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Iranisches Theater in Mühlheim

20. Oktober 2009

Seit rund zehn Jahren herrscht ein reger Austausch zwischen Schauspieler-Ensembles aus dem Iran und Mühlheim. Obwohl das iranische Theater der Zensur unterliegt, findet es doch erstaunlich klare Worte.

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(Foto:"Theater an der Ruhr")
In Mühlheim führen iranische Schauspieler regelmäßig ihre Stücke aufBild: Theater an der Ruhr

Unpolitisches Theater mache keinen Sinn, meint der Intendant des Mühlheimer "Theater an der Ruhr", Roberto Ciulli. Der 75-jährige Regisseur und Theater-Leiter weiß, wovon er spricht, denn seine Inszenierungen, erst recht aber seine internationalen Projekte, sind politisch. Eines dieser Projekte ist der Austausch von Theater zwischen Mühlheim und dem Iran. Seit zehn Jahre gastiert das "Theater an der Ruhr" im Iran und ist dann Gastgeber der unterschiedlichsten iranischen Ensembles in Mühlheim. Zur diesjährigen "Theaterlandschaft Iran" waren sechs Ensembles mit rund 60 Schauspielern, Regisseuren und Mitarbeitern gekommen. Dabei ist dem aus Mailand stammenden Ciulli klar, dass iranisches Theater auf andere Weise politisch ist als deutsches Theater. Aufgrund der iranischen Gesetze und Bestimmungen kann im iranischen Theater vieles nur versteckt und verschlüsselt ausgesprochen werden. Erst recht in Zeiten der politischen, gesellschaftlichen und sozialen Spannung im Iran.

Klare Worte

(Foto:"Theater an der Ruhr")
Obwohl die Theaterstücke der staatlichen Zensur unterliegen...Bild: Theater an der Ruhr

Umso größer die Überraschung selbst für den erfahrenen Ciulli, dass diesmal "Klartext gesprochen" wurde. Zumindest in einem Fall und da, wo man es am wenigsten erwartet hätte: Am Ende des ebenso beeindruckenden wie atemberaubenden Pantomime-Balletts "Unglaublich aber wahr" begann einer der Akteure, der 23-jährige Ashin Ghaffarian, zu sprechen. In Deutsch, zuerst scheinbar gestammelt, schließlich deutlich und klar: "Freiheit für Iran". Am Handgelenk ein grünes Band, das Zeichen für die Opposition, die sich um ihren Wahlsieg betrogen fühlt. So deutlich wird man sonst nicht. Auch nicht während der Woche in Mühlheim. Da wird eher zu den bisherigen Mitteln gegriffen, um die Zensur ad absurdum zu führen. Man bedient sich einer indirekten Sprache, Bildern und Metaphern, die nur schwer verboten werden können. Zum Beispiel der Rückgriff auf die Techniken von Passionsspielen, die im Iran offiziell erlaubt und gepflegt werden. Gedichte berühmter Dichter, alte Fabeln oder auch Puppenspiele, wie in "Der Kreislauf der Erde" meisterhaft vermengt mit dem Spiel der Schauspielerinnen.

Sprachrohr für Millionen Iraner

(Foto:"Theater an der Ruhr")
...sind sich hochpolitischBild: Theater an der Ruhr

Afshin Ghaffarian findet nichts dabei, so direkt geworden zu sein. Er spreche doch nur aus, was Millionen anderer junger Leute im Iran heute fühlten und meinten. Ob er nicht Strafmaßnahmen fürchte? In Teheran habe er auf der Bühne dasselbe gesagt, meint er achselzuckend. Wenn jetzt etwas gegen ihn unternommen werden, dann sei "das nun mal so". Bei den Auftritten des Mühlheimer Theaters im Iran müsse man sich natürlich immer gewaltig umstellen, erzählt Ciulli. Umarmungen von Mann und Frau, erst recht Küsse auf der Bühne, seien strikt verboten. Aber andererseits seien die Zensoren selbst auch Theaterleute und haben bisher immer großes Verständnis für solche Probleme gezeigt. Küsse etwa werden nur angedeutet oder gar durch ein abruptes Innehalten und den Hinweis der Schauspieler auf den Paragrafen 25 der Zensurbestimmungen abstrahiert und ins Absurde geführt, das für das iranische Publikum aber verständlich ist. Denn so, wie der Iran nicht nur eindimensional beschrieben werden könne, so gelte dies erst recht für das Theater.

Subtile Botschaften

(Foto:"Theater an der Ruhr")
Brisante Passagen werden von "Toten" gesprochen, denn wer tot ist kann nicht zensiert werdenBild: Theater an der Ruhr

Was auf der Bühne gesagt wird, ist oft verklausuliert und umschrieben. So weit, dass ganz "unbequeme" Sätze Toten in den Mund gelegt werden. Denn wer tot ist, kann nicht zensiert werden. Oder pazifistische Soldaten treten auf mit Blumen in der Hand. Sie bekreuzigen sich, womit für den Zensor klar ist, dass hier keine iranischen Soldaten gemeint sein können. Solche Techniken fordern das iranische Publikum wahrscheinlich mehr als auch die modernste deutsche Aufführung es dem deutschen Publikum gegenüber tut. Die Zuschauer im Iran müssen immer wieder aufs Neue entscheiden, sie müssen aktiver mitdenken, während die deutschen Zuschauer verwöhnt sind, die "Botschaft" passend und mundgerecht serviert zu bekommen. Ein Grund mehr dafür, dass das moderne iranische Theater nicht einfach modernes Theater aus dem Ausland kopiert. Es ist immer wieder damit beschäftigt, "das Unaussprechbare sichtbar zu machen", während das deutsche Publikum leichter "verführbar" sei, sagt Ciulli.

Förderung des interkulturellen Dialog

Die "Theaterlandschaft Iran" entstand einst aus dem "Projekt Seidenstraße", es hat aber längst Eigenständigkeit gewonnen. Fast vergessen die Anfangsschwierigkeiten und das Misstrauen, das offizielle iranische Stellen zeigten. Natürlich habe es im Laufe der letzten zehn Jahre auch schon bessere Zeiten als jetzt gegeben, zum Beispiel unter Präsident Mohamad Khatami und dessen reformfreudigem Kulturminister Ataollah Mohajerani. Aber der Austausch weite sich beständig aus. Noch nie waren so viele Ensembles in Mühlheim wie diesmal und Roberto Ciulli zeigt sich zufrieden, dass sein Beitrag zum interkulturellen Dialog auch weiterhin reiche Früchte tragen werde.

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Autor: Peter Philipp

Redaktion: Michaela Paul