1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Israel alarmiert von AfD-Aufstieg

Miriam Dagan Tel Aviv
27. September 2017

Israelische Presse und Abgeordnete äußern sich besorgt über den Einzug der AfD in den Bundestag. Premierminister Benjamin Netanjahu warnt vor Antisemitismus, ohne aber direkt auf den Wahlsieg der AfD einzugehen.

https://p.dw.com/p/2koBK
Duisburg Marxloh Wahl 2017
Bild: DW/R.Staudenmaier

"Deutschland wählt - die 'Nazis im Schlips' auf dem Weg ins Parlament" lautet die Schlagzeile in einem der wichtigsten Nachrichtenportalen des Landes, Ynet. Einer der zwei großen Nachrichtensender gibt bekannt: "Erdbeben: Wer ist die Alternative für Deutschland? - Extrem und gefährlich."

Wie der andere Hauptsender berichtet, ist es "nicht nur eine Partei, die gegen Einwanderung ist, es ist auch eine Partei, welche die Einstellung zur Nazi-Vergangenheit verändern will. Es ist dramatisch". Die israelische Presse ist zwischen links und stark rechts polarisiert. Aber auch auf der Titelseite der rechtsgerichteten Tageszeitung Israel Hayom heißt es "Drama in Deutschland - zum ersten Mal seit 1945 zieht die extreme Rechte ins Parlament".

Israelische Presse reagiert schockiert

Wie auch in Deutschland reagierte die israelische Presse, egal welcher politischer Ausrichtung, schockiert. Das zeigt, wie ernst der Erfolg der AfD hier genommen wird - denn in Israel ist man eigentlich daran gewöhnt, dass kleine Parteien mit extremen Haltungen im Parlament sitzen.

Deutschland Alexander Gauland, Alice Weidel und Frauke Petry  in Berlin
Alexander Gauland (li.) und Alice Weidel (Mi.) werden die AfD-Fraktion im neuen Bundestag anführen.Bild: Reuters/W. Rattay

Wiederholt betonten Nachrichtenmoderatoren, dass der AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg gelobt hat, dass die AfD sogar gleich als drittstärkste Fraktion im Bundestag sitzt. Die eigenwillige Geschichtsdeutung der Partei und ihre Relativierung der deutschen Verantwortung für den Holocaust wurde in den Nachrichten hoch und runter diskutiert.

Jenseits der Schlagzeilen zeigte sich jedoch, dass rechte Medien in Israel den AfD-Erfolg tendenziell als Protestwahl interpretieren und ihre Gefahr herunterspielen. "Israel Hayom", die pro-Netanyahu Zeitung druckte ein Interview mit Alexander Gauland ab, die als Titel ein Zitat des AfD-Spitzenkandidaten hatte: "AfD-Wähler und Juden in Deutschland haben ähnliche Sorgen."

Netanjahu erwähnt die AfD nicht

Damit werden offensichtlich Leser angesprochen, die Sympathien für eine Anti-Einwanderungspolitik hegen. Konservative israelische Medien zogen auch Parallelen zwischen dem Antisemitismus der Rechten und dem der Linken in Europa.

Am Tag nach der Wahl gratulierte Premierminister Benjamin Netanjahu Angela Merkel auf Twitter, ohne die AfD zu erwähnen: "Herzlichen Glückwunsch an Angela Merkel, ein wahrer Freund Israels, zu ihrer Wiederwahl als deutsche Kanzlerin" - ein Fehler, denn Merkel kann frühestens nach Koalitionsbildung vom Bundestag wiedergewählt werden.

Erst am Dienstag sprach der israelische Premier in einem Telefonat mit der Kanzlerin die Sorge Israels über den Anstieg antisemitischer Strömungen in der deutschen Politik an. Er rief die deutsche Regierung dazu auf, "historische Verantwortung" zu übernehmen und Versuche, den Holocaust zu verleugnen oder zu relativieren, zurückzuweisen. Er betonte auch die Sorge Israels wegen steigendem Antisemitismus sowohl von rechts als auch von links. Den Wahlsieg der AfD erwähnte er aber nicht direkt.

Deutschland Israel Netanjahu bei Merkel
Benjamin Netanjahu (r.) und Kanzlerin Angela MerkelBild: Getty Images/AFP/O. Andersen

AfD-Wahlerfolg: "Ohrenbetäubende Stille"

Viele kritisieren die israelische Regierung dafür, dass sie rechtsgerichteten Antisemitismus nicht deutlich genug verurteilt. In einem Meinungsstück für die linke Tageszeitung "Haaretz" schreiben der ehemalige Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, und der Historiker Moshe Zimmermann, dass Israels Reaktion auf den schockierenden Wahlerfolg der AfD eine "ohrenbetäubende Stille" sei.

Vielleicht sogar noch bedeutsamer: auch Colette Avital, Vorsitzende des israelischen Dachverbandes für Holocaust-Überlebende, findet, dass sich in diesem Fall "israelische Politiker sich nicht hinter Höflichkeitsfloskeln verstecken sollten. Sie müssen rechtsextreme Parteien viel stärker verurteilen".

Und tatsächlich gibt es scheinbar nur ein Regierungsmitglied, das sich zur AfD geäußert hat. Bauminister Yoav Gallant schrieb auf Twitter: "Beobachte besorgt die zu erwartenden Veränderungen mit dem Einzug der extremen Rechten ins deutsche Parlament - rechter Nationalismus in Deutschland ist ein Alarmsignal."

Colette Avital glaubt zwar an die unbeugsame Unterstützung Israels durch die deutsche Regierung, aber, wie sie der Deutschen Welle sagte: "Wir sind sehr besorgt über den Aufstieg einer rechtsextremen Partei mit nationalsozialistischen Zügen in Deutschland. Es ist schockierend, dass eine solche Partei in die deutsche Politik zurückkehrt."

Sie unterstreicht, dass eine Partei nicht zugleich Anti-Muslim und liberal sein kann, denn "das bedeutet Intoleranz. Und das ist etwas, worüber wir uns nicht freuen sollten."

"Warnsignal an Israel und das jüdische Volk"

Ein klarer Standpunkt, der auch anderswo Widerhall findet. Nachman Shai, Abgeordneter und Vorsitzender der deutschen-israelischen Parlamentariergruppe, sieht das Wahlergebnis als "ein echtes Warnsignal an Israel und an das jüdische Volk".

Der Deutschen Welle gegenüber fügte er hinzu, dass er nicht um die Merkel-Ära besorgt ist - "aber die Frage ist, was bringt die Zukunft? Ein hoher Anteil der deutschen Bevölkerung hat antisemitische und rassistische Ansichten. Jetzt haben sie eine öffentliche Arena, und könnten erstarken."

Auch andere einflussreiche Politiker aus der Mitte-links Opposition in Israel äußersten sich besorgt - zum Beispiel der Parteichef von Yesh Atid, Yair Lapid, deren Vater Shoah-Überlebender ist. Die ehemalige Außenministerin Tzipi Livni, eine der prominentesten Politikerinnen des Landes, schrieb auf Twitter: "Ich gratuliere Angela Merkel, ein wahrer Freund Israels. Ich bin davon überzeugt, dass sie einen Weg finden wird, mit dem besorgniserregenden Aufstieg der antisemitischen, extremen Rechten umzugehen - genauso wie sie auch den Mut gezeigt hat, für ihre Werte einzustehen."

Fazit: Auch in Israel ist die Beunruhigung über den Wahlerfolg der extremen Rechten  - und zwar ausgerechnet in Deutschland - klar und deutlich angekommen.