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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

6. Januar 2002

Einführung des Euro-Bargelds / Forderung nach politischer Union / Wirtschaftsprobleme in Deutschland

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Große Tageszeitungen in Europa feierten in dieser Woche in ihren Kommentaren die erfolgreiche Einführung des Euro-Bargelds. Sie mahnten aber auch politische Fortschritte in der Europäischen Union an.

Zunächst zum Euro-Optimismus:

Für die spanische Zeitung EL PAÍS ist

"ein Traum europäischer Integration wahr geworden. Das Projekt ist schon älter, denn bereits beim Entwurf des gemeinsamen Marktes wurde die Notwendigkeit deutlich, Hindernisse wie etwa die verschiedenen Währungen zu beseitigen. Tatsächlich ist der Euro das erste greifbare Symbol dieser Europäischen Union."

Die britische Zeitung FINANCIAL TIMES schrieb:

"Endlich. Nach Jahrzehnten der Träume, zehnjähriger Planung und drei Jahren passiven Daseins ist der Euro angekommen. Die technischen Einzelheiten der Einführung der Scheine und Münzen überdecken die wahre historische Bedeutung dieses Schritts. Die neue Währung manifestiert den Triumph des politischen Willens über praktische Einwände. Mit ihrer Einführung wurde der visionäre Traum einer ganzen Generation politischer Führer Wirklichkeit. Der Euro ist ein Symbol europäischer Gemeinsamkeit. Dies beinhaltet Chancen und Risiken. Die neue Währung ist jetzt so unwiderrufbar wie jede andere menschliche Erfindung ihrer Art."

Der TAGES-ANZEIGER aus Zürich unterstrich:

"Symbole verfügen über eine starke suggestive Kraft. Das macht die erfolgreiche Einführung des Euro-Bargeldes schlagartig bewusst. (...) Weil das neue Euro-Bargeld einen glänzenden Start hinlegte, verbreitete sich Optimismus, wie man ihn in Europa lange nicht mehr erlebt hat. Vergessen ist die Eurosklerose, ein Begriff, mit dem Kritiker hohe Staatsquoten, schwaches Wachstum und Arbeitslosigkeit auf einen Nenner brachten. Zum ersten Mal herrscht auf dem alten Kontinent vielmehr die Aussicht auf verheißungsvolle Chancen, wie sie bisher nur Nordamerika mit einem kontinentalen Markt kannte."

Nun zu Kommentaren, die die Notwendigkeit einer gemeinsamen Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik im Euro-Zeitalter hervorhoben:

So stellte die französische Zeitung LA TRIBUNE fest:

"Der Euro allein kann nicht Europa stemmen, auch was die Steuern, die Sozialpolitik, die Verteidigung, Justiz und Sozialversicherung anbelangt. Da gibt es noch viel zu tun. Dort kommt man noch kaum voran."

Für das niederländische ALGEMEEN DAGBLAD legt

"der Euro den Bedarf an Zusammenarbeit auf anderen Gebieten bloß. Die Währungsunion ist ein wichtiger Schritt in einem Prozess, der letztlich zu den Vereinigten Staaten von Europa führen könnte. Es gibt nun eine gemeinsame Währung, aber noch keine einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik. Es gibt freien Kapitalverkehr, aber noch keinen wirklich freien Personenverkehr."

Die französische Tageszeitung LE MONDE betonte:

"Der Euro braucht neben der Zentralbank eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, wenn er keinen Staat hat. Die Bank gibt es, die Wirtschaftspolitik nicht. Daher die fehlende Glaubwürdigkeit des Euro. Seit seiner Schaffung vor drei Jahren hat der Euro gegenüber dem Dollar über 25 Prozent seines Werts verloren. Die US-Währung bleibt die einzige weltweite Reservewährung. Der wirkliche Test des Euro ist die Wirtschaftsregierung. Auf dem Papier sind alle mit dieser Wirtschaftsregierung einverstanden. Doch bereits bei der Europäischen Zentralbank hat der EU-Ministerrat ein Bild der Konfrontation nationaler Haushalts-Egoismen gezeigt statt eines Willens nach Konvergenz der Wirtschaftspolitiken."


Zum Schluss noch eine kritische Stimme zur Wirtschaftspolitik der rot-grünen Koalition von Bundeskanzler Gerhard Schröder:

Die konservative österreichische Tageszeitung DIE PRESSE betonte:

"Die Zeiten lahmender Konjunktur sind schlechte Zeiten für die Einlösung wirtschaftspolitischer Versprechen. Wenn diese Zeiten mit einem Wahljahr zusammentreffen, ist die Lage für den, der versprochen hat, doppelt prekär. Gerhard Schröder befindet sich in so einer Lage. (...) Doch die insgesamt verheerenden Wirtschaftsdaten Deutschlands sind zuallererst Haus gemacht, wie selbst Schröder-freundliche Beobachter konstatieren. Ein paar (fehlerhafte) Reformen wie die des Rentensystems und der Steuer, daneben aber vor allem ein konfliktscheues Nichtstun von Rot-Grün in strukturellen Belangen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik haben den ökonomischen Vorzeigeschüler Deutschland in die letzte Bank wechseln lassen. Und die Gleichgültigkeit, die Schröder demonstriert, hat das Land nicht mutiger werden lassen."

Soweit DIE PRESSE aus Wien und soweit auch diese Preseschau. Die Auswahl traf Sigrid Klinge