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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Helmut Schmitz6. November 2004

3. Oktober / EU-Gipfel / US-Wahl-Reaktionen / Queen-Besuch

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Die ausländischen Tageszeitungen befassen sich in dieser Woche mit der Diskussion in Deutschland über die Pläne der Regierung, den Nationalfeiertag vom 3. Oktober auf einen Sonntag zu verlegen. Kommentiert werden auch die Ergebnisse des EU-Gipfels und die Reaktionen auf die Wahl in den USA.


Die britische Zeitung THE GUARDIAN schreibt zu den wieder fallen gelassenen Plänen, den 3. Oktober als Feiertag abzuschaffen:

'Für Hans Eichel, den schwer bedrängten deutschen Finanzminister, muss es wie eine gute Idee ausgesehen haben. Angesichts eines schleppenden Wachstums und eines immer größer werdenden Haushaltslochs kam er auf eine neue Idee: Warum nicht die großzügig bemessene Zahl deutscher Feiertage verringern? Vor allem schlug er vor, den Tag der Deutschen Einheit zu kippen. Zu sagen, dass der Vorschlag schlecht aufgenommen wurde, wäre eine Untertreibung. Deutschlands auflagenstärkste Boulevardzeitung Bild begann eine Kampagne gegen den Vorschlag und warf Bundeskanzler Gerhard Schröder mangelndes historisches Bewusstsein vor. - Doch Schröder hat durchaus Argumente. Während die Briten 10 Feiertage im Jahr haben und die Franzosen und Italiener 11, haben die Deutschen 15. Unter Politikern und Wirtschaftschefs setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Deutschland sich mehr anstrengen muss, wenn es seine wirtschaftlichen Probleme überwinden will.'



DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Reformplänen der EU:

'Aus den großen Plänen, auf zauberhafte Weise Europa noch vor 2010 zur 'konkurrenzfähigsten Wirtschaft der Welt' zu machen, wird nichts. Ein wichtiger Grund dafür liegt bei den Mitgliedstaaten. Lippenbekenntnisse zum "Lissabon-Fahrplan", wie man das Reformpaket bezeichnet, gibt es in allen Hauptstädten. Aber in Wirklichkeit fehlt jeder politische Wille, um etwa die Rentensysteme drastisch zu beschneiden oder die wöchentliche Arbeitszeit zu verlängern, um nur zwei Aspekte zu nennen. (...) Es ist gar nicht schlimm, dass ein europäisches Vorhaben gescheitert ist. Es ist vielmehr ein Segen. Die Absicht 'Amerika einholen und stärkste Wirtschaft der Welt werden' ist nämlich Unsinn. (...) In Wirklichkeit muss sich die Wirtschaftspolitik an der Gesellschaft ausrichten, die sich das Volk wünscht. Was im einen Land als wichtigstes Ziel gilt, muss es im anderen Land nicht sein. Die Amerikaner haben da ganz andere Vorstellungen als die Europäer.'



Die Entscheidung für Italiens Außenminister Franco Frattini als neuen Kandidaten für den Posten als EU-Kommissar in Brüssel kommentiert die römische Zeitung IL MESSAGERO:

'Vom katholischen Buttiglione zum weltlichen Frattini. Damit endet - so sieht es aus - die Parabel um den italienischen Kandidaten für die EU-Kommission. Fast ein Monat ist vergangen, der von Verhandlungen, internationalen Streitigkeiten, (...) und peinlichen Figuren, ja sogar von Kreuzzügen aus anderen Zeiten geprägt war. Jetzt ist es soweit, scheint es. (Ministerpräsident) Berlusconi hat den europäischen Partnern den Namen unseres Außenministers vorgeschlagen und die haben ihn mit Erleichterung, ja fast Jubel aufgenommen. Überall Zustimmung, weit verbreitete Wertschätzung. Da fragt man sich, warum man da nicht früher hinkommen konnte.'



