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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Susanne Eickenfonder30. Juli 2005

Machtwechsel bei DaimlerChrysler / Gewaltverzicht der IRA

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Die Kommentatoren der ausländischen Tageszeitungen befassen sich mit dem Gewaltverzicht der nordirischen Untergrund-Organisation IRA. Ein weiteres großes Thema ist das vorzeitige Ausscheiden des Vorstandschefs des deutsch-amerikanischen Autobauers DaimlerChrysler, Jürgen Schrempp.

Hierzu titelt die Pariser Wirtschaftszeitung LA TRIBUNE 'Scheidung auf Deutsch' und schreibt weiter:

"Manche Gunstbeweise täuschen nicht. Die Ankündigung des Abgangs des einst allmächtigen Chefs von DaimlerChrysler hat die Aktie an der Börse um zehn Prozent hochspringen lassen. Eine letzte Tracht Prügel von den Aktionären, die Jürgen Schrempp nicht verziehen haben, dass ihre Aktien binnen weniger Jahre die Hälfte ihres Werts verloren haben. Die strategischen Entscheidungen des Mannes, der lange Zeit als der mächtigste Boss Deutschlands galt, haben die Aktionäre sehr, sehr viel gekostet. Das hat gereicht, um seine Autorität im Inneren und außerhalb des Konzerns in den letzten Jahren zu untergraben. Schrempp wusste, dass er nicht mehr das volle Vertrauen der Aktionäre hatte. Und dass auch die Arbeitnehmer am Sinn seiner Strategie zweifelten. Vor die Wahl gestellt, sich an seinem Sessel festzuklammern und dabei Gefahr zu laufen, dass sein Verhältnis zu den Aktionären immer mehr verkrampft, oder seinen Abschied selbst zu organisieren, hat er seine Entscheidung gefällt."

Die SALZBURGER NACHRICHTEN sprechen von einem Abgang zur richtigen Zeit und fahren fort:

"Schrempp erwischte ein passendes Zeitfenster zwischen den immer wiederkehrenden Problemen im Konzern. Einmal war Chrysler der amerikanische Patient, dann versanken Mitsubishi und Fuso in einem Sumpf aus roten Zahlen und Herstellerfehlern. Der endlose Neuanfang bei smart wuchs sich zur Dauerkrise aus, und am Ende bekam auch noch die Konzernperle Mercedes Qualitäts- und Absatzprobleme. Da war zwischendurch die Pleite um den verschobenen Start von Toll Collect fast nur eine Zugabe.... Nun geht Schrempp zu einem Zeitpunkt, da alle Schiffe der Flotte Land sehen. Dazu hat er für 160.000 Mitarbeiter in Deutschland mit dem Betriebsrat eine Beschäftigungsgarantie bis 2012 erarbeitet. Dafür könnte der Name Schrempp in den nächsten Jahren sogar noch einmal zu glänzen beginnen."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schaut auf den Nachfolger Schrempps, den bisherigen Chrysler-Chef Dieter Zetsche, und meint:

"Die Wahl Zetsches erscheint gut und folgerichtig. Der 52-Jährige, der seit 1976 beim Konzern arbeitet, führte Anfang der neunziger Jahre Freightliner aus den roten Zahlen und schaffte mit Chrysler den Turnaround. Zudem war er einer der Befürworter der - gegen den Willen von Schrempp durchgesetzten - Notbremsung bei Mitsubishi. Wenn Zetsche nicht die Fehler seiner Vorgänger wiederholt, nicht ebenfalls zu überkandidelten Expansionen neigt, sondern den Konzern wieder auf ebene Straßen lenkt, dürfte das auch von den Aktionären belohnt werden. Zu diesen hat der abgehobene Schrempp den Kontakt zunehmend verloren."

