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Interapy

Diana Hodali26. Juni 2009

Die Liste der Foltermethoden des irakischen Regimes unter Saddam Hussein ist lang. Vielen Irakern fällt es schwer, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Das Berliner Zentrum für Folteropfer bietet nun die "Interapy" an.

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Folteropfer zu Zeiten von Saddam Hussein im Irak,(Foto:dpa)
Folteropfer zu Zeiten von Saddam Hussein im IrakBild: dpa

Seit einigen Monaten bietet das Berliner Zentrum für Folteropfer (BZF) einen ganz besonderen Dienst an. Beim Projekt "Interapy" sitzt der Patient zu Hause und der behandelnde Arzt in seinem Büro – sie begegnen sich nie von Angesicht zu Angesicht und manchmal leben sie sogar tausende von Kilometern voneinander entfernt. Interapy steht für Internet Therapie, ein Konzept, das sich in westlichen Ländern immer mehr durchsetzt. Das BZF bietet das Programm nun auch in arabischer Sprache an, gezielt für Folteropfer und Trauma-Patienten im Irak. Das Konzept der Online-Therapie ist nicht unumstritten, viele Experten zweifeln an seiner Wirksamkeit im Vergleich zur so genannten "Face-to-Face-Therapie". Ganz anders Christine Knaevelsrud, Leiterin des Projekts Interapy beim BZF:"Zur Online-Therapie gibt es mittlerweile hunderte von Studien zu verschiedenen Störungsbildern. Und es wurde weitgehend gefunden, dass die Online-Therapie wirksam ist bei bestimmten Störungsbildern."

Face-to-Face oder Interapy?

Für Knaevelsrud stellt sich die Frage, ob eine traditionelle Therapie besser sei oder eine Internet-basierte in dieser Form ohnehin nicht, denn sie glaubt nicht, dass eine Face-to-Face Therapie grundsätzlich besser sei. Sie sei grundsätzlich einfach für andere Menschen geeignet.

Irakische Frau im Internetcafé, (Foto:AP)
Überwiegend Frauen nutzen das Therapie Angebot "Interapy" vom BZFBild: AP

"Menschen die große Scham haben, die aufgrund von Stigmatisierung sich nicht zum Therapeuten trauen, die profitieren sehr von einer Online-Therapie. Und ich glaube auch, dass sich unsere Zeit mittlerweile so gewandelt hat, dass viele Menschen eine regelmäßige Offline-Therapie, also Face-to-Face-Therapie mit ihrer Lebensführung schwer vereinbaren können.“, sagt Knaevelsrud.

Vorbild für das Projekt des BZF ist die gleichnamige Maßnahme in den Niederlanden. Das Land gilt als Vorreiter in Sachen Online-Therapie. Seit zehn Jahren wird dort der netzgesteuerte Heilansatz auf seine Wirksamkeit hin überprüft, verfeinert und ausgebaut. Mittlerweile übernehmen sogar die Krankenkassen die Kosten.

Drei Phasen der Therapie

Das Prinzip von "Interapy" ist einfach: Grundsätzlich wird die Therapie in drei Phasen aufgeteilt. In der ersten und schwierigsten Phase bekommen Patienten zum Beispiel die Aufgabe, vier E-Mails zu schreiben, in denen ihr schmerzhaftes Erlebnis dokumentiert wird. In der zweiten Phase dann sollen sie vier E-Mails an einen fiktiven Leidgenossen richten, und in der dritten und letzten Phase weitere zwei verfassen, einen an sich selbst und einen an den Menschen, der für ihr Leid verantwortlich ist. Theoretisch sind für diesen Prozess etwa fünf Wochen angesetzt, in Realität kann das Ganze jedoch bis zu sechs Monate dauern.

"Indem man versucht das Ganze chronologisch aufzuschreiben kriegt es eine größere Systematik und es ist mir leichter zu sagen 'das war in der Vergangenheit' ", erzählt Christine Knaevelsrud, "denn viele Menschen – das ist Teil der Symptomatik – erleben das was passiert ist wieder in Form von einem Film, sie haben dann den Eindruck es passiert hier und jetzt noch mal." Aufgelöst werden könne das Erlebte erst, wenn man es in seine Biographie eingeordnet habe und dadurch wieder etwas Distanz geschaffen werde.

Viele Frauen als Patienten

Künstler Salaheddin Sallat malt irakische Gefangene an die Wand, um ihrem Leid Ausdruck zu verleihen,(Foto:dpa)
Künstler Salaheddin Sallat malt irakische Gefangene, um ihrem Leid Ausdruck zu verleihenBild: picture-alliance/ dpa

Was den Irak betrifft, so profitieren neben den genannten Gruppen vor allem Menschen in entlegenen Orten und Frauen von Interapy. Mehr als die Hälfte der Patienten sind Frauen, denn bei ihnen kommen zu den emotionalen Hürden, die einen Besuch beim Therapeuten erschweren, zusätzlich noch gesellschaftliche hinzu. In vielen konservativen Gegenden des Irak sind sie in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt.

Anpassung an die Bedürfnisse

Die Übertragung eines westlichen Therapie-Modells auf ein orientalisches Land verläuft jedoch nicht ohne Schwierigkeiten. Es ist ein gewisses Fingerspitzengefühl vorab notwendig, um sich den spezifischen Bedürfnissen der irakischen Patienten anzupassen.

Auch bemüht sich das BZF, die religiösen Gefühle der irakischen Patienten zu berücksichtigen. Trotzdem ist die Kommunikation zwischen zwei unsichtbaren Partnern natürlich auch Nährboden für allerlei Misstrauen und Spekulation, sagt Frau Knaevelsrud: "Wir haben Patienten, die beginnen die Therapie und brechen dann mitten in der Therapie ab. Und wir versuchen sie dann telefonisch zu erreichen und sie sagen dann, dass sie mit Freunden gesprochen hätten, die dann gesagt haben 'Gott was bist du naiv – das ist bestimmt die CIA die dahinter steckt oder der Mossad, oder wer auch immer'. Das Misstrauen ist sehr hoch."

Insgesamt scheint Interapy jedoch auch hier ein voller Erfolg zu sein. Mittlerweile nehmen sogar Patienten aus anderen arabischen Ländern an der Maßnahme teil – und falls es mit der Internet-Verbindung mal haken sollte, geht es notfalls auch per Fax.



Autor: Mahmoud Tawfik
Redaktion: Diana Hodali