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Islamische Erziehung gegen islamischen Fundamentalismus

Ruth Rach, London29. Juli 2005

Seit dem Terror in London stellt sich auch in Großbritannien die Frage, wie Muslime besser integriert werden können, ohne ihren kulturellen Hintergrund aufzugeben. Als vorbildlich gelten staatliche islamische Schulen.

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Die "Islamia Primary" in LondonBild: Islamia Primary School

Auf dem asphaltierten Schulhof im Herzen von Brent, im Nordwesten von London, tollen Dutzende von Kindern: Die Jungs tragen dunkelblaue Hosen und weiße Hemden, die älteren Mädchen lange beige Röcke und bestickte weiße Kopftücher. Sie sind Schülerinnen und Schüler der "Islamia Primary" - einer staatlichen muslimischen Grundschule. Sie ist nicht die einzige, war aber Ende der 1990er Jahre die erste Schule dieser Art in Großbritannien.

Gründer Cat Stevens

"Die Schule begann als privates Projekt. Ihre Gründer waren der Sänger Yusuf Islam alias Cat Stevens und eine kleine Gruppe von britischen Eltern, die zum Islam übergetreten waren, sowie muslimische Einwanderer, die ihre eigene Kultur nicht verlieren wollten", erzählt Abdullah Trevathan. Er war der erste Lehrer der Schule, heute ist er Schulleiter.

Der US-Amerikaner wurde schon in den 1960er-Jahren, in der Hippie-Zeit, Muslim. "Das war kein besonders großer Sprung", sagt er heute. Damals habe der Islam im Westen noch nicht das negative Image von heute gehabt. Und die Muslime selbst hätten den kulturellen Spagat auch noch nicht so sehr gespürt, wie dies heute der Fall sei. "Unter der muslimischen Gemeinschaft in Großbritannien herrscht derzeit leider große Verwirrung. Im Brennpunkt steht die Frage, wie Regeln, die aus einem anderen Zeitalter und aus einem anderen Kulturkreis stammen, ins moderne Leben in Großbritannien und Europa passen."

Pionierarbeit

Der akademische Ruf der Schule ist ausgezeichnet: 3500 Kinder stehen dort derzeit auf der Warteliste für 215 freie Plätze. Die Schule wird zu 90 Prozent vom Staat und zu 10 Prozent von der Kommune finanziert. Sie liegt in einer Gegend mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil. Die Familien der Schüler stammen aus 23 Ländern, darunter Marokko, Somalia, Sudan, Irak und Afghanistan. Die "Islamia Primary" will zwischen den Kulturen vermitteln. Und das schlägt sich im Unterricht nieder. Die Schule hält sich an den staatlich vorgeschriebenen Lehrplan, aber als Zusatzfächer gibt es Arabisch und Koranstudien. Man wolle eine britisch-muslimische Kultur zu entwickeln, sagt der Schulleiter.

Nicht alle Lehrer sind Muslime. Es gibt gemeinsame Veranstaltungen mit Sikhs, Juden und Christen. Und nicht erst seit den jüngsten Terroranschlägen in London betont die Schulleitung: Lehrer mit islamisch-fundamentalistischer Gesinnung würden prinzipiell nicht eingestellt. Die Eltern müssen bei der Anmeldung ihrer Kinder ein ausführliches Formular unterschreiben, in dem die Unterrichtsprinzipien und die Inhalte erläutert werden. Sexualkunde und Kunstunterricht mit Bildern - das müssen die Eltern hier akzeptieren. Auch wenn orthodoxe Muslime dies ablehnen.

Pizza, Salat, Ambitionen

Gemeinsames Mittagsgebet in der Moschee. "Es ist gut, wenn die Kinder zwischendurch zur Ruhe kommen, dann können sie nachher umso besser lernen", sagt Nabila. Sie ist Mathematiklehrerin und kommt ursprünglich aus Syrien. "Die Kinder haben bessere Manieren als an vielen anderen staatlichen Schulen. Wir setzen hohe Maßstäbe, wir fordern viel, aber wir geben ihnen auch viel zurück."

Das Mittagessen ist die typische englische Schülerkost: Pizza, Salat oder Spaghetti. Die Kinder umringen den Schulleiter, wollen ihn gar nicht mehr loslassen. Sie haben große Ambitionen. Bevorzugte Berufswünsche: Arzt, Krankenschwester, Ingenieur, Lehrer. Solche Berufe könnten dabei helfen, dass die jungen Muslime ihren festen Platz in der britischen Gesellschaft finden. Wissen ist dabei ebenso wichtig wie die persönliche Entwicklung.

"Das kulturelle Selbstverständnis zu Hause und in der Schule muss übereinstimmen, dann können die Kinder ein stabiles Selbstbewusstsein entwickeln", sagt Schulleiter Trevathan. "Wenn die Kluften zwischen den verschiedenen Kulturen zu groß sind, kann eine Identitätskrise entstehen. Dann wachsen entwurzelte Menschen heran, die vor allem als Teenager für fundamentalistische Gedanken empfänglich sind."