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Investieren mit kontrolliertem Risiko

Michael Knigge8. Juni 2004

Durch die Globalisierung steigt der Druck auf Unternehmen international präsent zu sein. Doch bevor Konzerne in neue Märkte investieren, müssen sie Gefahren und Chancen kennen. Ein Wachstumsmarkt für Spezialfirmen.

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Größere Chance, höheres Risiko: Investitionen in VenzuelaBild: AP

Die Meldung lief vor wenigen Wochen über die Nachrichtenticker. Der US-Versicherungsmakler Marshall & McLennon kauft die auf Risiko-Management spezialisierte Kroll Inc. für fast zwei Milliarden Dollar. Kroll, vor mehr als 30 Jahren von Jules Kroll gegründet, ist nicht nur das bedeutendste und älteste Unternehmen der Branche, sondern glänzt auch mit guten Zahlen: Im ersten Quartal des Jahres stieg der Umsatz des in New York ansässigen Konzerns um 60 Prozent auf 165 Millionen Dollar, der Nettogewinn um 30 Prozent auf 15 Millionen Dollar. Was für Kroll gilt, trifft auf die gesamte Branche zu. Mit der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaft wächst auch die Nachfrage nach Daten, Prognosen und Empfehlungen, um Investitionsentscheidungen zu treffen.

Risiken berechenbar machen

"Die Unternehmen haben mittlerweile gelernt, dass sie mit Risiken umgehen müssen und dass sie Risiken quantifizierbar und qualifizierbar machen müssen", sagt Robin Socha von der Krisenberatungsgesellschaft Control Risks Deutschland. Zudem wechselten die Bedrohungslagen heute schneller als früher, ergänzt er.

"Politische Risiko-Analyse ist ein Wachstumsmarkt, der durch die Globalisierung weiter voran getrieben wird, " erläutert Dirk Zadra, Gründer und Direktor der Risiko-Analyse-Firma Zadra Consulting in Paris. "Unternehmen, die in Ländern die nicht-westlichen Standards entsprechen tätig sind oder sich dort engagieren wollen, müssen vorher genau prüfen, ob und unter welchen Bedingungen sich ein Einstieg lohnt." Zwar ist in diesen Ländern das Risiko erheblich höher als in Europa oder Nordamerika, dafür bieten sich dort aber auch größere Wachstumschancen.

Staatliche Sicherheit

Während die genaue Prüfung der länderspezifischen Bedingungen durch Spezialisten vor einem Investment in angelsächsischen Länder schon lange Tradition hat, steckt die Branche in Deutschland und Frankreich noch in den Kinderschuhen. In beiden Ländern können Unternehmen Auslandsengagements durch den Staat absichern: mit Hermes-Bürgschaften in Deutschland und Coface in Frankreich. "Aber in Frankreich wurden die Coface-Bürgschaften jetzt nur noch auf diejenigen Länder beschränkt, an denen der Staat ein politisches Interesse hat", betont Zadra.

In den USA und Großbritannien müssen sich Firmen dagegen vor einem Auslandsengagement auf die Analyse und Empfehlungen von Experten verlassen. Da die Entscheidung weitreichende Konsequenzen hat, erwarten die Vorstände eine fundierte Analyse und konkrete Prognosen.

Chancen eines Regimes

Beispiel Algerien: Die Experten der PRS Group beziffern in einem aktuellen Länderprofil die Wahrscheinlichkeit, dass das Land in den nächsten fünf Jahren von einem militärisch-zivilen Regime geführt wird mit 65 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Unruhen im Land kommt, wird im selben Zeitraum mit "Hoch", in den kommenden 18 Monaten sogar mit "Sehr hoch" angegeben. Außerdem werden Ratings für die unterschiedliche Bereiche wie Direkt-Investitionen, Finanztransfers und Exporte angeboten. Zudem entwickeln die Experten konkrete Alternativ-Szenarien. Sollte wider Erwarten ein fundamentlistisches Regime die Macht übernehmen, beträgt das Wirtschaftswachstum laut PRS-Prognose in den Jahren 2005-2009 nur 1,9 Prozent, bei einem Militär-Regime drei Prozent und bei einem militärisch-zivilen Regime sechs Prozent.

Die Daten der Risiko-Analysen sind verlässlich, betont Zadra: "Es gibt wissenschaftlich-mathematische Faktoren, die darauf hinweisen, dass in einem Land eine Krise droht. Wir erstellen dann Indizes mit denen die Unternehmen erkennen können, wie wahrscheinlich verschiedene Szenarien sind."

Seltener Rückzug

Obwohl der Schwerpunkt der Analyse vor einer Investment-Entscheidung liegt, ziehen die Unternehmen auch nach einem Markteinstieg in Risiko-Regionen Experten zu Rate. "Wenn sich ein Unternehmen erst einmal in einem Land engagiert und investiert hat, dann zieht es sich normalerweise auch nicht mehr zurück, sondern versucht die Situation vor Ort zu beeinflussen", sagt Zadra und nennt als Beispiel die großen Ölkonzerne. Selbst aus Bürgerkriegsgebieten zogen sich die Ölmultis in der Vergangenheit nicht zurück. Sie streben stattdessen an, mit Expertenhilfe das Risiko vor Ort zu minimieren. "Entweder versucht man durch "private diplomacy" die Regierung oder die politischen Kräfte für seine Zwecke zu gewinnen", sagt Zadra und fügt hinzu: "Oder man setzt auf das sogenannte corporate communication engineering, in dem beispielsweise durch Trainingsprojekte oder Hilfsmaßnahmen versucht wird, die Bevölkerung im Sinne des Unternehmens zu beeinflussen."