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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans Ziegler 21. Januar 2006

Antrittsbesuche der Kanzlerin

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Bundeskanzlerin Merkel ist nach ihren Gesprächen in den USA auch zu einem Treffen mit dem russischen Präsidenten nach Moskau gereist. Diese beiden Antrittsbesuche der Kanzlerin sind das zentrale deutsche Thema in den Kommentaren der ausländischen Tagespresse. Fast durchweg findet Merkel Anerkennung.

So schreibt die Pariser Tageszeitung LE MONDE:

'Es scheint sich ein Tonfall Merkels abzuzeichnen, der mehr auf Werte ausgerichtet ist. Sie zögert nicht, denjenigen die Dinge ins Gesicht zu sagen, die im Namen der Realpolitik lieber zur Verteidigung der demokratischen Prinzipien schweigen würden. Merkels Haltung erklärt sich zum Teil aus der Lebensgeschichte dieser in Ostdeutschland aufgewachsenen Pastorentochter, die in ihrer Jugend mit dem Kommunismus konfrontiert war. Merkels Tonfall verheißt eine diplomatische Haltung, von der sich Frankreich inspirieren lassen könnte.'

Die dänische Tageszeitung JYLLANDS-POSTEN meint:

'Angela Merkel hat es in kurzer Zeit geschafft, sich als befreiend pragmatische Nachfolgerin von Gerhard Schröder zu profilieren. Erst richtete sie die Dinge beim Brüsseler EU-Gipfel als kluge Brückenbauerin, aber auch als gute Strategin. Jetzt hat sie Washington und Moskau besucht und an beiden Orten einen beginnenden Aufbruch in der deutschen Außenpolitik markiert. Sie meistert offenbar im Gegensatz zu Schröder die Kunst der Balance perfekt.'

Auch der österreichische STANDARD lobt:

'Mit umsichtiger Vermittlung und innenpolitisch nicht unumstrittenen finanziellen Zugeständnissen hat sie entscheidend zur Lösung des EU-Budgetstreits beigetragen; wo einstige vehemente Irakkriegsgegner wie Schröder und Chirac auffallend laut schwiegen - etwa im Fall Guantánamo - sprach sie Klartext; ebenso offen begegnete sie dem laut Schröder lupenreinen Demokraten Putin. Und das alles auf eine Art, als handle es sich um die natürlichste und selbstverständlichste Sache der Welt.'

Zum Besuch von Merkel beim russischen Präsidenten Putin schreibt die Brüsseler französischsprachige Tageszeitung LE SOIR:

'Die Kanzlerin war fest entschlossen, sich von der Politik ihres Amtsvorgängers Schröder abzusetzen. Dieser unterhielt mit dem russischen Präsidenten eine Freundschaft, die als politisch heikel bewertet wurde. Um seinen russischen Kollegen nicht in Verlegenheit zu bringen, unterließ es Schröder, ihn zu kritisieren. Merkel hat diese Kameradschaft beerdigt. Nach einer Begegnung, die länger als geplant dauerte, wiederholte sie, dass sie für eine strategische Partnerschaft mit Russland eintritt. Sie vermied gewissenhaft das Wort Freundschaft, mit dem sie die deutsch-amerikanischen Beziehungen bei ihrem Besuch beim US-Präsidenten in der vergangenen Woche beschrieben hatte.'

Die norwegische Tageszeitung AFTENPOSTEN gibt sich in der Bewertung eher zurückhaltend:

'Bundeskanzlerin Angela Merkels wichtigstes Ziel in den USA war die Beseitigung der Missstimmung, die ihr Vorgänger Gerhard Schröder in seinem Wahlkampf vor drei Jahren durch massive Kritik an US- Präsident Bush und durch sein ausgesprochen enges Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin erzeugt hatte. Merkel will die USA als wichtigsten Partner Deutschlands zurückgewinnen. Das kann den Weg öffnen für einen Dialog, bei dem beide zum Anhören des Partners bereit sind.'

Vergleichsweise eher neutral auch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Im Kommentar heißt es:

'Was Merkel betrifft, so wird sie bereits die Tugenden einer auf Realitäten basierenden Außenpolitik erkannt haben. Man ist in Washington froh, dass in Berlin die Regierung wenigstens nominell gewechselt hat. Dass die Amerika-kritische Grundstimmung im Land von einer Regierungschefin bedient werden muss, die beabsichtigt, längerfristig Veränderungen herbeizuführen, wird verstanden. Der Ton macht die Musik, und der ist bei Merkel anders als bei Schröder.'

Abschließend noch zwei Pressestimmen aus Russland. Die russische Tageszeitung KOMMERSANT bringt ihre Anerkennung für Merkel so zum Ausdruck:

'Die neue Bundeskanzlerin machte keinen schlechteren Eindruck als ihr Vorgänger. Merkels Auftreten war für Präsident Putin in keiner Hinsicht eine Enttäuschung. Selbst Putins Lieblingsprojekt, die Ostsee-Gaspipeline, bezeichnete die Kanzlerin als ein Projekt von strategischer Bedeutung für Deutschland.'

Die russische Tageszeitung ISWESTIJA kommentiert den Antrittsbesuch der Bundeskanzlerin in Moskau wie folgt:

'Es ist wohl noch zu früh, von einer Freundschaft zwischen Präsident Putin und Kanzlerin Merkel zu sprechen. Aber die Zahl der für das laufende Jahr geplanten Treffen der beiden Politiker reicht schon fast an das Niveau der Begegnungen Putins mit Schröder heran. Merkel erwähnte in Moskau das Problem Iran in der Öffentlichkeit nur am Rande. Stattdessen betonte die Kanzlerin ausdrücklich, dass sie mit Putin über Tschetschenien und die innenpolitische Lage in Russland sprach. Und das habe sie, wie der Präsident betonte, wohlwollend getan.'