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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel14. September 2002

Schröder kontra Stoiber / Schröder kontra Bush

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Bei den Kommentatoren der ausländischen Tagespresse fanden in der vergangenen Woche zwei deutsche Politik-Themen große Beachtung: die Haltung der Bundesregierung in der Irak-Krise und die Frage, wer liegt vorn im deutschen Wahlkampf, Bundeskanzler Gerhard Schröder oder sein Herausforderer Edmund Stoiber?

Nach dem zweiten Fernsehduell der beiden Kandidaten am vergangenen Sonntag sahen viele Blätter den Kanzler vorn, so auch die italienische Zeitung LA REPUBBLICA:

"Das zweite Rededuell hinterlässt in Deutschland einen anderen Eindruck als das erste und es hinterlässt damit ein anderes Land: Diesmal hat Gerhard Schröder gewonnen. (...) Wirtschaft, Beschäftigung und Irak waren die Hauptthemen des Abends. Einmalig in Europa allerdings ist: Ausländer und Einwanderung waren keine Themen der Auseinandersetzung."

Die tschechische Zeitung MLADA FRONTA DNES aus Prag stellte fest:

"Der Kanzler präsentierte sich in der Pose des Siegers und wirkte souveräner und entspannter, nicht nur im Vergleich mit der ersten Runde, sondern vor allem gegenüber seinem Rivalen Edmund Stoiber. Dieser verlor nach der ersten halben Stunde nicht nur sein Lächeln, sondern vor allem Sicherheit und Argumente. Er bemühte sich, dies durch aggressive Angriffe an die Adresse des Gegners wettzumachen. Der noch unentschlossene Zuschauer wurde gestern Zeuge von geflügelten Wahlerklärungen und altneuen Versicherungen, dass alles, was der Kanzler gemacht hat, richtig war beziehungsweise, dass Stoiber als Kanzler alles anders und besser machen würde."

Die britische Wirtschaftszeitung FINANCIAL TIMES kommentierte:

"Gerhard Schröder, der Erzpragmatist und begabte Redner, hat im kritischen Moment seine Stimme wiedergefunden. In einem selbstsicheren Auftritt gegen den Herausforderer Edmund Stoiber hatte er sein symbolisches 'Comeback.' Wenn Schröder seine Form beibehält, hat er eine gute Chance, auch nach dem 22. September weiter zu regieren. Allerdings vielleicht in einer Koalition, die keine Mehrheit im Parlament hat. Diese Aussicht wirft Fragen auf für die deutsche Gesellschaft, für Europa und für Schröders Führung. Er hat schon viel Kritik für seinen Zickzack-Kurs hinnehmen müssen, der zur Wiederbelebung seiner Chancen führte."

"Leichter Punktvorsprung für Schröder", meldete auch der in Zürich erscheinende TAGES-ANZEIGER, meinte aber einschränkend:

" ... die Debatten bedeuteten für den Bundeskanzler dennoch ein Handicap, mit dem er nicht ganz fertig werden konnte. Sie stellten den aktuellen Champion und den Herausforderer auf gleiche Augenhöhe nebeneinander. Dies bringt aber dem 'Titelverteidiger' letztlich wohl nur dann etwas, wenn er in unangreifbarer Stärke vor sich hinlächeln könnte. Aber so ganz ohne Angriffsflächen ist Gerhard Schröder eben in diesem Wahlkampf nicht."

Und so merkte LA STAMPA aus Turin denn auch kritisch an:

"Das entspannte Klima, das die beiden Moderatorinnen geschaffen hatten, lieferte den Hintergrund für ein spannendes Duell, das aber vielleicht doch nicht entscheidend genug war, jenes Drittel der noch immer unentschlossenen Wähler zu überzeugen."

