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Internationale Pressestimmen

23. September 2002

So spannend war's noch nie: Über den Ausgang der deutschen Bundestagswahl wird auch in den internationalen Zeitungen heftig diskutiert. Hier eine erste Auswahl der Kommentare.

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'Neue Zürcher Zeitung' (NZZ):

"Zunächst haben die beiden bürgerlichen Parteien [CDU/CSU] aufgezeigt, dass es in Deutschland nach vier Jahren rot-grüner Politik noch große Defizite gibt. Hinzu kommt der Kanzlerkandidat selber, Edmund Stoiber, der in der direkten Auseinandersetzung mit Bundeskanzler Schröder zwar nicht dessen mediale Wirkung erzielen konnte, mit seiner nüchternen Sachlichkeit und seinem Leistungsausweis als bayrischer Ministerpräsident aber mehr Stimmen eroberte, als auf Grund der Umfragen hatte erwartet werden können.

Querschläger Möllemann

Ein zweites interessantes Ergebnis dieser Wahlen ist das unerwartet gute Abschneiden der Grünen. Auch hier sind klare Gründe zu nennen. Der erste hat mit der überragenden Kampagne des Spitzenkandidaten Joschka Fischer zu tun. Aber es war nicht allein Fischers Talent. Zum ersten Mal seit langer Zeit vermittelten die Grünen den Eindruck von Geschlossenheit.

Enttäuscht ist man natürlich bei der SPD. Zwar hat sich die von Schröder vom Zaun gerissene Irak-Debatte insgesamt wohl zugunsten des Bundeskanzlers ausgewirkt. Diese Stimmen gingen allerdings nicht auf Kosten der CDU, sondern der PDS. Aber Schröder hat von seinen manifesten Defiziten ganz offensichtlich nicht so sehr ablenken können wie erhofft. Eine empfindliche Schlappe hat sich schließlich die FDP zugefügt, die nach den jüngsten Entgleisungen ihres notorischen Querschlägers Möllemann nochmals tüchtig ins Schlingern geraten war. "

Die 'Liberation' in Paris schreibt:

"Die vorläufigen Resultate bestätigen, dass die Deutschen mit grosser 'Fairness' gewählt haben. Sie verteilen Lob und Tadel mit gutem Gerechtigkeitssinn. Ohne Zweifel wurden die anti-amerikanischen Entgleisungen der Regierung Schröder, auf die Spitze getrieben vom umstrittenen Hitler-Vergleich der Justizministerin Däubler-Gmelin, auch bestraft. Die deutschen Wähler haben lange überlegt, ob sie sich vom Tandem Schröder-Fischer trennen sollen, aber haben doch entschieden, dass dieses Gespann überzeugender ist, als die Alternative Stoiber-Westerwelle.

Während der letzten Kampagne von Gerhard Schröder 1998 kannte das politische Deutschland nur eine Formel: die Mitte. Auch diesmal war es nicht anders. Stoiber bot seinen Wählern die politsche Mitte an, Schröder ebenfalls. Dies könnte erklären, warum die Wähler Schwierigkeiten hatten, beide zu unterscheiden.

Das 'Luxemburger Wort' kommentiert in ihrer Montagsausgabe:

"Die Rechnung der Union, auf Inhalte und Sachlichkeit zu setzen, ging auf. Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (...) konnte viele Wähler durch seine Argumentierung überzeugen (...). Das ausgezeichnete Resultat der CDU-CSU ist aber auch der Verdienst von Angela Merkel, die für Geschlossenheit in der Union sorgte. Hinzugewonnen haben auch die Grünen und die FDP. Bei den Grünen geht das Ergebnis in erster Linie auf das Konto des hoch begabten Selbstdarstellers Joschka Fischer.

Bei der FDP dagegen liegt der Zugewinn sehr weit hinter dem angestrebten Ziel von 18 Prozent. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass Spitzen-, pardon, Kanzlerkandidat Guido Westerwelle sich entgegen dem Wunsch vieler Parteigänger nicht auf eine klare Koalitionsaussage zu Gunsten der CDU-CSU festlegen wollte (...). Andererseits haben die massiven antisemitischen Ausfälle des

Profilneurotikers Jürgen Möllemann der Öffentlichkeit das Bild einer innerlich zerrissenen Partei gezeigt.

'El País' aus Madrid kommentiert:

Es sieht aus, als hätte der unerwartet gute Ausgang der Grünen - der beste Ihrer Geschichte - die Koalition, die in den letzten 4 Jahren Deutschland regiert hat gerettet. Das Ergebnis der gestrigen Wahlen, nach Hochrechnungen, die nicht für Herzkranke zu empfehlen waren, beendet die Verluste der Linken , und das im wichtigsten Land der Europäischen Union. Auch wenn die Mehrheit nur sehr knapp ist, zeigen die Ergebnisse, dass die Politik für einen sozialen Staat und die Umwelt Vorrang hatten, vor der Kürzung der Steuern, die von der CDU-CSU mit Edmund Stoiber verlangt wurden. Joschka Fischer hat nicht nur Gerhard Schröder gerettet , er wird zur interessantesten Figur der deutschen und europäischen Politik. Dieser Ergebnis mindert nicht die politische Fähigkeit von Schröder, aber er muss aus den bedeutenden Verlusten die entsprechende Lehre ziehen. (sur)