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Unzuverlässige Prognosen?

23. September 2009

Wie zuverlässig sind Wahlumfragen? Der Berliner Politologe Oskar Niedermayer über Umfragen als Momentaufnahme, ihren Einfluss auf die Bevölkerung und den Tag der Bundestagswahl.

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Parteifähnchen (CDU,SPD,FDP, Bündnis 90/Die Grünen) vor dem Reichstagsgebäude (Foto: dpa)
Umfragen zeigen: Noch gibt es eine schwarz-gelbe MehrheitBild: dpa

DW-WORLD.DE: Herr Niedermayer, eine Ihrer Tätigkeiten als Politikwissenschaftler besteht darin, Wahlumfragen zu analysieren. Wie gehen Sie mit Prognosen um?

Oskar Niedermayer: Ich betrachte sie als das was sie sind: Nämlich momentane Erhellungen der Orientierungsverteilung in der Bevölkerung. Und ich beobachte natürlich die langfristige Entwicklung. Denn wenn eine Partei von einer Umfrage auf die nächste einen Punkt verliert oder gewinnt, heißt das noch gar nichts. Es muss also ein längerfristiger Trend da sein, um prognostizieren zu können, dass eine Partei auch in zwei oder drei Wochen Prozentpunkte verliert oder dazu gewinnt.

Prof. Dr. Oskar Niedermayer Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Oskar Niedermayer Freie Universität BerlinBild: Oskar Niedermayer

Wie viel Einfluss haben Umfragen auf die Wähler?

Es sollte nicht angenommen werden, dass Umfragen die Wahl entscheiden. Sie sind nur ein Faktor von vielen Dingen, die in Wahlkampfzeiten auf den Wähler einströmen. Grundsätzlich haben sie durchaus Einfluss, der aber nicht überbewertet werden sollte.

Lässt sich sagen, ob Umfragen für taktische Wähler eine Rolle spielen?

Wie die letzten Umfragen gezeigt haben, schrumpft die schwarz-gelbe Mehrheit. Sie können also insofern eine Rolle spielen, dass sie dem Wähler zeigen: Für Schwarz-Gelb könnte es knapp werden. Dann kann es möglicherweise eine Art Mobilisierungseffekt bei den Wählern geben, weil sich Einige sagen: "Ich gehe zur Wahl, weil es jetzt gilt entweder Schwarz-Gelb zu bestätigen oder zu verhindern." Dennoch darf nicht vergessen werden, dass nach wie vor eine Mehrheit für Schwarz-Gelb vorhanden ist.

Können sich Umfragen auf die Entscheidung von unentschlossenen Wählern auswirken?

Prinzipiell schon, aber mit einem sehr begrenzten Ausmaß. Einem Ausmaß, das nicht wirklich zu quantifizieren ist. Die Wahlentscheidung hängt von so vielen Faktoren ab, dass der Anteil der veröffentlichten Umfragergebnisse sich nicht wirklich herausrechnen lässt. Außerdem ist der Anteil natürlich bei jeder Wahl verschieden.

Wie lassen sich unpräzise Prognosen erklären?

Das, was als Ungenauigkeit behauptet wird, ist schlicht und einfach ein Missverständnis über das, was Umfragen aussagen. In einer Umfrage werden in der Regel 1000, wenn es sehr hoch kommt 2000 Leute befragt. Es wird somit eine Stichprobe aus allen rund 62 Millionen Wahlberechtigten gezogen. Damit stehen die Ergebnisse dieser Umfrage nur für die Meinungen und Orientierungen dieser 1000 bis 2000 Befragten.

Somit sind Umfragen nicht ungenau?

Überhaupt nicht, wenn sie methodisch sauber durchgeführt sind. Von der Antwortverteilung der Stichprobe lässt sich aber dennoch nur mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor auf die Gesamtbevölkerung schließen. Wenn in einer Umfrage eine Partei 30 Prozent bekommt, dann liegt die Marge übertragen auf die Gesamtbevölkerung zwischen 27 und 33 Prozent. Das heißt, es kann nur in einem bestimmten Rahmen auf die Gesamtbevölkerung geschlossen werden. Dieser Rahmen beträgt bei 30 Prozent plus/minus 2,5 bis drei Prozent. Deswegen dienen Umfragen lediglich als Anhaltspunkt und stellen nicht die politische Stimmung in zwei oder drei Wochen dar.

Wie ist Ihre Prognose für die Bundestagswahl am Sonntag (27.09.2009)?

Es kann einen so genannten "Last-Minute-Stream" am Wahlsonntag geben. Ereignisse der Woche können eine Veränderung der Präferenzen der Wähler bewirken. So etwas ist schon mehrfach passiert. Das sind Dinge, die mit Umfragen nichts mehr zu tun haben, da es keine mehr gibt.

Und dann gibt es immer noch die Unentschlossenen . . .

Die gibt es auch noch an dem Wahltag selbst. Momentan wird geschätzt, dass 20 bis 25 Prozent der Wahlberechtigten noch unentschlossen sind. Das ist ein hoher Prozentsatz von potenziellen Wählern, die immer noch nicht wissen welche Partei sie wählen werden. Diese 20 bis 25 Prozent werden auch nicht mehr von Umfragen beeinflusst, weil sie gar keine neuen Umfragen mehr hören. Wir werden möglicherweise eine Überraschung am Sonntag erleben.

Oskar Niedermayer ist Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Schwerpunkte seiner Forschung und Lehre sind u.a. das politische System Deutschlands und die vergleichende Regierungslehre.

Interview: Sabine Schröder

Redaktion: Dеnnis Stutе