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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel21. Juli 2002

Die Entlassung von Verteidigungsminister Rudolf Scharping war in dieser Woche das große Kommentarthema der ausländischen Tageszeitungen.

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Da sei ein Tollpatsch über seine eigenen Memoiren gestolpert, meinte der Kommentator des niederländischen ALGEMEEN DAGBLAD aus Den Haag und schrieb:

"Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in letzter Zeit zähneknirschend das Gestümper seines Parteigenossen und Verteidigungsministers verfolgt. Rudolf Scharping schoss einen Bock nach dem anderen und geriet damit ein ums andere Mal ungünstig in die Publizität. Dass er sich dann auch noch während seiner Amtszeit als Minister für seine Memoiren bezahlen ließ - was er übrigens auch ohne üble Absicht getan haben kann - war die letzte Falle, in die er tappte. Schröder wollte ihn dort nicht mehr herausholen."

Die konservative österreichische Tageszeitung DIE PRESSE sah einen weiteren Grund für die Entlassung:

"Basis für die Entscheidung war wohl weniger die definitive Klärung der Frage, ob Rudolf Scharping sich mit Honorarannahmen und Kontakten zur Rüstungsindustrie tatsächlich versündigt hat, sondern vielmehr das Wissen: Dieser Minister ist nicht mehr zu halten, wenn die SPD auch nur den Funken einer Chance bei den Wahlen im Herbst haben will."

Diese Chance wurde von der konservativen britischen Zeitung THE TIMES - auch vor dem Hintergrund des umstrittenen Führungswechsels bei der Deutschen Telekom - äußerst schlecht beurteilt:

"Der Kanzler ist in ernsten Schwierigkeiten. Schon sein unbeholfenes Agieren in der Krise um die Deutsche Telekom hat ihm sehr geschadet. Die Unterstützung für die SPD ist auf 35 Prozent gesunken, die der CDU liegt bei 41 Prozent. Und nun, 65 Tage vor der Wahl und in einem kritischen Stadium der politischen Planung für einen Krieg gegen Irak, hat er seinen Verteidigungsminister verloren."

Auch der linksliberale britische GUARDIAN urteilte nicht anders:

"Gerhard Schröders Chancen, Deutschlands Kanzler zu bleiben, haben einen schweren Rückschlag erlitten, als er gezwungen war, einen seiner wichtigsten Minister zehn Wochen vor dem Wahltag wegen einer anrüchigen Affäre zu entlassen. (...) Dies kam zu einem Zeitpunkt, als Schröder sich schon in der Defensive befand, nachdem ihm vorgeworfen wurde, den Sturz von Telekom-Chef Ron Sommer betrieben zu haben."

Die linksliberale Zeitung EL PAIS aus Madrid meinte:

"Der Kanzler hat schnell gehandelt in einer harten Woche, in der er sich bereits für die Entlassung des Telekom-Chefs Ron Sommer zu verantworten hatte. Aber die Sache mit Scharping sowie die Wortwechsel mit Stoiber zeigen, dass der Wahlkampf in Deutschland auf der Zielgeraden für die Sozialdemokraten immer schwieriger wird. Und auch immer schmutziger."

Die Mailänder Zeitung CORRIERE DELLA SERA kommentierte:

"Es ist das Kalkül Schröders, dass der Rauswurf Scharpings, der schon seit langer Zeit sehr geringe Popularität in der Bevölkerung besitzt, in der Öffentlichkeit positiv bewertet wird und sogar einen günstigen Effekt für die Regierung mit sich bringt. Aber das muss erst noch bewiesen werden."

Der Schweizer TAGES-ANZEIGER stellte fest:

"Scharpings Sturz belegt vor allem eines: Die SPD steht mit dem Rücken zur Wand. (...) Dass Scharping nun, gegen seinen Willen und kurz vor der Wahl, geopfert wird, ist eine weitere Verzweiflungstat Schröders. Der Gewinner des Debakels sitzt in München und kann sich die Hände reiben. Edmund Stoiber muss nur weitermachen wie bisher: ohne große Fehler. Den Rest kann er getrost der SPD überlassen."

Und auch die russische Tageszeitung ISWESTIJA prognostizierte:

"Eine Wiederwahl Schröders scheint unwahrscheinlich. Äußerst kraftvoll schiebt sich sein konservativer Konkurrent Stoiber nach vorn. Der Bayer führt nicht nur in den Umfragen, er sammelt auch im Ausland Punkte. Bei seinem Besuch vor kurzem in Moskau empfing ihn Putin beinahe schon wie einen amtierenden Kanzler."

Zum Schluss die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, nach deren Meinung die Entlassung Scharpings den Ausgang der Bundestagswahl jedoch kaum beeinflussen wird:

"Welche Interpretation von Scharpings Abgang auch immer sich durchsetzt: Auf den Ausgang des Duells Schröder - Stoiber bei der bevorstehenden Bundestagswahl wird sie keinen entscheidenden Einfluss haben. Den Ausschlag dürfte die Einschätzung nachhaltigerer Fragen wie die Perspektiven der Wirtschaft und die Entwicklung der Arbeitslosigkeit geben."