Die Gründe für den derzeitigen leichten Vorsprung des Kanzlers beschrieb die konservative norwegische Tageszeitung AFTENPOSTEN aus Oslo so:

"Schröder hat sich zwei Faktoren zu Nutze gemacht, die nichts mit traditioneller deutscher Innenpolitik zu tun haben. Sie haben die Aufmerksamkeit von seiner großen Schwäche abgelenkt, dass die Regierung seit 1998 nicht imstande war, die Zahl der Arbeitslosen zu senken. (...) Zum einen trat Schröder als solider, besonnener Landesvater bei der Flutkatastrophe im letzten Monat auf. (...) Zum anderen ist die deutsche Skepsis gegen die US-Politik gegenüber dem Irak derart stark und allgemein verbreitet, dass Schröder an seiner klaren Absage an eine deutsche Beteiligung bei Kriegsplänen verdienen wird."

Die konservative britische Zeitung THE TIMES urteilte:

"Der Kanzler hat in den Umfragen die Führung übernommen, und der Grund dafür scheint klar zu sein: Die Bevölkerung unterstützt seinen Widerstand gegen die Kriegspläne der USA. Der Kanzler hat seinen Wahlkampf nun in eine Art wiederbelebte Friedensbewegung umgestaltet. Zum ersten Mal seit den 80er Jahren spielen die Sozialdemokraten wieder die anti-amerikanische Karte, und - erstaunlich nach der Welle der Sympathie nach dem 11. September - die Deutschen folgen ihrem Kanzler. Die Deutschen scheinen bereitzustehen, einen Politiker zu wählen, der sich Präsident Bush entgegenstellt."

Mit dieser Haltung gerate "Deutschland in Europa und im transatlantischen Bündnis in die Isolierung" urteilte die niederländische, sozialdemokratisch orientierte Zeitung DE VOLKSKRANT:

"Aber (- so das Blatt weiter -) den einfachen Wähler kümmert die Kontinuität der deutschen Außenpolitik wenig, sagt Schröders Instinkt. Und der irrt sich selten. Nach der Wiederwahl gibt es genug Gelegenheiten, die Scherben aufzuräumen. Es steht jetzt schon fest, dass dabei Schröders heiliges Wahlversprechen über deutsche Nichtbeteiligung abgeschwächt werden wird."

Ähnlich sah es die österreichische Zeitung DER STANDARD aus Wien:

"Wie groß die Prinzipientreue des Kanzlers ist, wird man sehen, wenn er am 22. September sein Amt erfolgreich verteidigt. Sollte Schröder danach trotz des wachsenden Drucks seitens der Alliierten standhaft bleiben, hätte er sich immerhin Respekt verdient - egal, wie man in der Sache selbst denkt. Sollte er - natürlich unter Hinweis auf geänderte Umstände - seinen Widerstand dagegen aufgeben, hätte sich dieser als Wahlkampfmanöver entpuppt."

Zum Schluss die NEW YORK TIMES, die - ohne auf die Irak-Debatte einzugehen - das Kandidaten-Duell so kommentierte:

"Keiner von beiden hat irgendeinen kühnen Vorschlag zur Belebung von Deutschlands lahmender Wirtschaft gemacht, was für die meisten Deutschen die Sorge Nummer eins ist. Auch über andere Themen hat es kaum hitzige Debatten gegeben. Das ist sehr schlecht. Deutschland muss seinem starren Arbeitsmarkt neues Leben einhauchen, den wirtschaftlichen Umbau im früher kommunistischen Osten vorantreiben. Außenpolitisch muss es einen dynamischeren Kurs steuern und vor allem die Europäische Union von den schädlichen Agrarsubventionen abbringen. Die beiden großen deutschen Parteien müssen zudem ihre Attraktivität steigern, besonders für die Arbeitslosen und Unzufriedenen, sonst riskieren sie das Aufkommen einer Art von fremdenfeindlichem Populismus, wie er in den Nachbarländern Wurzeln geschlagen hat. (...) Egal wer am 22. September gewinnt - und der Wahlausgang gilt als völlig offen - die deutsche Politik scheint sich in trauriger Weise auf eine Stagnation zuzubewegen."