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Irische Wirtschaftskrise

22. April 2010

Die Wirtschaftskrise in Irland hat nicht nur zu massiven Kürzungen im öffentlichen Dienst und hoher Arbeitslosigkeit geführt, sondern auch die Bevölkerung demoralisiert.

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Häuser in Irland, die wegen der Finanzkrise nicht zuende gebaut werden konnten (Foto: Rob Kitchen)
Bauruinen in Irland - Folgen der FinanzkriseBild: Rob Kitchin

Die globale Wirtschaftskrise hat Irland voll getroffen, ein Ende ist nicht in Sicht - und ihre Auswirkungen machen sich inzwischen in allen Bevölkerungsteilen bemerkbar. Die Arbeitslosigkeit liegt gegenwärtig bei 13 Prozent. Sie dürfte bis zum Jahresende noch um ein weiteres Prozent steigen. Die Konsequenzen sind mittlerweile im ganzen Land spürbar.

Am größten ist die Arbeitslosigkeit in der Finanz- und Baubranche. Beide wuchsen während der irischen Boomjahre besonders stark. Wer in Irland noch Arbeit hat, muss starke Gehaltseinbußen hinnehmen - sowohl in der privaten Wirtschaft wie auch im öffentlichen Dienst. Der keltische Tiger ist zahnlos geworden. Das abrupte Ende des Wirtschaftswachstums und seine Folgen sind verheerend. Leere Bürogebäude stehen wie Mahnmale in den Städten.

Keine sicheren Jobs mehr

Leere Häuser, die mit Verkaufs- und Vermietsschildern versehen sind (Foto: Mary Phelan)
In der einst boomenden irischen Hauptstadt Dublin stehen viele Immobilien leerBild: Mary Phelan

"Wir schätzen, dass seit 2007, dem Höhepunkt des Aufschwungs, etwa 240.000 bis 250.000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Damals hatte ein mit enormen Krediten finanzierter Bauboom zur Überhitzung der gesamten Volkswirtschaft geführt", sagt Jack O' Connor, Chef des Dachverbandes der irischen Gewerkschaften. Die Finanzbranche und der Einzelhandel sind ebenfalls stark betroffen. Das gilt auch für den öffentlichen Dienst, über den ein landesweiter Einstellungsstop verhängt wurde. Zeitverträge werden nicht mehr verlängert und Angestellte im öffentlichen Dienst verlieren in allen Gegenden Irlands ihre Arbeitsplätze.

Clare Walsh ist Spezial-Lehrkraft für Kinder mit Lernbehinderungen an einer ländlichen Grundschule in der Grafschaft Galway. Wie viele andere Lehrkräfte in diesem Bereich ist auch sie von der Entlassung bedroht. Während der irischen Boomjahre hatte man zusätzliche Lehrkräfte für behinderte Kinder eingestellt. Jetzt wird an allen Ecken und Enden gespart. "Vor einigen Monaten wurden bereits 1000 von uns entlassen und der gesamte Rest macht sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz", sagt Walsh.

Gewerkschaftsboss Jack O'Connor ist sich im Klaren darüber, was das für jeden Einzelnen bedeutet: "Sie können sich doch vorstellen, mit welcher Ungewissheit und welchen Zukunftsängsten die Menschen hier von Tag zu Tag leben. Wir erleben eine fiskalische Rosskur, die zu brutalen Einsparungen im öffentlichen Dienst geführt hat." Dies hat zur Folge, dass überall in kommunalen und staatlichen Einrichtungen Dienstleistungen gekürzt werden: Von Bibliotheken, über den Straßenbau bis hin zum staatlichen Gesundheitsdienst. All das zu einem Zeitpunkt, in dem der Bedarf nach diesen Dienstleistungen krisenbedingt zunimmt.

Fallende Häuserpreise, ausstehende Hypothekenzahlungen

Jack O' Connor, Leiter der irischen Gewerkschaft SIPTU (Services, Industrial, Professional and Technical Union) (Foto: SIPTU)
Jack O'Connor: "Schwere Zeit für irische Arbeitnehmer"Bild: SIPTU

Der private Immobilienbesitz zählt zu den Wesensmerkmalen der irischen Gesellschaft. Der Boom in der Baubranche gehörte zu den Triebfedern des irischen Wirtschaftswunders. Viele Eigentümer erwarben ihre Immobilie in den Boomjahren zu einem Preis, den der Markt heute bei weitem nicht mehr hergibt. In manchen Gegenden Irlands sanken die Preise um bis zu 50 Prozent. Viele Besitzer von Häusern oder Eigentumswohnungen, die Lohneinbußen hinnehmen mussten oder gar ihren Job verloren haben, können ihre Bankdarlehen nur noch unter großen Mühen abstottern.

Die ganze Wucht der Rezession ist an der Zahl der Schilder abzulesen, auf denen Wohn- oder Büroraum zum Verkauf oder zur Vermietung angeboten wird. Der Schriftzug "To let" - "zu Vermieten" - ziert ganze Viertel auf der grünen Insel. Überall in Irland schließen in den Einkaufsstraßen Geschäfte, von denen man eben noch vermutete, sie würden die Rezession überleben. Buchläden, Modeboutiquen und Geschäfte für Autozubehör gehören zu den Hauptverlierern der Rezession. "Manchmal", sagt Clare Walsh, "sieht man reihenweise leerstehende Läden. Das ist deprimierend und macht einem Angst."

Stimmung auf dem Tiefpunkt

"Die allgemeine Stimmung ist durch Unsicherheit und Angst gekennzeichnet", sagt Clare Walsh. "Man kann schlecht für die Zukunft planen, wenn man nicht weiß, ob man in ein paar Monaten noch einen Job hat." Für Arbeitnehmer und ihre Familien sind das schwere Zeiten, sagt Gewerkschaftsboss O'Connor, "und natürlich für all diejenigen, die sich in enorme Schulden stürzen mussten, um ein Dach über dem Kopf zu finanzieren."

Clare Walsh gibt freimütig zu, dass sie ihren Fernseh- und Nachrichtenkonsum drastisch eingeschränkt hat - in dem verständlichen Bemühen sich von den ständigen Negativmeldungen ein wenig abzuschirmen. "Ich habe schon Zukunftsangst, denn ich weiß nicht, was die nächsten Monate bringen werden. Es gibt soviel Untergangsstimmung, dass es schwerfällt, Optimismus zu bewahren."

Autor: Mary Phelan
Redaktion: Matthias von Hein/ Nicole Scherschun