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Radikalisierungsforscher: Islamisten an der Ausreise hindern

Matthias von Hein4. Dezember 2014

Von islamistisch radikalisierten Rückkehrern aus Syrien geht akute Terrorgefahr aus. Deshalb sollte man Dschihadisten erst gar nicht ausreisen lassen, meint Radikalisierungsforscher Peter Neumann im DW-Interview.

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Mit schwarzen Tüchern vermummte und mit Sturmgewehren bewaffnete Kämpfer des IS in einer langen Reihe hintereinander (Foto: ABACAPRESS.COM)
Bild: picture-alliance/abaca/Yaghobzadeh Rafael

DW.DE: Die deutschen Behörden sprechen von ungefähr 550 radikalisierten Menschen, die aus Deutschland in den sogenannten "Islamischen Staat" nach Syrien ausgereist sind. Welche Gefahren gehen möglicherweise von diesen Menschen aus, wenn sie zurückkommen?

Peter Neumann: Es besteht die Befürchtung, dass einige dieser Rückkehrer terroristisch aktiv werden. Der Grund dafür ist, dass sie durch den Konflikt weiter radikalisiert wurden. Ein weiterer Grund ist, dass sie sich während ihrer Beteiligung an diesem Konflikt Fähigkeiten angeeignet haben - zum Beispiel was Bomben bauen angeht oder die Verwendung von Waffen. Und dass sie natürlich auch während ihres Aufenthaltes dort Netzwerke gebildet haben. Die Befürchtung ist, dass in Syrien genau das passiert, was in den 1980er Jahren in Afghanistan passiert ist. Damals gab es zum ersten Mal diese große Bewegung: Islamistisch motivierte Leute kamen ins Land, um damals gegen die Sowjetunion zu kämpfen. Nachdem der Krieg dann vorbei war sind viele in ihre Heimatländer zurück gegangen. Andere sind in anderen Konflikten aktiv geworden. Und: Es hat sich Al-Kaida heraus gebildet. Wenn man sich mal anschaut: 11. September 2001 - die Leute, die dafür verantwortlich waren, kann man letztlich zurück verfolgen zum Afghanistan-Konflikt in den 1980ern. Osama bin Ladens Karriere im Terrorismus hat als Auslandskämpfer angefangen.

Portrait von Dr. Peter Neumann, Radikalisierungsforscher am Kings College in London (Foto: Peter Neumann)
Radikalisierungsforscher NeumannBild: Peter Neumann

Was für Möglichkeiten gibt es denn, der Gefahr zu begegnen, die von diesen Menschen ausgeht?

Meiner Meinung nach ist das Wichtigste, dass man die Leute daran hindert auszureisen. Es hat keinen Sinn, ihnen die Pässe wegzunehmen, wenn sie bereits dort sind. Oder ihnen die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Dadurch treibt man die Leute nur noch mehr in die Enge. Es ist wichtig, die Leute am Ausreisen zu hindern. Es ist auch wichtig, - und da passiert noch nicht genug - dass auch Präventionsarbeit geleistet wird: Dass es weniger attraktiv ist, nach Syrien zu gehen. Natürlich ist das schwierig. Aber es gibt durchaus einige Ansätze. Wir wissen zum Beispiel, dass viele Syrieninteressierte nicht nach Syrien gehen, weil sie davon ausgehen, dass sie dort verheizt werden. Weil sie davon ausgehen, dass sie vor allem gegen andere Sunniten kämpfen müssen, statt gegen Bashar al-Assad oder gegen die irakische Regierung. Das ist eine Tatsache. Das hören wir von Auslandskämpfern, mit denen wir uns unterhalten. Das müsste bekannter gemacht werden.