Mit dem Zustand der deutschen Industrie nach dem Abgang von DaimlerChrysler-Vorstand Jürgen Schrempp beschäftigt sich die belgische Zeitung DE MORGEN. Zitat:

"Nach der Entlassung von Topmanager Jürgen Schrempp bei DaimlerChrysler und den Firmenskandalen bei Volkswagen und BMW kocht die Debatte über gute Unternehmensführung in Deutschland wieder hoch. Beobachter sehen das Ende einer Kultur, in der eigenwillige Spitzenleute großer Konzerne alle Macht haben und sich nicht um die Anteilseigner und andere Interessenvertreter kümmern....Trotz seiner desaströsen Führung hatte Schrempp weiterhin die Unterstützung der Banken. Über Hilmar Kopper, einen früheren Spitzenmann der Deutschen Bank und nun - als Aufsichtsratsvorsitzender - Manager bei DaimlerChrysler, konnte er größenwahnsinnige Vorhaben wie den Zusammenschluss von 1998 finanzieren. Das innige Band zwischen den deutschen Großbanken und Topindustriellen wie Schrempp, gern auch 'Deutschland AG' genannt, steht nun allerdings unter Druck."

Die belgische Zeitung LA LIBRE BELGIQUE nimmt den deutschen Autobauer Volkswagen nach der Vorlage neuer Quartalszahlen genauer ins Visier. Wir lesen:

"Seit der Bestechungsskandal bei Volkswagen Anfang Juli ans Tageslicht kam, stellen sich die Deutschen Fragen über die Reichweite der Affäre. Ist das 'System VW' der allzu engen Verbindungen zwischen Managern und Arbeitnehmervertretern ein Einzelfall? Oder haben die Liberalen Recht, die das für hunderte Unternehmen geltende System der betrieblichen Mitbestimmung abschaffen wollen?... Anders als Daimler und BMW hat Volkswagen einen Haustarifvertrag, den die Unternehmensleitung direkt mit der IG Metall aushandelt. Ergebnis: Die Wolfsburger Beschäftigten gehören zu den bestbezahlten der Automobilbranche und ihre Arbeitszeit ist mit 28 Stunden pro Woche die kürzeste. Diese unbestreitbaren gewerkschaftlichen Erfolge scheinen zu beweisen, dass die Arbeitnehmerseite ihre Interessen wohl zu verteidigen wusste."


Themenwechsel. Die Zeitung LUXEMBURGER WORT blickt nach Nordirland, wo die katholische Untergrund-Organisation IRA nach Jahrzehnten des bewaffneten Kampfs der Gewalt offiziell abgeschworen hat. Skeptisch schreibt das Blatt:

"Getreu Goethes Wort 'Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube' ist ein gewisser Vorbehalt erlaubt. Denn schon 1994 und 1997 bot die IRA eine Waffenruhe an, die jedoch in der Folgezeit immer wieder gekippt wurde. Trotz aller Skepsis kommt diese historische Erklärung zu einem Zeitpunkt, an dem Großbritannien durch den Terror gebeutelt ist und harte Maßnahmen gegen Terrorismus egal welcher Herkunft ergreift.... In Zeiten globalen Terrors muss auch die IRA sich der Frage stellen, wie sie ihre Glaubwürdigkeit als Befreiungsorganisation aufrechterhalten kann. Mit Waffengewalt nach der Wiedervereinigung Irlands zu streben, kann in diesen Zeiten für die Untergrundorganisation kein legitimes Mittel mehr sein."

Die römische Zeitung LA REPUBBLICA weist darauf hin:

"Es ist in der Vergangenheit bereits schon passiert, dass Ankündigungen der IRA beträchtliche Hoffnungen sprießen ließen, die dann rasch unbeachtet blieben. Und auch dieses Mal hat niemand die Gewissheit, dass den Worten auch Taten folgen.... Nach 36 Jahren Krieg und 3.600 Toten bleibt nichts anderes übrig, als die Ränge aufzulösen und nach Hause zu gehen. Das ist nicht leicht für denjenigen, der einen großen Teil seines Lebens damit zugebracht hat, den Krieg gegen Großbritannien darzustellen. Aber der Terrorismus ist keine Rolle, die man über Nacht ablegt wie jede andere Arbeit. Zuweilen geht Terrorismus mit einem sozialen Status einher, oftmals bedeutet er auch ein finanzielles Einkommen: Dies alles einfach zurückzuweisen ist schwierig."

