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Interview: "Bagdad schickt Kämpfer nach Syrien"

5. März 2012

In Syrien geraten die Rebellen militärisch in die Defensive. Unterstützung bekommen die Kämpfer aber aus dem Ausland - zum Beispiel aus dem Irak, sagt der irakische Parlamentsabgeordnete Ahmed Al-Alwani.

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Handschlag zwischen dem irakischen Regierungschef al-Maliki und Syriens Präsident Assad (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Deutsche Welle: Wie würden Sie die aktuelle politische Situation im Irak beschreiben?

Ahmed Al-Alwani: Seitdem Premierminister Nuri al-Maliki einen Haftbefehl gegen den sunnitischen Vizepräsidenten Tarek al-Haschemi ausstellen ließ, befinden wir uns in einer gewaltigen Krise. Das geschah zum katastrophalen Zeitpunkt wachsender Unsicherheit im Nahen Osten und hat auch dramatische Folgen für das irakische Parlament. Die unverfrorene Manipulation durch die Regierung von al-Maliki belastet die gesamte irakische Politik. Die neu geschürten Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten wachsen von Tag zu Tag, was sehr wahrscheinlich das eigentliche Ziel der Regierung ist.

Die Sunniten im Irak beklagen die dauerhafte Diskriminierung durch die schiitische Regierungskoalition. Was steckt dahinter?

Als die US-Truppen 2003 in den Irak einmarschiert sind, haben sie uns vermitteln wollen, dass wir Sunniten einen deutlich kleineren Bevölkerungsteil stellen als die Schiiten - diese Sichtweise gab es auch von iranischer Seite. Die offiziellen Statistiken nach 2003 haben unseren Bevölkerungsanteil auf nur noch 20 Prozent beziffert. Nach unseren eigenen Berechnungen macht der sunnitische Anteil an der Gesamtbevölkerung dagegen rund 40 Prozent aus – die Kurden nicht mit eingerechnet. Mehr als 90 Prozent der letztgenannten sind ebenfalls Sunniten. Trotzdem ist die Diskriminierung in praktisch allen Lebensbereichen offensichtlich. Der Anteil der sunnitischen Beamten in den Sicherheitskräften oder in der Verwaltung ist nicht nur lächerlich gering, sondern sinkt auch noch von Tag zu Tag. Der Grund dafür ist einfach: Ganz zu Beginn hielten sunnitische Geistliche die Bevölkerung davon ab, mit der Übergangsregierung zusammenzuarbeiten. So konnten die Schiiten alle Posten besetzen – und tun dies bis zum heutigen Tag.

In welchem Bereich ist die Verdrängung, von der Sie berichten, am sichtbarsten?

Ich würde sagen, dass die Sunniten in praktisch allen Bereichen abgelehnt werden – das Gefängnis einmal ausgenommen. Rund 95 Prozent der irakischen Häftlinge in Bagdad sind Sunniten und viele von ihnen sind unschuldig. Aber hier werden sunnitische und schiitische Häftlinge nicht gleich behandelt. Willkürliche Verhaftungen gehören zu den üblichen Methoden, um die Bevölkerungszusammensetzung in Bagdad zu ändern. Daher gibt es im Irak heute unzählige Heimatvertriebene – viele von ihnen leben in der Provinz Anbar.

Viele Beobachter machen den Iran verantwortlich für den Status quo.

Nach 2003 hat der Iran große Mühe darauf verwendet, das Land aufzuteilen, indem die Führung die unterschiedlichsten Milizen unterstützt und finanziert hat – Al Kaida inklusive. Der Iran war nie an einem souveränen Irak interessiert, der seine eigene Zukunft bestimmt. So hat Teheran unser Land mit Hilfe von Milizen in Brand gesetzt, und sie haben die lokalen schiitischen Parteien benutzt, um die Kontrolle über den Staat zu erlangen. Kein Zweifel: Der Iran und die schiitischen Gruppierungen sind die Hauptverantwortlichen für die gegenwärtige Situation im Irak.

