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"Griechenlands Bevölkerung blutet"

Ralf Bosen15. Mai 2012

Die griechische Bevölkerung leidet unter den Sparmaßnahmen und hat das Vertrauen in die Politiker verloren, sagt der frühere griechische Außenminister Dimitrios Droutsas im Gespräch mit der Deutschen Welle.

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Der griechische Außenminister Dimitrios Droutsas, aufgenommen am Dienstag (09.11.2010) in Berlin im Auswärtigen Amt. Der deutsche und der griechische Außenminister trafen sich zu Gesprächsthemen wie zur Eurostabilität, der Umsetzung der Agenda der Deutsch-Griechischen Partnerschaft und des EU-Beitrittsprozesses der Türkei. Foto: Tobias Kleinschmidt dpa/lbn +++(c) dpa - Bildfunk+++
Dimitrios DroutsasBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Droutsas, bei der Parlamentswahl vor etwas mehr als einer Woche sind die regierenden und etablierten Parteien abgestraft worden. Zugleich war das Wahlergebnis auch eine Ohrfeige für die Sparpolitik der Europäischen Union. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich dieses Ergebnis bei Neuwahlen wiederholt und die linksradikalen Spargegner noch stärker werden?

Dimitrios Droutsas: Das ist nicht auszuschließen. Einige Umfragedaten der letzten Tage weisen in die Richtung, dass die linken Radikalen um Herrn Tsipras bei Neuwahlen wahrscheinlich neue Zugewinne verzeichnen könnten. Ich glaube, dass Herr Tsipras genau darauf setzt - daher auch seine Weigerung in den letzten Tagen, eine Regierung mitzutragen. Sein Kopf, sein Denken ist meiner Meinung nach bereits bei den nächsten Wahlen in der Hoffnung, dass er hier einen weiteren Stimmenzuwachs gewinnt. Das letzte Wahlergebnis war ein deutliches Zeichen, eine schallende Ohrfeige gegenüber den etablierten Großparteien.

Infolge der politischen Krise wird jetzt auch wieder vermehrt von einem Austritt Griechenlands aus dem Euroraum gesprochen. Glauben Sie, dass dieses Szenario realistisch wird?

Mahnungen oder gar Drohungen genügen nicht. Ich glaube, dass sich EU-Partner und Führungsspitzen in der Europäischen Union auch eingestehen müssen, dass das Rezept, das für Griechenland angewendet wurde, falsch war - das Kaputtsparen des Landes und der Leute. Wir müssen jetzt die Konsequenzen daraus ziehen. Bitte, missverstehen Sie mich nicht: Sparen muss sein, Reformen  müssen sein, aber das kann nicht in einem so kurzen Zeitraum geschehen wie in Griechenland. Wir brauchen mehr Zeit und Vertrauen.

Wir müssen in Griechenland den Staat neu aufbauen: Der Staatsapparat ist nicht effizient genug, dadurch greifen auch die Sparmaßnahmen nicht. So kann das notwendige Wirtschaftswachstum nicht erzielt werden. Dabei hat Griechenland großes Potential, wenn wir die richtigen Strukturen aufbauen, die richtigen Reformen durchführen. Und hier kann und muss die Europäische Union wirklich aktiv und effizient mithelfen.

Nun zeichnet sich in der EU eine gewisse Bereitschaft zu Zugeständnissen ab. Der Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, sagte zum Beispiel, die europäischen Partner müssten ihren Zeitplan auf den Prüfstand stellen und die Verträge mit Griechenland im Zweifel nachbessern. Gleichzeitig hat er aber auch noch einmal betont, dass an dem vereinbarten harten Sparkurs kein Weg vorbeiführt. Das entspricht doch in etwa auch Ihrer Meinung?

Ich glaube, dass Herrn Junckers Aussagen in die richtige Richtung weisen. Nochmals, das Sparprogramm für Griechenland muss sein, das steht außer Zweifel. Aber man darf sich nicht nur darauf konzentrieren. Man muss hier eine gewisse Auflockerung vorsehen. Das, was Juncker vorgeschlagen hat, ist das Hinausschieben der Fristen für die Rückzahlung der gewährten Kredite. Ich würde hier vielleicht noch eine Senkung des Zinssatzes der Kredite und generell mehr Zeit für die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen hinzufügen. Dies würde den Druck auf die griechische Bevölkerung reduzieren, insbesondere auf die  einkommensschwächeren Schichten und Rentner. Und das würde auch das Klima ändern.

Glauben Sie, das reicht aus?

Ich möchte noch hinzufügen, dass wir auch neue Instrumente in der Europäischen Union brauchen, Instrumente, über die wir bereits in der Vergangenheit diskutiert haben. Ich denke da an Euro-Anleihen und an eine europäische Finanztransaktionssteuer. So könnte die Europäische Union auch ohne neue Schuldenaufnahme das Wirtschaftswachstum in Griechenland und ganz Europa fördern. Auch andere EU-Mitgliedstaaten sind in einer schwierigen Situation, insbesondere, was die Arbeitslosigkeit anbelangt. Das ist ein Thema, das uns alle angeht, eine kleine Bombe, wenn wir nicht den richtigen Hebel ansetzen.

Offenkundig haben die griechischen Bürger längst das Vertrauen in die Politik verloren. Was müsste aus Ihrer Sicht gemacht werden, damit die Griechen wieder mit mehr Zuversicht in die Zukunft blicken?

Wir müssen einen funktionierenden, modernen Staatsapparat schaffen, der auch die Beschlüsse für Reformen effizient umsetzen kann. Für Wirtschaftswachstum brauchen wir neue Strukturen. Zudem braucht Griechenland ein neues politisches System. Das derzeitige ist geprägt von einer engen Verflechtung der Politik, der Wirtschaft und insbesondere der Medien. Das muss aufhören.

Nun berichten deutsche Medien unter Berufung auf das Bundesfinanzministerium, dass Griechenland selbst im Fall eines Euro-Austritts weiter Hilfen vom Euro-Rettungsschirm bekommen könnte. Damit sollen die Folgen eines möglichen Euro- Austritts gemildert werden, die letztlich die Haushalte der Mitgliedsstaaten belasten würden. Vielleicht gibt es also noch eine Hintertür, um Griechenland auch dann zu unterstützen, wenn es die Eurozone verlassen hat. Wie schätzen Sie das ein?

Mir ist bewusst, dass innerhalb der Europäischen Union und vor allem auch in Deutschland bereits sehr viel diskutiert wird, teilweise auch über einen möglichen 'Plan B’ für einen eventuellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Auch hier ist mein Appell, die Diskussionen nicht zu weit zu treiben. Es geht jetzt darum, der griechischen Bevölkerung positive Signale zu senden: 'Ja, Ihr müsst sparen und Reformen durchführen, aber wir werden euch helfen auf die richtige Art und Weise, indem wir Euch nicht nur kaputtsparen.' Das griechische Volk hat wirklich Opfer gebracht und blutet unter den Sparmaßnahmen. Die Europäische Union sollte Solidarität beweisen und zeigen, dass man gemeinsam an einem Strang zieht, damit die Eurozone so erhalten bleibt, wie wir sie heute sehen. Ich glaube, die Botschaft müsste sein: Wir wollen eine gemeinsame europäische Zukunft.

Dimitrios Droutsas ist Mitglied des EU-Parlaments und der sozialdemokratischen PASOK-Partei Griechenlands. Der 56jährige war von September 2010 bis zum Juni 2011 Außenminister seines Landes.