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Zeitzeugen belasten Armee

Tania Krämer, Jerusalem4. Mai 2015

Ein Jahr nach dem Gaza-Krieg hat eine Organisation Berichte von israelischen Soldaten veröffentlicht, die an der Operation "Protective Edge" teilgenommen haben. Die Aussagen setzen die Armee stark unter Druck.

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Ein israelischer Panzer feuert (Foto: Andrew Burton/Getty Images)
Bild: Getty Images

"…manchmal haben wir ein Haus in die Luft gesprengt, weil dort Bomben hätten versteckt sein können. Am Ende haben wir fast die gesamte Nachbarschaft in die Luft gejagt...." Ein anonymer Augenzeugenbericht eines israelischen Soldaten, der im Sommer 2014 im Gazastreifen gegen die Hamas gekämpft hat. Auch ein anderer beschreibt die Geschehnisse an der Front: "In einem Kampfgebiet gibt es niemanden, der nicht irgendwie involviert ist. Alles innerhalb (des Gazastreifens) ist eine Bedrohung. Und wenn keiner eine weiße Flagge hochhält und schreit 'ich ergebe mich' - dann ist er eine Bedrohung und es gilt die Erlaubnis zum Schießen."

Die Berichte sind Teil einer neuen Publikation der israelischen Organisation "Breaking the Silence". Unter dem Titel "Wie wir in Gaza gekämpft haben" beschreiben 60 Soldaten verschiedener Einheiten und Ränge, wie sie die Kämpfe im Gaza-Streifen erlebt haben. Die Augenzeugenberichte, schreibt die Organisation, würden "ein beunruhigendes Bild der israelischen Armee beschreiben, die (wahllos) Schießbefehle erteilt habe" und sich "drastisch von ihren bisherigen Einsatznormen entfernt habe." Dies habe zu vielen zivilen Opfern auf palästinensischer Seite geführt. "Wir empfinden es als wichtig, in unserer Gesellschaft eine Diskussion darüber anzustoßen", sagt Avihai Stollar, der das Recherche-Team der Organisation leitet.

"Breaking the Silence" wurde vor mehr als zehn Jahren von Reservisten und Soldaten gegründet. Seitdem dokumentiert es die Einsätze der israelischen Armee anhand von Aussagen ehemaliger Soldaten. Während des letzten Gaza-Krieges, der im Juli 2014 begann, starben über 2100 Palästinenser. Über die genaue Anzahl der getöteten Zivilisten wird noch immer gestritten. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben über 1400 Zivilisten, davon mindestens 500 Kinder. Tausende wurden verletzt. Auf israelischer Seite kamen 66 Soldaten und sechs Zivilisten ums Leben.

Rauch steigt über dem Gazastreifen auf (Foto: epa/ABIR SULTAN/dpa)
Auch heute schwelt der Konflikt nochBild: picture-alliance/dpa

Umstrittenes Vorgehen

"Jeder in Israel würde sagen, unsere Armee hegt hohe moralische Standards", sagt Stollar. Während der Militäroperation "Protective Edge" hätten Armeesprecher und die Regierung immer wieder den Eindruck erweckt, alles zu tun, um zivile Opfer unter Palästinensern zu vermeiden. "Leider hat die israelische Öffentlichkeit keine Ahnung davon, wie die Vorgaben waren und wie unverhältnismäßig hoch die Feuerkraft war", sagt der 32-Jährige, der selbst früher in der Armee gedient hat. Schon während des Gaza-Krieges 2008/09 habe es ähnliche Vorgaben gegeben, aber mit jeder neuen Militäroperation werde die rote Linie weiter überschritten.

Die israelische Armee weist die Vorwürfe zurück. Der frühere Kommandant der im Süden stationierten Armeeeinheiten, bezeichnet die Vorwürfe als "falsch" und "unerhört". "Die IDF wird hier fälschlicherweise als Mörder bezichtigt", sagte Zvi Fogel im israelischen Armeerundfunk. Sollte es Vergehen gegeben habe, würden diese bereits von der Armee intern untersucht.

Ein israelischer Soldaten untersucht eine Zivilistin (Foto: Breaking the Silence)
Israel will nach eigenen Aussagen alles versucht haben, um Zivilisten zu verschonenBild: Breaking the Silence

Der Vorwurf von "Breaking the Silence": Die Bodentruppen seien unter der Vorgabe in den Einsatz geschickt worden, dass in dem einzunehmenden Gebiet keine Zivilisten mehr seien. "Wenn sich dort noch jemand aufhält, dann war klar, dass er nicht dort sein sollte und automatisch als 'Terrorist' identifiziert wird", berichten die Soldaten. "Es wurde gesagt, ihr seid jetzt in einem Kriegsgebiet, und wenn man auch nur den kleinsten Zweifel habe, dann solle man nicht zögern zu schießen", beschreibt ein Soldat die Situation.

Evakuierungswarnungen waren nicht ausreichend

"Die Armee hat Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um die palästinensische Bevölkerung vor Angriffen zu warnen und sie aufgefordert, die Gebiete zu verlassen. Sie haben Flugblätter abgeworfen, angerufen und SMS an betroffene Familien geschickt", sagt Michael Sfard, Anwalt und Berater von "Breaking the Silence". "Aber das bedeutet nicht, dass man deshalb darauf verzichten kann, zwischen Zivilisten und Kämpfern zu unterschieden. Es gab Menschen, die aus den verschiedensten Gründen nicht geflüchtet sind."

Eine Palästinenserin inspiziert ihr zerstörtes Haus (Foto: REUTERS/Mohammed Salem)
Bild: Reuters

In einer ersten Reaktion hatte das israelische Militär schon vor der Veröffentlichung reagiert. Die Armee fühle sich verpflichtet, heißt es in der Stellungnahme, "jegliche Vorwürfe, die von Medien, Organisationen und von offizieller Seite erhoben werden, die die Haltung der Armee betreffen, nachzugehen und zu prüfen." Aber "Breaking the Silence" habe weder Beweise noch die Augenzeugenberichte vor der Veröffentlichung vorgelegt. Die Veteranen-Organisation weist diesen Vorwurf zurück. In einer Stellungnahme heißt es, man hätte um ein Treffen mit dem Chief of Staff gebeten, um die Berichte vorzulegen. Aber dazu sei es nicht gekommen.