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Politik

Pressestimmen: "Ohrfeige" für "Mutti der AfD"

25. September 2017

Der Erfolg der AfD war wohl zu absehbar, um den ganz großen Aufschrei auszulösen. Größer ist die Sorge darüber, ob es eine stabile Bundesregierung geben wird, die ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden kann.

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Übersicht internationale Zeitungen nach Bundestagswahl

Den Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) in den deutschen Bundestag greifen die internationalen Kommentatoren ganz unterschiedlich auf. "Le Soir" aus Belgien sieht darin einen "Schock für Deutschland, aber auch für ganz Europa", weil man nach den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich geglaubt habe, "dass die extreme Rechte auf europäischem Gebiet besiegt sei".

Zu diesen Schockierten gehört offenbar der Kommentator der slowakischen Tageszeitung "Pravda". Zur AfD : "Als einer ihrer Führer, Alexander Gauland, kurz nach dem Schließen der Wahllokale verkündete, nun werde man Merkel 'jagen', konnte es einem kalt über den Rücken laufen."

Deutlich gelassener ist man bei der regierungsfreundlichen "Israel Hayom" aus Israel: Die AfD sei weder eine rassistische, noch eine anti-semitische Partei - wenngleich es Mitglieder mit solchen Meinungen gebe, heißt es da: "Die AfD ist eine konservativ-nationale Protestpartei, welche erfolgreich den ansteigenden Ärger und die Empörung in verschiedenen Teilen der Gesellschaft in Deutschland für sich genutzt hat."

Mutti ist Schuld

Ganz ähnlich sieht man es bei der Wiener Zeitung "Die Presse": "Deutschland ist nach rechts gerückt. Mit zwei Jahren Verspätung präsentierten die deutschen Wähler ihre Rechnung für die Flüchtlingskrise."

Die Verantwortliche dafür ist laut "Le Figaro" aus Paris Angela Merkel. Sie sei zur "Mutti der AfD" geworden: "Der Platz der Kanzlerin in den Geschichtsbüchern ist befleckt vom historischen Ergebnis der Populisten von der AfD."

Bundestagswahl 2017 | AfD Alexander Gauland
Sein "Jagd-Aufruf" beschäftigte international: AfD-Spitzenkandidat Alexander GaulandBild: picture-alliance/AP Photo/M. Meissner

Im Hier und Jetzt aber, schreibt "Hospodarske noviny" aus Prag, werde "Mutter Angela" weiterregieren: "Wenn sie auch eine kleine Ohrfeige bekommen hat, dann jedenfalls keine solche, dass ihr das Lächeln aus dem Gesicht verschwinden müsste."

Eine schwierige "finale Amtszeit"

Für die Washington Post würde dies aber wohl ein gequältes Lächeln sein. Denn das Wahlergebnis werde Merkels Leben nicht vereinfachen. In ihrer "finalen Amtszeit", wie der Kommentator schreibt, stünden der Kanzlerin "dornige Koalitionsverhandlungen" und eine "bombenwerfende" AfD im Bundestag ins Haus. Solcher Meinung ist man auch bei der Schweizer NZZ: "Das starke Abschneiden der kleineren Parteien FDP und AfD erlaubt es der Wahlsiegerin Merkel nicht, einfach weiterzumachen wie bisher."

Was für Merkel Arbeit bedeutet, könne Deutschland gut tun, schreibt die "Jyllands-Posten" aus Aarhus: "Dass die große Koalition nicht verlängert wurde, ist demokratisch gesehen gut. Deutschland braucht einen gewissen Ruck und dass die großen Parteien sich wieder besser voneinander abgrenzen."

Dass sich das Wahlergebnis wirklich so belebend auswirken wird, bezweifelt man jedoch bei der regierungskritischen "Haaretz" in Israel. Eine Koalition mit FDP und Grünen, heißt es dort, werde es "fast unmöglich machen, viele der radikalen neuen Grundsätze einzuführen, die Deutschland und Europa brauchen." Sowohl Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als auch Merkel bewiesen, "dass politische Langlebigkeit und Stabilität in der Politik zu oft Rezepte für Stagnation und Lähmung sind."

Kann Merkel Europa noch stabilisieren?

Bei der polnischen "Rzeczpospolita" dagegen betont man die positiven Aspekte der Kontinuität in Deutschland: "Das Land ist stabil, berechenbar, verantwortungsbewusst und zweifelsohne freundlich. Unabhängig davon, welchen Koalitionspartner Angela Merkel wählt, bleibt Deutschland der wichtigste Staat der EU, ihre wichtigste Wirtschaft und Stabilisator der Politik in unserem Teil der Welt." Aus demselben Grund findet auch die dänische "Jyllands-Posten" gut, dass "das Phänomen Angela Merkel" weitergeht.

Frankreich PK Migrationsgipfel in Paris
Können Frankreichs Präsident Macron und Bundeskanzlerin Merkel die EU gemeinsam zusammenhalten?Bild: Reuters/C. Platiau

Kritischer sieht man das in der spanischen Tageszeitung "El Mundo": "Wenn Merkel nun ein Abkommen mit Liberalen und Grünen erreicht, wird sie dazu gezwungen sein, bei Themen wie dem Brexit oder der Solidarität mit den Ländern des Südens nachzugeben. Und das wird den Konsens innerhalb der EU gefährden." Eine Mitverantwortung dafür, "die Bedingungen für einen großen europäischen Kompromiss zu schaffen", trägt laut "L'Opinion" aus Paris auch der französische Präsident Emmanuel Macron: "Seit Sonntag hat der Präsident eine Verbündete, die sicher Gewicht hat, aber sehr geschwächt ist."

Hoffnung auf starke Bundesregierung

Auch nach Meinung der lettischen Tageszeitung "Latvijas Avize" wird Merkel nach dem sensationellen "Abflug der Sozialdemokraten in die Opposition" Hilfe brauchen: "Deutschland wird Europas politischer Motor bleiben, aber dieser Motor wird nicht mehr so mächtig und rhythmisch wie früher laufen."

Einer "möglichen Schwäche der 'Merkel IV'-Regierung" schreibt der rumänische Politikwissenschaftler Valentin Naumescu im Nachrichtenportal Hotnews.ro eine große Bedrohung für die EU zu. Sie würde "Nationalisten und Euroskeptiker von überall beflügeln". Damit bezieht er sich insbesondere auf Parteien, die versuchten - etwa in Polen, Ungarn und Rumänien - den Rechtsstaat  zu schwächen.

Gerade die ungarische Regierung, meint allerdings die "Magyar Nemzet", könne erleichtert sein, denn "auf der politischen Palette Deutschlands kann sie immer noch von Mutti das meiste Verständnis erhoffen." Gleichzeitig hofft der Kommentator, dass es ihr gelingt, "die unter verrutschten Stimmen und inneren Grabenkämpfen leidende (EU-)Integration aus dem toten Punkt zu holen", denn nach Merkels Lesart gehörten die östlichen Länder zum Kern der EU.

Alles in allem erscheint die Analyse der "Global Times" aus chinesischer Ferne recht treffend: "Deutschland scheint die letzte Hoffnung des Westens auf der Suche nach Stabilität zu sein. Ein Kampf, der weitaus schwieriger ist, als man sich vorgestellt hatte."

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.