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Interviews ohne Genehmigung?

Ben Knight / cgn20. Januar 2016

Ein Zeitungsinterview mit Finanzminister Schäuble wurde erst nach 66 Stunden von der Pressestelle freigegeben. Deutsche Journalisten denken, dass es Zeit ist, die "Tyrannei der Genehmigung" zu beenden.

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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. AFP PHOTO / TOBIAS SCHWARZ
Bild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

VW-Konzernchef Matthias Müller war wohl klar, dass seine Reise in die USA nicht leicht werden würde. Auf rund 18 Milliarden Dollar könnten sich die Forderungen im Zuge des Abgasskandals belaufen. Für Müller ist diese Reise eher eine Mission den Schaden zu begrenzen und den Ruf des Autobauers bei amerikanischen Konsumenten und der US-Umweltbehörde aufzupolieren.

Gerade in diesem Zusammenhang hätte ein Radiointerview mit dem US-Sender NPR durchaus besser laufen können. "Ehrlich gesagt, war es ein technisches Problem", sagte Müller zum Abgasskandal und erweckte damit einen schlechten Eindruck. Der Interviewer wies darauf hin, dass das Verhalten von VW ein Verbrechen gewesen sei. Solche Aussagen wie die von Müller, möchten die US-Behörden sicherlich nicht hören, bedenkt man das Ausmaß an Fehlverhalten in der Krisensituation des Unternehmens.

Das merkte wohl auch die Presseabteilung von VW, dass die Aussagen von Müller nicht glücklich waren. Wie in Deutschland üblich, wurde der Sender NPR kontaktiert, um ein neues Interview aufzuzeichnen. "Ich muss mich für gestern entschuldigen. Die Lage war für mich ein bisschen schwierig", gab Müller zerknirscht zu und räumte ein: "Wir akzeptieren unser Vergehen."

Genehmigte Interviews

Das Vorgehen von Müller war für die deutschen Medien katastrophal. Der Spiegel schrieb, Müller erniedrige sich selbst. Aber trotz der Verachtung, die deutsche Medien Müller entgegenbringen, tragen sie doch teilweise selber die Schuld daran. Man könne durchaus argumentieren, dass deutsche Print-Journalisten führenden Persönlichkeiten erlauben, Genehmigungen für Interviews zu erteilen und sie als selbstverständlich zu betrachten. Dadurch sind sie in anderen Ländern schlecht auf andere Umgangsformen vorbereitet.

USA Detroit Autosalon 2016.REUTERS/Mark Blinch
VW-Chef Matthias Müller muss das Konzernverhalten in vielen Interviews erklären.Bild: Reuters/M. Blinch

Ein kürzlich erschienener Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" ("SZ") gibt einen Einblick in das komplizierte Genehmigungsverfahren, dass Print- und Onlineredaktionen regelmäßig durchlaufen müssen. Auch die Deutsche Welle muss dies gelegentlich tun. Die "SZ", eine der angesehensten Zeitungen in Deutschland, hatte mit Finanzminister Wolfgang Schäuble ein einstündiges Interview geführt. Im Anschluss erfolgte ein dreitägiger Austausch mit der Pressestelle des Bundesfinanzministeriums, bis schließlich das veröffentlicht wurde, was Schäuble wollte. Die endgültige Freigabe kam drei Stunden bevor die Samstagsausgabe der Zeitung gedruckt wurde. Ein einziges Wort wurde verändert. Aus "werden" wurde "würde".

Angst Kontakte zu verlieren

Der Artikel führte zu einigen Diskussionen unter deutschen Journalisten in den Sozialen Netzwerken. Markus Hesselmann, Online-Chefredakteur beim Berliner "Tagesspiegel" veröffentlichte diese Diskussion auf seiner Facebookseite zusammen mit einem Kommentar. "Es ist ein wichtiger Schritt, dies endlich einmal öffentlich zu diskutieren. Die meisten Leser kennen diese Sprachspiele nicht. Ein wesentlicher Schritt wäre nun: Die Genehmigungen für Interviews abschaffen."

Hesselmann, der zuvor in Großbritannien gearbeitet hat, ist vielleicht viel mehr bewusst, worauf sich deutsche Journalisten einlassen, in der Sorge, dass sie die Kontakte und Zugänge verlieren. "Ich denke, wir sollten im Interesse eines Journalismus, der nur überleben kann, wenn er so unabhängig wie möglich ist, handeln", sagte er.

"Verrat an Journalismus und Leser"

Hesselmann ist nicht der einzige, der sich öffentlich über die Verfahrensweise ärgert. Im Jahr 2003 hatte die "tageszeitung" ("taz") ein Interview mit dem damaligen Generalsekretär der SPD, Olaf Scholz, mit all seinen Antworten geschwärzt, da sein Presseteam darum gebeten hatte, alle seine Aussagen, neu zu schreiben. Die damalige Chefredakteurin der "taz", Bascha Mika, bezeichnet den Vorgang als "Verrat an der freien Presse, einen Verrat an der Definition des Journalismus und einen Verrat am Leser".

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz Foto: Axel Heimken/dpa
Olaf Scholz, Bürgermeister von HamburgBild: picture-alliance/dpa/A. Heimken

Der "Deutsche Journalisten Verband" ("DJV") hat 2010 Richtlinien zu dieser Angelegenheit verfasst. Die Autorisierung könnte rechtlich wichtig sein, da der Befragte technisch gesehen Co-Autor sei. Wenn Änderungen die Echtheit bedrohen, haben Herausgeber das Recht, Änderungen vorzunehmen. Es ist eine Debatte des Für und Wider. Einige Journalisten argumentieren, dass die Freigabe auch Vorteile haben könne, Unklarheiten zu klären und auch dass Befragte nicht mehr behaupten könnten, dass sie falsch zitiert worden seien.

Die Autorin Cerstin Gammelin, die das Schäuble-Interview bei der "SZ" verfasst hatte, glaubt nicht, dass eine signifikante Zahl ihrer Kollegen von der gängigen Praxis abweichen wird. "Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass sich die Gewohnheiten in Deutschland ändern", sagte sie gegenüber der Deutschen Welle. Unter Umständen könne man durch Autorisierungen zwar tatsächlich Missverständnissen vorgebeugen. Grundsätzlich aber bleibt Gammelin kritisch: "Ich denke es ist schlecht, sich Texte genehmigen zu lassen. Journalisten werden abhängig von einem OK. Das bedeutet, der Interviewpartner kann den Text mehr steuern."