1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Indiens "Eiserne Lady"

Cosima Gill (aus Neu-Delhi)8. August 2016

Seit 16 Jahren fastet sie, um gegen Militärgewalt im indischen Bundesstaat Manipur zu protestieren. Jetzt möchte sie damit aufhören und in der Politik weiter für ihr Ziel kämpfen. Cosima Gilll aus Neu-Delhi.

https://p.dw.com/p/1JdIB
Irom Sharmila (Foto: EPA/STR)
Bild: picture-alliance/dpa

"Werden Sie ihr Fasten beenden?" Diese Frage stellt ein Richter der 44-jährigen Inderin alle zwei Wochen im Gerichtssaal. Es ist längst Routine geworden. Sie verneint die Frage und kehrt zurück ins Krankenhaus, in ihr Zimmer, das ihr Zuhause geworden ist, und auf eine gewisse Art auch ihr Gefängnis. Denn der Hungerstreik wurde von der indischen Regierung als versuchter Selbstmord interpretiert, der bis 2015 strafbar war und mit Freiheitsstrafe geahndet wurde. Seit 16 Jahren wird Sharmila durch eine Nasensonde zwangsernährt. Der kleine Schlauch an ihrer Nase, er wurde mittlerweile zum Symbol für ihren Widerstand.

Ihr Protest begann am 5. November 2000, nachdem paramilitärische Einheiten in ihrer Heimatstadt Malom zehn Zivilisten getötet hatten. Als sie Fotos der ermordeten Zivilisten in der Zeitung sah, war sie so berührt, dass sie zunächst nichts essen konnte und später nicht mehr wollte. Das war der Start des wohl längsten Hungerstreiks der Geschichte. Auf die Frage, woher sie die Kraft nehme, antwortete sie in einem früheren Interview: "Meine Inspiration ist allein mein Gewissen als menschliches Wesen."

Unterstützer für Irom Sharmila in Indien (Foto: EPA/STR)
Unterstützer für Irom Sharmila in IndienBild: picture-alliance/dpa

Militärgewalt in Sharmilas Heimat

Äußerlich wirkt sie geschwächt, aber ihr Verstand bleibt fokussiert auf ihr Ziel: Die Abschaffung des Gesetzes, das dem indischen Militär erlaubt, ungestraft Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung auszuüben. In ihrer Heimat, dem Bundesstaat Manipur, gilt bereits seit 1958 das sogenannte Gesetz über Verwendung von bewaffneter Gewalt durch Sicherheitskräfte (AFSPA). "Es erlaubt dem Militär, verdächtigte Rebellen festzunehmen oder sogar zu erschießen, ohne dass gerichtlich dagegen vorgegangen werden kann", erklärt Arijit Sen, Projektleiter von Amnesty International India.

Der Nordosten Indiens ist neben der Kaschmirregion als unruhigste Gegend des Landes bekannt. In beiden Regionen gilt die militärische Ausnahmeregelung. Im Nordosten kämpfen zahlreiche Rebellenbewegungen für mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Die Sicherheitslage gilt jedoch seit Jahren als stabil. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International plädieren für die Abschaffung des AFSPA-Gesetzes. Schon lange diskutiert die Politik darüber, geändert hat sich jedoch noch nichts. Auch Sharmilas außergewöhnlicher Hungerstreik sorgte zwar für mehr Aufmerksamkeit und führte aber nicht zu Veränderungen. Damit soll jetzt Schluss sein.

Der Schlauch an der Nase ist Symbol für ihren Widerstand. (Foto: ddp images/AP Photo/Bullu Raj)
Der Schlauch an der Nase ist Symbol für ihren WiderstandBild: AP

Vom Hungerstreik zur Politik

Am Dienstag (09.08.2016) wird Sharmila noch einmal vor dem Richter stehen. Die Aktivistin hatte schon angekündigt, sie wolle an diesem Tag ihr Fasten beenden, denn die indische Regierung habe ihre Forderung nicht mehr beachtet. Sie wolle einen neuen Weg einschlagen. "Ich werde im nächsten Jahr bei den Wahlen in Manipur als unabhängige Kandidatin antreten", gab Sharmila bekannt.

Nicht einmal mit ihren engsten Vertrauten soll sie diese Entscheidung abgesprochen haben. Aktivisten radikaler separatistischer Organisationen aus ihrer Heimat ermahnen und bedrohen sogar die 44-Jährige, ihren Hungerstreik nicht zu beenden, sie solle sich nicht von ihrem Ziel abbringen lassen.

Außerdem ist der private Zukunftsplan von Sharmila einigen lokalen Gruppen ein Dorn im Auge, denn die sogenannte "Eiserne Lady" aus Manipur möchte heiraten. Seit Jahren ist sie liiert mit einem anderen Aktivist. "Ich wünsche mir einfach nur ein normales Leben", sagte sie. Die Liebe, sie ist kein Grund zur Ablenkung für Sharmila, sondern viel mehr eine neue Kraftquelle. Im nächsten Jahr möchte die Eiserne Lady aus Manipur in der Politik gegen die Militärgewalt in ihrer Heimat weiterkämpfen.