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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel18. Juli 2003

Der Kanzler und die Steuerreform / Der Vizekanzler und die USA

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Zwei deutsche Themen fanden in dieser Woche bei den Kommentatoren der europäischen Tagespresse Beachtung: die USA-Reise von Bundesaußenminister Joschka Fischer und die Steuerreformpläne der Bundesregierung.

Mit dem Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform um ein Jahr habe Bundeskanzler Gerhard Schröder gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen, meinten die SALZBURGER NACHRICHTEN, Zitat:

"Er zwingt seinen Finanzminister Hans Eichel zum Handeln, er erntet rundum Zustimmung in der Bevölkerung, weil er wenigstens die Möglichkeit eines Aufbruchs andeutet. Und er treibt die Opposition vor sich her. Die Unionsparteien haben dem Konzept der Regierung nichts entgegenzusetzen, sie können sich nicht entscheiden, ob sie für oder gegen die Steuersenkungen sind. Das Einzige, was die schwache rot-grüne Regierung rettet, ist eine noch schwächere Opposition".

Zum politischen Gespür des Kanzlers war in der niederländischen Zeitung DE VOLKSKRANT zu lesen:

"Schröder kriecht aus dem Tal und mit ihm fasst Deutschland wieder etwas Mut. Er ist vielleicht ein Opportunist ohne klare Linie, aber der Kanzler ist - vielleicht gerade deswegen - ein Politiker mit sieben Leben. Seine jüngste Rolle: der gnadenlose Reformer, der dem an Fettsucht leidenden deutschen Wohlfahrtsstaat eine Diät verpasst. (...) Die Deutschen zeigen sich viel reformfreudiger als die Regierung geglaubt hat (...) Nach all den verlorenen Jahren hat der Glückspilz Schröder noch eine Chance erhalten, wirklich etwas zu verändern in Deutschland."

Die französische Wirtschaftszeitung LA TRIBUNE zog folgende Parallele:

"In dieser Zeit der knappen Haushaltkassen auf beiden Seiten des Rheins gibt es zumindest einen Bereich, in dem sich deutsche und französische Politiker ein Wettrennen liefern - in der Kreativität in der Steuerpolitik. Während der französische Premierminister alles daransetzt, um die von seinem Präsidenten in besseren Zeiten versprochenen Steuersenkungen umzusetzen - zumindest symbolisch - setzt der deutsche Kanzler noch einen drauf - mit einem Zaubertrick, der selbst die abgebrühtesten Experten sprachlos macht. Gerhard Schröder beschert seinen Landsleuten und den deutschen Unternehmen einen beachtlichen Steuernachlass, und diese werden nicht so geschmacklos sein, das zurückzuweisen. Wird dies durch Einsparungen finanziert? Nein. Durch mehr Wirtschaftswachstum? Nein. Einfach nur durch ein bisschen mehr Haushaltsdefizit."

Die Zeitung LUXEMBURGER WORT kritisierte:

"Genauer betrachtet erweist sich das Reformpaket jedoch als eine Mogelpackung. Denn hier soll vor allem Geld zurückgegeben werden, das gar nicht vorhanden ist.(...). Statt Zukunftsvertrauen fördern derartige Rechenkünste nur Skepsis bei den Bürgern. Damit dürfte dann auch der beabsichtigte Wachstumsimpuls ausbleiben. So entpuppt sich der ganze Vorschlag als haushaltspolitisch unseriös. Mit solchen Voodoo-Economics wird Deutschland beide Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auf Jahre verfehlen. In Amerika lassen sich die Folgen von Steuersenkungen ohne wirkliche Gegenfinanzierung bewundern: Im US-Haushalt klafft dieses Jahr ein Loch von 455 Milliarden Dollar - Tendenz steigend."

Auch die Brüsseler Zeitung LA LIBRE BELGIQUE fand, die Deutschen hätten gute Gründe skeptisch zu sein:

"Die Verbraucher sind derzeit von der wachsenden Arbeitslosigkeit und den Einschnitten bei den Sozialausgaben tatsächlich dermaßen eingeschüchtert, dass sie zweifellos weiter sparen werden statt den Verbrauch anzukurbeln. (...) Um unabhängig von der Steuerreform mit dem Haushalt 2004 über die Runden zu kommen, will Hans Eichel besonders populäre Subventionen wie die Eigenheimprämie oder die Absetzbarkeit der Wegekosten abschaffen. Die Öffentlichkeit hat den Eindruck, dass der Staat mit der einen Hand nimmt, was er mit der anderen gibt."

Bundesfinanzminister Hans Eichel habe sich vom Spar- zum Schuldenmeister gewandelt, urteilte der österreichische KURIER aus Wien und bemerkte:

"Nun geht es wieder nur darum, welche Gruppe die stärkste Lobby hat und am wenigsten verliert. Gut organisierte SPD-Kernwähler, wie zum Beispiel die Kumpel in NRW, haben sie - künftige Generationen, die vor allem blechen müssen, nicht. Und auch die Opposition ist wohl nur scheinbar standhaft: Denn Steuersenkungen sind besser als alle Wahlprogramme."

Der in Zürich erscheinende TAGES-ANZEIGER ging auf den USA-Besuch des Bundesaußenministers ein:

"Für Joschka Fischer war die Reise nach Washington kein 'Gang nach Canossa'. Er musste weder für deutsche 'Sünden' zu Kreuze kriechen, noch als Bittsteller für ein besseres transatlantisches Verhältnis auftreten. Vielmehr konnte er seinen Gesprächspartnern auf gleicher Augenhöhe begegnen. Denn mittlerweile ist es auch den USA durchaus genehm, dem Motto Gerhard Schröders zu folgen und die Vergangenheit ruhen zu lassen. Die Zeiten haben sich geändert. Die USA können es sich schlicht nicht mehr leisten, ihren Widersachern in der Irak-Krise nachtragend und vom hohen Ross herab zu begegnen. Stärker denn je äußern sich nämlich die Zweifel an der Legitimität des Irak-Krieges. Vor Ort wachsen den Amerikanern die Probleme buchstäblich über den Kopf, und die 'Koalition der Willigen' scheint weniger belastbar, als dies die Bush-Regierung wohl geglaubt hätte. In dieser Situation kommen die USA nicht darum herum, bei der Stabilisierung der Lage im Irak nach zusätzlichen Partnern Ausschau zu halten. Dazu gehören auch die alten Freunde aus dem 'alten Europa."

Die russische Tageszeitung NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau kommentierte:

"Washington und Berlin haben sich zumindest auf der Ebene der Außenminister wieder vertragen. Nach vier Tagen in den USA kann Außenminister Fischer mit seinem ersten Besuch beim Verbündeten seit dem Irak-Krieg zufrieden sein. Doch die Versöhnung der Minister reicht noch nicht aus, um den transatlantischen Graben wieder zuzuschütten. Das ist erst die halbe Miete. Es muss ein Gipfeltreffen Bush - Schröder her. Doch das scheint noch in weiter Ferne zu sein."