Sie erwähnen die Verbindung zwischen Al Kaida und Iran – aber es ist ja aktuell die Provinz Anbar, wo die Dschihadisten den größten Zulauf haben.

Die Amerikaner verweisen bei Anschlägen immer auf Al Kaida, aber viele Attentäter entstammen schiitischen Milizen. Nachdem wir die Al Sahwa-Milizen aus früheren sunnitischen Aufständischen, die mit den Amerikanern gegen Al Kaida gekämpft haben, gebildet hatten, hat Al Kaida nicht mehr gegen Amerikaner, sondern gegen unser Volk gekämpft: Wissenschaftler, Lehrer, Rechtsanwälte. Al Kaida wurde zur Massenvernichtungswaffe, die unser Land dem Erdboden gleichgemacht und uns von der Macht fern gehalten hat. Und genau das hat dem Iran geholfen, schnell Fuß zu fassen. In dieser Zeit haben die US-Soldaten nicht reagiert, wenn Al Kaida unsere Leute getötet hat. Am Ende waren es die lokalen sunnitischen Gruppen, die Al Kaida bekämpft und zerstört haben – nicht die US-Soldaten.

Symbolbild Irak mit den vier Teilen Kurden, Sunniten, Schiiten und Bagdad (DW-Grafik: Olof Pock)
Die föderale Struktur im IrakBild: DW

Die behauptete Diskriminierung der irakischen Sunniten im Irak hat zu der Forderung geführt, aus der Provinz Anbar eine autonome Region im Irak zu machen. Würden Sie einen solchen Plan unterstützen?

Die irakische Verfassung sieht einen föderalen Aufbau des Landes vor. Daher würde ein solcher Plan der irakischen Verfassung entsprechen. Genau genommen war ich der erste, der diese Idee vor eineinhalb Jahren unterstützt hat. Trotzdem will ich darauf hinweisen, dass wir keine unabhängige Region auf religiöser oder ethnischer Grundlage wollen. Wie gesagt, wir haben das von der Verfassung garantierte Recht, eine eigene autonome Region zu gründen – so wie die Kurden im Norden des Landes.

Es ist auch die Rede davon, dass sunnitische Gruppen im Irak die Rebellen in Syrien verstärken. Schiitische irakische Kämpfer sollen wiederum auf Seiten der Assad-Truppen kämpfen. Was wissen Sie darüber?

Syrien ist Irans größter Alliierter in der Region. Daher wird Teheran alles unternehmen, um Assad an der Macht zu halten. Wir haben glaubhafte Informationen über schiitische Militärs, vor allem der Mahdi-Armee, schiitische Geistliche und politische Führer um Muktada al-Sadr, die dabei helfen sollen, den syrischen Aufstand niederzuschlagen.

Und wie reagiert Bagdad?

Vor drei Monaten hat die irakische Polizei in Anbar mehrere Mahdi-Kämpfer verhaftet, die Waffen und Geld für Syrien bei sich geführt haben. Wir haben gute Gründe zu glauben, dass diese Milizen aus Bagdad freies Geleit bekommen und so alle irakischen Checkpoints passieren können. Auf dem Weg nach Syrien werden sie nicht behelligt. Bagdad schickt diese Kämpfer also nach Syrien. Daneben werden Waffen vom Iran über den Flughafen Nadschaf in den Südirak gebracht. Ich denke, der Fall des Regimes Assad wäre für den Iran eine riesige Katastrophe.

Interview: Karlos Zurutuza
Redaktion: Rob Mudge / Andreas Noll

Ahmed Al-Alwani ist Mitglied der säkularen, schiitisch dominierten Oppositionspartei Irakija. Die Irakija-Minister und Parlamentsabgeordneten hatten im Dezember 2011 vorübergehend die Arbeit in Regierung und Parlament suspendiert.