Syrer lehnen Auslandskämpfer ab

Es müsste auch bekannter gemacht werde, dass viele Syrer die Präsenz der Ausländer ablehnen. Dass die Syrer denen sehr negativ gegenüberstehen. Es wäre ein starkes Argument, dass man Syrieninteressierten nahe bringen könnte, Leuten, die nach Syrien wollen, um die Syrer zu befreien: Ihnen zu erklären, dass die Syrer sie überhaupt nicht wollen.

Wie müssten denn Programme aussehen, um Rückkehrer zu betreuen oder im Auge zu behalten?

Es gibt unterschiedliche Gruppen von Rückkehrern. So wie es unterschiedliche Motivationen dafür gibt, nach Syrien zu gehen. Und so, wie sich die Erfahrungen dieser Leute in Syrien unterscheiden. Ich unterscheide da drei Gruppen: Es gibt diejenigen, die tatsächlich gefährlich sind, die dschihadistisch, terroristisch aktiv werden wollen nach ihrer Rückkehr. Und das sind Leute, vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss. Und die zum Teil wirklich strafverfolgt und ins Gefängnis gesteckt werden müssen. Dann gibt es Leute, die sind nicht mehr so sehr ideologisch motiviert, aber die sind traumatisiert durch diesen Konflikt. Das sind Leute, die sind zum Teil verstört. Natürlich muss auch hier die Gesellschaft geschützt werden. Vielleicht auf andere Art als durch Strafverfolgung. Zum Beispiel durch psychologische oder auch psychiatrische Betreuung. Dann gibt es eine dritte Gruppe. Und von denen sehen wir in letzter Zeit mehr. Leute, die desillusioniert sind. Deren Erfahrung in Syrien ganz anders war, als sie sich das vorgestellt hatten. Die zum Beispiel diese Erfahrung gemacht haben: Dass sie abgelehnt wurden, dass sie von den Gruppen verheizt wurden. Die zurückkehren und die nicht terroristisch aktiv werden wollen.

Zwischen Rückkehrergruppen differenzieren

Das Wichtigste für die Sicherheitsbehörden in allen europäischen Ländern ist deshalb, Methoden zu entwickeln, wie man herausfinden kann, wer zu welcher Gruppe gehört. Und dann müssen für jede dieser drei Gruppen spezielle Programme entwickelt werden. Reintegrations-, Deradikalisierungs- oder Interventionsprogramme gibt es in verschiedenen europäischen Ländern schon seit einiger Zeit. Der Punkt ist jetzt, dass man die Leute, die diese Deradikalisierungsprogramme betreiben - die ja sehr erfahren sind - daran arbeiten lässt, wie man diese Programme auf die Syrien-Rückkehrer zurechtschneidern kann.

Der Angeklagte Kreshnik B. mit verpixeltem Gesicht wendet sich im Gerichstsaal seinem Anwalt Mutlu Günal zu, der ihm etwas ins Ohr flüstert. (Foto: Boris Roessler/dpa)
Syrienrückkehrer Kreshnik B. im ersten Prozess gegen einen mutmaßlichen IS-Kämpfer in FrankfurtBild: picture-alliance/dpa/Boris Roessler

Sie haben von verschiedenen Ländern Europas gesprochen. Schauen wir doch mal nach Deutschland: Gibt es hier geeignete Strukturen, mit radikalisierten Syrien-Rückkehrern umzugehen?

Es gibt in Deutschland diese Exit Programme, die am Anfang für Neonazis verwendet wurden und die jetzt auch für Islamisten eingesetzt werden. Meiner Meinung nach sind das sehr gute Programme, die aber von der Bundesregierung in der Vergangenheit nicht so unterstützt wurden, wie sie hätten unterstützt werden sollen. Die Leute, die diese Exit-Programme betreiben, sind unglaublich engagiert und wollen auch zum Thema Syrien mehr machen. Aber sie brauchen natürlich das Geld dafür und ich glaube, da muss eine politische Entscheidung getroffen werden.

Peter Neumann ist Professor am International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence am Kings College in London

Die Fragen stellte Matthias von Hein.