Die Pariser Zeitung 'LE MONDE' kommt auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA zurück:

'Die Wiederwahl von George W. Bush ist, gelinde gesagt, eine schlechte Nachricht. Für Europa und zweifelsohne auch für den Rest der Welt. Wenn diese hätten mitreden dürfen, hätten sie John Kerry gewählt, im Namen eines offenen und "multilateralen" Amerika. Die Wiederwahl von George W. Bush hat uns endgültig davon überzeugt, dass der Beginn des 21. Jahrhunderts ein ganz anderer ist, als wir ihn uns nach dem 9. November 1989 und dem Fall der Berliner Mauer erträumt hatten. Die Welt folgt nicht dem europäischen Modell. Es könnte vielmehr ein neues Modell entstehen, das wirtschaftlichen Liberalismus mit moralischer Kontrolle paart. Damit dies nicht eines Tages auch unseres wird, sollte uns die Wahl in den USA wenigstens als Elektroschock dienen.'

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz bemerkt:

'Die Außenpolitik wird weiterhin Bush prägen. Ein schneller Abzug aus dem Irak war für ihn nie eine Option und wird es auch künftig nicht sein. Im israelisch-palästinensischen Konflikt könnte er nach einem Tod Jassir Arafats auf Verhandlungen bestehen, die mehr Aussicht auf Erfolg haben als auch schon. Paris und Berlin werden mit Washington weiterhin Schwierigkeiten haben, vor allem deswegen, weil das globale Machtgefälle sich weiter zuungunsten der Europäer verändern wird. Der wiedergewählte und vom Zwang einer Wiederwahl befreite Präsident hat andere Prioritäten, als auf Frankreich und Deutschland zuzugehen, die Bush nur wenig zu bieten haben. Europa als Ganzes bleibt mehr auf die Amerikaner angewiesen als umgekehrt.'



Themenwechsel: THE TIMES aus London äußert sich zu der Diskussion, ob sich Königin Elizabeth II. während ihres Staatsbesuchs in Deutschland für die Bombardierung Dresdens und anderer deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg hätte entschuldigen sollen:

'Wenn die moralische Grundlage der alliierten Kriegsanstrengungen auch nur im entferntesten zweifelhaft gewesen wäre, könnte es nun vielleicht Gründe für eine Entschuldigung des britischen Staatsoberhauptes geben. Aber sie war es nicht. Auch auf die Gefahr hin, moderne Deutsche, die sich danach sehnen, von ihrer Geschichte befreit zu werden, zu verärgern: Es muss wiederholt werden, dass die Verbrechen Nazi-Deutschlands jene Untaten waren, die das moderne Zeitalter definiert haben.'

Abschließend die britische Zeitung THE DAILY TELEGRAPH:

'Der Londoner Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der seriösesten deutschen Zeitung, behauptete gestern, dass Deutsche von allem Englischen begeistert sind, während Briten verächtlich über alles Deutsche sprechen. Doch Berlin ist noch nie so attraktiv für junge Briten gewesen: Aus Großbritannien kommen mehr Besucher dorthin als aus jedem anderen europäischen Land. Derselbe Korrespondent beklagt sich über ihr Verhalten: Diesen jungen Leuten wird beigebracht, so suggeriert er, die heutigen Deutschen für Nazis zu halten. Doch die Deutschen sind genauso versessen auf die Nazis wie die Briten. - Der deutsche Außenminister Joschka Fischer hat kürzlich in der BBC ähnliche Ansichten geäußert und darauf verwiesen, dass seine Kinder ihre britischen Altersgenossen fragen müssten, wenn sie wissen wollten, was ein Stechschritt sei. Fischer weiß offenbar nicht, dass die ostdeutsche Armee bis zur Wiedervereinigung noch immer so marschierte, wie sie es seit Friedrich dem Großen getan hatte. Sich über Stereotypen zu beklagen, ist unter der Würde eines Außenministers. Fischer und seine Landsleute haben doch eine wunderbare Geschichte zu erzählen: die der politischen, wirtschaftlichen und moralischen Wiederauferstehung, zunächst nach 1945 und dann nach 1989.'