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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

15. März 2003

Die Reformrede des Reformkanzlers / Das Echo auf die Ermordung des serbischen Regierungschefs Djindjic

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Bestimmende Themen in der ausländischen Presse diese Woche waren neben dem Irak-Konflikt die Reformrede von Kanzler Gerhard Schröder sowie die Ermordung des serbischen Regierungschefs Zoran Djindjic.

Der Kanzler hat von der Opposition im Bundestag 'Prügel' für seine lang angekündigte und an große Erwartungen geknüpfte 'Reformrede' erhalten. Auch die ausländische Presse zeigt sich enttäuscht.

Die dänische Tageszeitung "Information" meint:

" Weder der Inhalt der Rede noch ihre Darbietung waren sonderlich mitreißend. Schlimm genug. Am schlimmsten aber war, dass die Einladung an die Opposition dort nicht ankam...Der Kanzler mutlos, die Opposition siegessicher, die Gewerkschaften beleidigt und die Arbeitgeber ungeduldig. Es wird ein langes, schweres Frühjahr für Gerhard Schröder. Und für die Deutschen."

Die niederlände Zeitung "De Volkskrant" gibt sich pessimistisch, ob die Reformen wirklich so in die Tat umgesetzt werden:

"Schröder hat...den Mut aufgebracht, Tabus zu brechen. Aber es besteht die Chance, dass sich hinterher das herausstellt, was ihm der bayerische Ministerpräsident Stoiber...im Bundestag zurief: Zu wenig und zu spät."

Ähnlich äußert sich die russische "Nesawissimaja Gaseta":

"Ob das alles zu einem Aufschwung der Wirtschaft führt und die Zahl der Arbeitslosen verringert, ist schwer vorauszusagen. Schröder machte auch in der Vergangenheit schon viele Versprechungen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass fast 70 Prozent der Deutschen in Umfragen die Wirksamkeit solcher Reformprogramme bezweifeln."

Die "Salzburger Nachrichten" machen andere Schwierigkeiten aus:

"Abgesehen davon, dass Schröder sein Programm sowohl in der eigenen Fraktion als auch im von der Opposition dominierten Bundesrat erst einmal durchbringen muss, kann sein Reformprojekt erst gelingen, wenn es auch in den Köpfen der Menschen stattfindet. Davon kann derzeit aber keine Rede sein. Denn die von Schröder geplanten Reformen werden - so sie nicht von vornherein abgelehnt werden - als schmerzhafte Opfer betrachtet, die erbracht werden müssen, um den Wirtschaftsmotor wieder auf Touren zu bringen."

Die dänische Zeitung "Berlingske Tidende" lässt kein gutes Haar an Schröder. Sie meint:

"Könnte man Punkte an europäische Politiker vergeben, würde Kanzler Schröder die Höchstzahl für künstlerische Ausführung bekommen... Bevor man aber Schröder ein Spitzenzeugnis für technische Ausführung ausstellt, sollte man sich daran erinnern, dass der Kanzler nicht das Geringste umzusetzen pflegt, wenn es nicht seiner eigenen politischen Karriere dient. Wir haben schon erlebt, dass Europas führender Populist das 'Richtige' sagt, ohne Taten auf seine Worte folgen zu lassen."

Themenwechsel. Nach der Ermordung des serbischen Regierungschefs Djindjic suchen die ausländischen Kommentatoren nach dem 'Warum' und dem 'Was nun':

Die italienische Zeitung "La Stampa" meint:

"Die einzige Karte, auf die Europa setzen konnte, in der Hoffnung ein gefährlich explosives und gegen alle demokratischen Therapien allergisches Serbien zu sanieren, war Zoran Djindjic... Wer es geschafft hat, Djindjic ermorden zu lassen, hat der Wiedergeburt eines europäischen Serbiens den härtesten Schlag versetzt."

Die tschechische "Mlada fronta Dnes" sieht in dem ermordeten Regierungschef einen "serbischen John F. Kennedy". Das Blatt schreibt:

"Noch im vergangenen Jahr hatte Djindjic die serbische Demokratie mit einem Fahrrad verglichen, das nie stoppen darf, damit der Fahrer nicht das Gleichgewicht verliert und stürzt. Seine Angst vor einem Rückfall in das unendliche Szenarium aus Anarchie und Diktatur auf dem Balkan war nicht unbegründet - Djindjic wusste nur zu gut, dass die Serben wahre Meister sind im Stoppen von Reformern."

Auch die spanische "El País" sieht das Serbien des gestürzten jugoslawischen Staatschefs Slobodan Milosevic noch nicht verschwunden:

"Es überlebt in der Form eines mafiaähnlichen Staates, dessen Verschwinden einen hohen Preis erfordert. Es wird noch Jahre dauern, bis die Verstrickungen zwischen dem organisierten Verbrechen und den Machthabern entwirrt sind. Der Mord an Djindjic beweist, dass der Reformprozess in Serbien längst nicht abgeschlossen ist, auch wenn die Banken modernisiert sind, der Dinar stabil ist und Milosevic mit seinen Leuten in Den Haag vor Gericht steht. Serbien ist noch immer eine verzagte und kranke Gesellschaft."

Die bulgarische Zeitung "Dnewnik" verallgemeinert. Ihrer Meinung nach sind alle Balkanstaaten noch weit entfernt von der Demokratie. Denn:

"Leider ist im ganzen Raum von Sarajewo bis Istanbul und von Tirana bis Bukarest das Gewehr sehr oft ein viel ernsthafteres Argument im politischen und wirtschaftlichen Streit als die gesunde Vernunft und der normale Dialog."

Die französische "Le Monde" kritisiert dagegen die internationale Gemeinschaft, die Amerikaner mehr, die Europäer weniger. Das Blatt schreibt:

"Der Tod Zoran Djindjics verpflichtet auch jene im Ausland, die ihn bedauern, ehrlich über die Art und Weise nachzudenken, mit der sie diesen Demokratisierungsprozess verfolgt haben. Haben wir Serbien nicht ein bisschen vergessen? George W. Bush hat den getöteten Regierungschef gewürdigt, doch worin besteht die amerikanische Politik gegenüber Belgrad? ... Europa ist weniger tölpelhaft. Aber auch Europa hat, was die wirtschaftlichen Aspekte anbelangt, nicht das Notwendige getan."