Die britische Zeitung THE TIMES gibt zu bedenken:

"Für Enttäuschung bleibt viel Raum. Die IRA selbst ist möglicherweise nicht willens oder vielleicht unfähig zur Umsetzung dessen, was sie erklärt hat. Und vielleicht sind auch die hochrangigen alten Führer der protestantischen Unionisten, gefangen in ihrer eigenen gestrigen Rhetorik, unfähig, mit einem 'Ja' zu antworten....Nichtsdestoweniger gibt es mehr Grund zur Hoffnung als zu jeder anderen Zeit seit dem Karfreitagsabkommen."

Die in Paris erscheinende LIBÉRATION kommentiert:

"Die Geste der IRA hellt den Horizont auf, auch wenn die meisten Beobachter kaum mit einem schnellen Gang bei weiteren Fortschritten rechnen. Denn man braucht zwei, um Frieden zu schließen. Die IRA und die am stärksten militarisierten Milieus der republikanischen Bewegung haben sich seit der Ankündigung der - niemals in Frage gestellten Waffenruhe - nicht immer besonders geschickt und offen gezeigt. Auf der anderen Seite haben die Loyalisten jeden Vorwand genutzt, um den Friedensprozess zu stören. Jetzt liegt der Ball in ihrem Feld. Die IRA - Ex-IRA? - muss sich Kontrollen ihrer Entwaffnung unterwerfen und alles in ihrer Macht Stehende tun, um ein Abgleiten des 'bewaffneten Kampfes' in die politische Kriminalität zu unterbinden."

Das österreichische Blatt DER STANDARD analysiert:

"Seit dem letzten gescheiterten Versuch eines politischen Durchbruchs vor knapp acht Monaten hat selbst die IRA begriffen, dass sie als Vorleistung von der Bühne abtreten muss, bevor ein politischer Dialog tatsächlich Aussichten auf Erfolg haben kann... Die nächsten Monate werden Klarheit bringen. Die Nagelprobe liegt letztlich nicht in rostenden Waffen, sondern in der vorbehaltlosen Unterstützung Sinn Feins und des neuen Veteranenverbandes namens IRA für die nordirische Polizei. Erst dann ist der Krieg vorbei."

Die in Madrid erscheinende Zeitung EL PAÍS spannt den Bogen generell zum Terrorismus:

"Eine Niederlegung der Waffen durch die IRA würde es den Sicherheitskräften in Großbritannien erlauben, sich ganz auf den Kampf gegen den islamistischen Terror zu konzentrieren, der viel unberechenbarer und weniger nachzuvollziehen ist. Die Angelegenheit hat auch einen für Spanien wichtigen Aspekt: Die baskische ETA hat nun die zweifelhafte Ehre, im freien Europa die einzige operative Bande von Pistoleros zu sein."

Abschließend jetzt noch die italienische Zeitung CORRIERE DELLA SERA:

" Es ist völlig klar, dass es radikale Unterschiede gibt zwischen dem katholischen Terrorismus in Irland und dem Terrorismus islamischer Fundamentalisten. Und dennoch beinhaltet die Kapitulation der IRA, über alle historischen und geographischen Unterschiede hinweg, eine Lektion in Sachen politischer Strategie, wie man den Krieg gegen den Terrorismus, dieser asymmetrische Konflikt von geringer Intensität, angehen und gewinnen kann. Die erste Lektion ist, dass ein Konflikt dieser Art immer von langer Dauer sein wird, mehr als drei Jahrzehnte bei der IRA.... Aber der islamische Dschihad ist derzeit dabei, das tragische Spiel, das die IRA den Briten in den Tagen der Beatles aufgezwungen hat, auf eine globale Ebene zu stellen."