffa, der Altstadt Tel Avivs, stehen im Mittelpunkt der Kontroverse. Der Stil der öffentlichen Debatte zwischen Regev und den Schauspielern passt gut zum militaristischen Ton, der in Benjamin Netanjahus viertem Kabinett vorherrscht.

Das Al-Midan Theater in Haifa führte das Stück "Parallel Time" ("Parallelzeit") auf. Es stellt den Alltag palästinensischer Gefangener aus der Sicht des politischen Häftlings Walid Daka dar. Er war 1984 in die Entführung und Ermordung des Israelischen Soldaten Moshe Tamam verwickelt. Ein Gremium israelischer Pädagogen hatte das Stück rezensiert und stimmte der staatlichen Unterstützung zu. Über ein Jahr lief das Stück in einem Theater in Haifa, finanziert von der Stadt und dem israelischen Kulturministerium.

Förderung aufgehoben

Ein Stadtratsmitglied von Haifa reichte jedoch Beschwerde gegen das Stück ein. Daraufhin kündigte der neue Bildungsminister Naftali Bennett an, das Stück aus dem Kulturprogramm für Studenten zu entfernen. Kulturministerin Regev äußerte sich wenig später, öffentliche Gelder für das gesamte Theater kürzen zu wollen, angeblich wegen schlechter Finanzführung und weil der Autor des Stücks den Kontakt zum inhaftierten Daka aufrechterhalte.

Die Nichte des ermordeten Moshe Tamam, Ortal Tamam, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press, das Stück verherrliche den Mörder eines Israelis. "Unsere Regierung sollte diese Aufführung nicht unterstützen. Ich verstehe die Leute nicht, die den Kidnapper eines 19-jährigen Jungen als Helden bezeichnen," sagte Tamam.

Mahasen Rabus, Regieassistentin am Al-Midan Theater, erzählte DW von ihrer Not: Das gesamte Budget von umgerechnet 530.000 Euro sei von der Regierung und der Stadt Haifa gekommen – beide Quellen werden vermutlich nächsten Monat versiegen. Das Theater sucht händeringend neue Unterstützer wie Palästinenser mit israelischem Pass oder die Europäische Union.

"Wir müssen unseren Landsleuten Aufführungen bieten, die von unserer Kultur handeln", meint Rabus. "Wir sind Bürger Israels. Demnach ist es unser Recht, Zuwendungen von der Regierung und der Gemeinde Haifa zu beanspruchen."

Umstrittener Siedlungsbau

Neben Al-Midan drohte Regev einem weiteren Theater mit Streichungen der Gelder. Der Grund: Norman Issa, der Gründer des Jüdisch-Arabischen Kindertheaters, hatte sich geweigert, in einer jüdischen Siedlung im Palästinensischen Westjordanland aufzutreten. Israel hat das Westjordanland 1967 im Sechs-Tage-Krieg eingenommen und hält es seitdem besetzt. Palästinenser werfen der israelischen Regierung vor, dadurch den Aufbau eines unabhängigen Palästinas zu behindern: Die Zerklüftung des Westjordanlandes durch jüdische Siedlungen sei alles andere als förderlich für einen palästinensischen Staat.

Um gegen Regevs Androhung zu protestieren, schrieb Issa auf Facebook: "Als arabischer Israeli kann keiner von mir erwarten, dass ich gegen mein Gewissen handle und in umstrittenen Gebieten auftrete."

Laut Ministerin Regev gibt es keinen Unterschied, ob man in Siedlungen oder andernorts in Israel auftritt. "Wenn man an ein friedliches Zusammenleben glaubt – dann gilt das für Tel Aviv-Jaffa genauso wie für das Jordantal, Nazareth, Rahat und Kiryat Gat", sagte sie gegenüber Radio Israel.

Krieg der Worte

Israel Tel Aviv Protest gegen Krieg 16.08.2014 David Grossman
Der israelische Autor David Grossman befürchtet, dass Israel sich isoliertBild: picture-alliance/dpa

Letzte Woche trafen sich israelische Schauspieler zu einer Eilkonferenz, um über die Maßnahmen des Kulturministeriums zu diskutieren, die sie als Beschneidung ihrer Meinungsfreiheit empfinden. Schauspieler Oded Kotler warnte, dass Israel unter Regevs Likud-Partei zu einem Land ohne Bücher, Theaterstücke und Gedichte würde. Das Land verkomme zu einer bloßen "Herde wiederkäuender Rinder".

Ministerin Regev schlug zurück und nannte Kotler und seine Kollegen "geizig, heuchlerisch und undankbar, und ich will nicht für sie arbeiten."

Präsident Reuven Rivlin war um eine Aussöhnung beider Seiten bemüht und lud Ministerin Regev, Kotler, Issa und weitere führende Schauspieler am Sonntag in seine Wohnung ein. Kotler erschien nicht zum gemeinsamen Fototermin und sagte gegenüber dem israelischen Armeesender, dass die Differenzen zwischen Regev und den Künstlern nicht beigelegt seien. Regev verhalte sich "ein bisschen wie Cäsar, in einer anderen Gesellschaft, in einem anderen politischen Umfeld."

Nach dem Krieg der Worte befürchten israelische Künstler nun eine Hexenjagd. Der Schriftsteller David Grossman sagte gegenüber der Tageszeitung Haaretz, Regevs Standpunkt führe dazu, dass für israelische Künstler der Kontakt zur Realität gekappt würde. Er fügte hinzu: "Wenn es in diese Richtung weitergeht und wir uns weiter von der Welt abschotten, dann wird Israel nur noch eine militante, fundamentalistische, in sich gekehrte Sekte am Rand der Weltgeschichte sein."